piwik no script img

Machtkampf bei VWHigh Noon in Wolfsburg

Am Donnerstag tagt der Aufsichtsrat von Volkswagen. Dann zeigt sich, ob VW-Chef Diess den Machtkampf für sich entscheiden kann.

Sitzt nicht mehr so fest im Sessel: Herbert Diess Foto: Wolfgang Rattay/reuters

Hannover taz | In den kommenden Tagen wird sich entscheiden, wie der Machtkampf bei Europas größtem Autobauer Volkswagen ausgeht. Wenn der Aufsichtsrat des Konzerns am Donnerstag zusammentritt, wird klar sein, ob VW-Chef Herbert Diess weitermachen kann oder nicht.

Bei Volkswagen tobt seit Wochen ein heftiger Führungsstreit – vordergründig zwischen Vorstandschef Diess und Betriebsratschefin Daniela Cavallo. Doch es geht um mehr als um Missstimmungen zwischen dem Konzernboss und dem mächtigen Betriebsrat: den schwierigen Umbau zum E-Auto-Hersteller, um Zehntausende Jobs, um die Macht im Konzern, die Eigentümer – und um den Chefposten am Mittellandkanal.

Viel hat das zu tun mit der sehr speziellen Unternehmenskultur des Weltkonzerns aus der niedersächsischen Provinz. An dem hält das Land Niedersachsen 20 Prozent – und es stimmt im Aufsichtsrat meist mit den Arbeitnehmervertretern, sodass ohne den Betriebsrat nicht viel geht.

An diesem Donnerstag tagt der Aufsichtsrat und muss über die mittelfristige Investitionsplanung entscheiden. Dabei geht es unter anderem darum, in welchen Werken welche Modell hergestellt werden und wie die verschiedenen Standorte in den kommenden fünf Jahre ausgelastet sind. Davon hängt ab, ob Stellen abgebaut werden – ein Punkt, der für den Betriebsrat und die Landesregierung extrem wichtig ist.

Angeblich bis zu 35.000 Jobs in Gefahr

Mit Gegenlisten zu kämpfen: Daniela Cavallo, Vorsitzende des VW-Betriebsrats Foto: Swen Pförtner/dpa

Die Sitzung – und damit die Entscheidung über die kommenden fünf Jahre – ist schon einmal verschoben worden. Vorangegangen war ein heftiger Streit zwischen Diess und dem Betriebsrat nach der Aufsichtsratssitzung Ende September.

Diess hatte Szenarien erstellen lassen, nach denen bis zu 35.000 Stellen im Stammwerk – also gut die Hälfte – durch den Konzernumbau in Richtung E-Mobilität wegfallen würden. Obwohl ihm dringend davon abgeraten worden war, konfrontierte er den Aufsichtsrat am Ende der Sitzung damit – und brüskierte damit nicht nur den Betriebsrat und das Land Niedersachsen in Gestalt des Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) und des Wirtschaftsministers Bernd Althusmann (CDU), sondern wohl auch Aufsichtsräte, die sonst auf seiner Seite waren.

Diess gilt als Liebling der Eigentümerfamilien Piech und Porsche. Das Management im Rodeostil ist Teil seiner Signatur. Er gefällt sich in der Rolle des Visionärs, der provoziert, um Dinge in Bewegung zu bringen.

Zu spät auf die Chipkrise reagiert

In Wolfsburg trifft er allerdings auf eine Konzernkultur, in der verschiedene Kräfte argwöhnisch darauf achten, ihr Wörtchen mitzureden. Das führt nicht zum ersten Mal zu Konflikten. Die Frage ist nun, ob er den Bogen dieses Mal überspannt hat.

Dabei ist der aktuelle Streit nicht seine einzige Baustelle: Kritiker werfen Diess vor, auf die Chipkrise zu spät reagiert zu haben und keine wirkliche Antwort auf die Einbrüche des Chinageschäfts zu geben. Auch diverse Prestigeprojekte im Bereich E-Mobility und Softwareentwicklung liegen offenbar hinter dem Zeitplan. Die Ankündigung, in der Nähe des Stammwerks in Wolfsburg ein neues Werk für die Elektroautolinie „Trinity“ zu bauen, geht nicht als Befreiungsschlag oder Versöhnungsangebot durch – zumal Diess die Verkündung seinem Markenchef Brandstätter überließ.

Ohnehin wird der Konzernvorstand umgebaut. Hitrud Werner, bisher zuständig für das Compliance-Ressort „Integrität und Recht“ und einzige Frau im Vorstand, soll ausscheiden. Ihr Vertrag wird nicht verlängert. Möglicherweise rückt Chefjustitiar Manfred Döss auf, wie Handelsblatt und die Süddeutsche meldeten. Dafür soll im neu geschaffenen Bereich IT und Organisation eine Frau nachrücken: Hauke Stars, bisher bei der Deutschen Börse tätig. Am Dienstag meldete Reuters, dass Markenchef Ralf Brandstätter eine stärkere Rolle im Vorstand bekommen soll. Er wird auch als Diess' Nachfolger gehandelt – falls der stürzt.

Mehr spricht aber für eine der typischen Wolfsburger Kompromisslösungen, wie sie jetzt von namenlosen Insidern gestreut werden: Zuständigkeitsbereiche so lange neu zurechtzuschnitzen, bis alle ihr Gesicht gewahrt haben. Das wäre vor allem im Interesse des Betriebsrats und der SPD-geführten Landesregierung. Denn für beide stehen im kommenden Jahr Wahlen an.

Alte Konflikte brechen auf

Für Betriebsratschefin Daniela Cavallo kommt möglicherweise die nächste Machtprobe. Mit dem Weggang ihres Vorgängers, Bernd Osterloh, der sie zu seiner Nachfolgerin gemacht hat, brechen auch innerhalb der von der IG Metall dominierten Arbeitnehmervertretung alte Konfliktlinien auf. Bis zu acht Gegenlisten soll es für die Wahl im März geben, darunter einige gestandene Betriebsräte und Ex-IG-Metall-Funktionäre.

Zwei von ihnen, Norbert Lem und Michael Maginski von der Liste „Wir für euch“, begründen ihre Kandidatur ausdrücklich damit, Cavallos Kritik am Konzernchef nicht zu teilen.

Sie haben sich sogar mit einem offenen Brief an die Aktionärsfamilien Piech und Porsche sowie an den Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen gewandt, um ihrer Begeisterung für Diess' Visionen Ausdruck zu verleihen und das ihrer Meinung nach Aktienkurs-schädigende Verhalten der Betriebsratschefin öffentlich zu tadeln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ohne Milliarden-Subventionen in immer wieder neuen Formen - aktuell „Zukunftsfonds Automobilindustrie“ - wären VW und andere längst Geschichte.