MONTAGSINTERVIEW: "Nobelpreise sind ansteckend"
Heute wird der Friedensnobelpreis in Oslo an Al Gore und den Klimarat der Vereinten Nationen verliehen. Und damit auch an Hans-Martin Füssel: Der Wissenschaftler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat am jüngsten Bericht des Weltklimarats mitgeschrieben. INTERVIEW: ANTJE LANG-LENDORF
taz: Herr Füssel, machen Sie an diesem Montag eine Feier?
Hans-Martin Füssel: Ich werde bei den UN-Klimaverhandlungen auf Bali sein. Ich glaube nicht, dass da zum Feiern viel Zeit bleibt.
Aber man bekommt nicht alle Tage den Friedensnobelpreis verliehen. Sie haben schließlich beim Weltklimarat mitgearbeitet, der ausgezeichnet wird.
Das stimmt. Wie viele andere Kollegen habe ich zum letzten Bericht etwas beigetragen. Wenn es geht, schaue ich mir auf Bali die Übertragung der Verleihung im Fernsehen an. Mit Sekt angestoßen haben wir aber schon im Oktober, als die Preisträger Al Gore und Weltklimarat bekannt gegeben wurden.
Was haben Sie gedacht, als Sie von der Auswahl erfuhren?
Einige Tage zuvor hatten wir bei einem Symposium 15 Nobelpreisträger zu Gast am Potsdam-Institut, um das Klimaproblem zu diskutieren. Meine spontane Reaktion war: Nobelpreise scheinen ansteckend zu sein. Kaum waren die da, landet der Preis indirekt auch bei uns. Aber im Ernst: Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um die Tragweite der Entscheidung zu erfassen. Denn das ist ja schon ein ganz, ganz besonderer Preis.
Fühlen Sie sich persönlich geehrt?
Vor allem empfinde ich es als eine Auszeichnung für die geniale Idee, ein Gremium zu gründen, das den gesamten Kenntnisstand zu einer der wichtigsten Menschheitsfragen zusammenträgt. Natürlich wird mit dem Preis auch die ehrenamtliche Arbeit von uns Wissenschaftlern gewürdigt.
Sie haben das ehrenamtlich gemacht?
Es wird für diese Tätigkeit keiner bezahlt. Ich habe oft an den Wochenenden und in der Nacht gearbeitet, weil die Forschung ja auch weitergehen musste.
Was genau war Ihre Aufgabe beim jüngsten Bericht des Weltklimarats?
In der Arbeitsgruppe, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels beschäftigte, war ich so eine Art guter Polizist. Ich musste sicherstellen, dass die Autoren die vielen hundert Kommentare der Kollegen und der Regierungen, die im Laufe der Zeit eingingen, auch angemessen berücksichtigten. Der Bericht sollte ja am Ende einen ausgewogenen Überblick des heutigen Wissensstandes bieten. Zum Glück verhielten sich meine Autoren sehr kooperativ, sodass ich nicht mit dem Knüppel drohen musste.
Sie waren vor allem Aufpasser?
Nicht nur. Ich gehöre auch zu den Verfassern eines Kapitels, das sich mit den Schlüsselrisiken des Klimawandels beschäftigt. Wir haben aus dem gesamten Bericht eine Übersicht der wichtigsten Auswirkungen zusammengestellt.
Was sind die größten Bedrohungen, die auf die Welt zukommen?
In vielen Regionen werden Dürren weiter zunehmen. Dadurch ist die Existenz der Ärmsten der Armen bedroht, die zum Beispiel in Afrika von Regenfeldbau und als Hirten leben. Mittel- und langfristig werden sich auch die Küstenlinien der Erde stark verschieben. Die Menschheit wird sicherlich nicht aussterben, wenn der Meeresspiegel um ein, zwei oder drei Meter ansteigt. Aber es wird sich vieles verändern. Denn die Gesellschaft, wie wir sie kennen, ist auf ein konstantes Klima ausgerichtet.
Es gibt sicher viele Risiken, von denen man noch gar nichts weiß.
