Maaßen und die Folgen: Auf dem Weg in die Hölle
Wenn ein überführter Lügner einfach weiter machen darf, ohne dass es Konsequenzen gäbe – was macht das mit einem Gemeinwesen?
A ls ich den langweiligen Mann traf, saß er in einem langweiligen Büro. Er hatte ein so langweiliges Gesicht, dass ich vergessen habe, wie er aussieht. Besäße ich seine Visitenkarte nicht, ich hätte den langweiligen Mann vergessen. Aber einen Satz hat er gesagt, der ist bei mir hängen geblieben: „Ohne Verlässlichkeit landet man in der Hölle.“
Der langweilige Mann arbeitet für eine Organisation, die sich darum kümmert, dass es im Land des Mannes verlässliche Zahlen und Statistiken gibt. Es hat sich dort nämlich so sehr eine Kultur des Lügens, des Umdrehens von Fakten sowie der Herstellung eigener Statistiken mit Fakten, die einem gerade politisch passen, herausgebildet, dass es schwer wird, irgendwo eine U-Bahn oder eine Wasserleitung zu bauen: weil nicht mehr klar ist, was an dieser Stelle schon mal gebaut wurde oder wie viele Leute da leben.
Der langweilige Mann arbeitet in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Ach Ukraine, denken Sie jetzt, diese verrückten Russen, die mit den anderen Russen Krieg führen, was geht mich das an? Aber lesen Sie doch noch ein bisschen weiter, denn wir kommen jetzt zu Hans-Georg Maaßen.
Das ist der Chef des Inlandsgeheimdienstes von Deutschland, einem Land, in dem viele sehr sicher sind, öffentliches und konsequenzenfreies Lügen und Betrügen passe vielleicht gut in die politische Kultur irgendwo in Osteuropa – okay, zu den USA vielleicht auch inzwischen –, aber nicht zu uns.
Für zu spießig halten sich die Deutschen, als dass ihnen das passieren könnte, für zu verlässlich; und selbst die, die öfter mal den Durchblickerspruch ablassen: „Glaube nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast“, und die schreien, im Bundestag werde doch genauso viel gelogen wie in Nordkorea – die profitieren von dieser Spießigkeit, dieser relativen Stabilität von überprüfbaren Tatsachen und von einer politischen Kultur, die allzu freihändiges Hantieren mit Tatsachen zumindest in einer gewissen Zahl der Fälle ahndet.
Verlässlichkeit kommt von Verantwortung; und wenn fürs Dahinbehaupten und Lügen niemand mehr die Verantwortung übernehmen muss, nicht einmal diejenigen, die die Stabilität und Sicherheit einer Gesellschaft schützen sollen, dann macht diese Gesellschaft ihre ersten Schritte auf dem Weg in die Hölle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter