Macht der künstlichen Intelligenz: Wer profitiert
Die Machtfrage wird bei KI zu verengt gestellt. Es geht nicht nur um den technologischen, sondern auch um den ökonomischen Aspekt.
W ir leben in einer propagandistischen Periode. Das heißt, dass das Verhältnis von Wahrheit und Lüge durch die Interessen der Macht gekennzeichnet ist, vor allem derjenigen von Politik und Kapital, und sich stark zur Lüge hin verschiebt. Der Unterschied zum vorangegangenen Regime der Wahrheit besteht darin, dass sich die Wahrheit damals im politisch-medialen Raum in einem elastischeren Verhältnis zur Lüge verhielt. Man nannte das Spin, also den entscheidenden Dreh, der aus der Wahrheit etwas anderes machte als die Wahrheit selbst.
„Die Rente ist sicher“ ist so ein Spin-Satz oder „Merkel rettet Griechenland“ oder auch „Wir schaffen das“: Wahrheit plus Intention plus Interessen gab der Aussage einen Drall, aber die Verbindung zur Wahrheit war, im Unterschied zur Lüge, nicht vollständig gekappt. Ein Beispiel für Propaganda aus den letzten Tagen ist zum Beispiel der Satz von Innenministerin Nancy Faeser von der SPD, wonach die harsche neue EU-Richtlinie zur Migrationspolitik ein „historischer Erfolg“ sei „für den Schutz der Menschenrechte“.
Von ähnlich propagandistischer Qualität ist so gut wie alles, was in den vergangenen Wochen und Monaten von Google, Microsoft oder Sam Altman von OpenAI zum Thema künstliche Intelligenz gesagt wurde – hier warnten Menschen vor den Folgen der Technologie, die sie gerade selbst entwickeln, als hätten sie es nicht selbst in der Hand, diese Technologie so zu gestalten, dass sie nicht gefährlich ist.
Mehr noch, es sind mächtige Privatunternehmen wie Google, die seit Jahren genau die Stimmen stigmatisieren oder aus dem eigenen Unternehmen drängen, die bei der Entwicklung etwa von KI vor Rassismus oder Sexismus warnen – und daraufhin entlassen wurden, Kate Crawford etwa oder Timnit Gebru.
Ungleichheit durch unregulierten Einsatz von KI
Seltsamerweise verbreiten fast alle Medien diese Propaganda ziemlich unhinterfragt und eins zu eins: wenn sehr viele weiße Männer einen mahnenden Brief unterschreiben und davon raunen, dass die Technologie, noch mal, die sie selbst entwickeln, zur „Auslöschung“ der Menschheit führen könne – und diese Aussage eben nicht nur sci-fi-haft vage und unpräzise ist, sondern vor allem gegenwärtigen Machtmissbrauch genau dieser Firmen verschleiert –, etwa in Bezug auf Kooperationen mit dem Militär oder der Überwachungspraxis auch in demokratischen Staaten oder auch mit Blick auf die „Auslöschung“ von Arbeitsplätzen oder die plausible Perspektive exponentiell wachsenden Reichtums, verbunden mit massiv zunehmender Ungleichheit durch den unregulierten Einsatz von KI.
Wenn nun etwa Sam Altman einen PR-Blitz mit dem US-amerikanischen Kongress und Ursula von der Leyen und allen möglichen Staatschefs vollführt und davon spricht, dass seine Industrie dringend reguliert werden sollte, dann muss man eigentlich kein Gedankenkünstler oder Hardcore-Marxist sein, um zu vermuten, dass er sicher nicht meint, dass er etwas von der Macht oder dem Einfluss oder dem Gewinnpotenzial der Firma OpenAI abgeben will, die er mitbegründet hat.
Aber weil der Diskurs über Digitalisierung im Allgemeinen und künstliche Intelligenz im Speziellen so einseitig und kurzatmig geführt wird, bleiben die Fragen der politischen Ökonomie weitgehend ausgeblendet: Wer profitiert also von „Regulierung“, die ja am Ende doch weitgehend selbst gestaltet sein sollte, so die Logik, und vor allem den technologischen und nicht den ökonomischen Aspekt betrifft.
Technologie nicht von Ökonomie zu trennen
Tatsache ist aber, dass die Technologie nicht von der Ökonomie zu trennen ist. Gefährlich wird die künstliche Intelligenz auf absehbare Zeit vor allem dadurch, dass sie eben kapitalistischen Profitinteressen unterworfen ist: Erst dadurch entsteht die eklatante Intransparenz bei der Entwicklung, das Zukunftsversprechen als „Blackbox“.
Erst dadurch ergeben sich das manipulative Potenzial und die private Kontrolle über einen gewaltigen technologischen Entwicklungssprung, der wie alle technologischen Entwicklungen letztlich eine Form von Infrastruktur annimmt. Die (allermeisten) Straßen sind auch nicht privat kontrolliert, warum sollte es die Infrastruktur im Digitalen also sein?
Die beiden Wirtschaftswissenschaftler Daron Acemoglu und Simon Johnson haben auf diese notwendigen marktwirtschaftlichen Fragen der Regulierung von KI gerade in einem Essay für die New York Times hingewiesen. Letztlich kommen sie zu dem Schluss, dass nicht in erster Linie die Macht von KI, sondern die Macht- und vor allem die Kapitalkonzentration der Firmen wie Microsoft oder Google das drängendste Problem sind.
Höhere Steuern für Google
Ihre Antwort, wie so oft in entscheidenden Phasen der Wirtschaftsentwicklung: Zerschlagung von monopolistischen Machtstrukturen – in ihrem Szenario aber nicht durch direkten staatlichen Einfluss, sondern indirekt durch die Erhöhung der Steuersätze für die betroffenen Firmen, die sich dann schon aus ökonomischen und steuerlichen Erwägungen aufsplitten würden.
„Unsere Zukunft sollte nicht in den Händen von zwei mächtigen Firmen liegen, die immer größere globale Imperien aufbauen, indem sie unser aller Daten verwenden“, schreiben Acemoglu und Johnson in der New York Times, „ohne Skrupel und ohne dass sie etwas von ihren Gewinnen abgeben.“ Gerade ist auch ihr Buch „Power and Progress: Our Thousand-Year Struggle Over Technology and Prosperity“ erschienen, in dem sie dieses gegenwärtigen Ringen um eine gerechtere digitale Ökonomie in den größeren historischen Kontext einordnen. Es sind diese tiefer gehenden Analysen, die das beste Mittel gegen Propaganda sind.
Es ist wahr, dass Technologien genutzt werden, um Propaganda zu verbreiten. Gerade deshalb muss der Diskurs darüber anders geführt werden und die eigentlichen Machtfragen stellen, und die sind eben meistens materieller Art, auch und gerade im Technologischen.
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