Wenn die Temperatur um mehr als 1 oder 2 Grad steigt, begeben wir uns in eine Heißzeit, wie sie die Erde in den letzten Millionen Jahren nicht erlebt hat. Auch für uns Wissenschaftler ist das größtenteils terra incognita. Wir kämen in einen gefährlichen Bereich, wo wir mit sehr unangenehmen Überraschungen rechnen müssen.
Anders als viele können Sie vor den Konsequenzen des Klimawandels nicht die Augen verschließen. Sie beschäftigen sich tagtäglich mit bedrohlichen Szenarien. Bedrückt Sie das?
Ich denke, dass Wissen auch eine Verantwortung mit sich bringt. Die endet nicht, wenn ich meine Bürotür zuschließe. Ich versuche, meine Kenntnisse publik zu machen, indem ich Vorträge halte. Nicht nur vor Wissenschaftlern, auch vor Journalisten, Wirtschaftsvertretern und Politikern. Natürlich diskutiere ich auch im Bekannten- und Familienkreis.
Der Klimawandel beschäftigt Sie ständig?
Ich bemühe mich, das Thema nicht zu einer Last werden zu lassen. Ich kann nicht andauernd mit der Frage herumlaufen, wie schnell das grönländische Eisschild abschmilzt und wie die Küsten Europas in 200 Jahren aussehen werden. Diese Verantwortung kann ich nicht alleine tragen.
Haben Sie Angst vor dem, was auf uns zukommt?
Für mich persönlich sehe ich keine direkte Bedrohung. Wir leben schließlich in einem reichen, anpassungsfähigen Land. Es hilft auch nicht, von Angst getrieben durch die Welt zu laufen.
Sondern?
Ich nehme die Bedrohung eher als Motivation, um zu schauen, was wir tun können. Ich glaube, dass unsere Gesellschaft eine große Innovationskraft entfalten kann, wenn über die Notwendigkeit des Klimaschutzes erst mal ein Konsens besteht. Wenn die Politik klare Vorgaben macht, wird es auch technische Neuerungen geben, von denen man heute zum Teil noch nichts weiß.
Was machen Sie selbst, um das Klima zu schützen?
Ich versuche, im Kleinen konsequent zu sein. Ich besitze kein Auto, ich fahre immer mit der S-Bahn zum Institut. Meinen Strom beziehe ich von einem Öko-Anbieter. Und ich lüfte vernünftig.
Sind Sie Vegetarier?
Auch das. Aber nicht, weil Kühe bei der Verdauung Treibhausgase absondern. Meine Entscheidung gegen Fleisch ist gefallen, lange bevor ich mich mit dem Klimawandel stärker beschäftigt habe.
Sie halten Vorträge in aller Welt. Da müssen Sie oft fliegen.
Die Flüge sind in meiner persönlichen Bilanz der größte negative Faktor. Privat versuche ich, so viel wie möglich Bahn zu fahren. Wenn ich doch mal fliege, kompensiere ich die Emissionen, indem ich Geld für Klimaschutzprojekte spende. Bei den beruflichen Reisen ist das bis jetzt leider nicht möglich.
Das Klimafolgenforschungsinstitut zahlt bei Dienstreisen keinen Emissionsausgleich?
Es gibt am Institut einige Kollegen, die das einführen wollen. Derzeit scheitert es allerdings noch am öffentlichen Haushaltsrecht. Da ist nicht vorgesehen, dass man etwas freiwillig bezahlt.
Sie sind sehr umweltbewusst. Hat sich das mit ihren Studien entwickelt?
Sicherlich. Aber die Natur war mir schon immer wichtig. Ich bin gerne draußen, wandere viel. Schon als Kind war ich oft an der frischen Luft. Ich bin in Frankfurt am Main aufgewachsen. An den Wochenenden habe ich manchmal mein Rad geschnappt und bin in den Taunus gefahren. Natur ist für mich ein Stück Heimat - und heute ein wichtiger Ausgleich zur Arbeit am Schreibtisch.
Daher Ihr Interesse am Klimaschutz?
Hätte ich keinen Bezug zur Natur, wäre meine Motivation sicherlich kleiner, sie so zu erhalten, wie sie derzeit ist.
Haben Sie selbst schon mal Wetterextreme, wie sie der Klimawandel mit sich bringt, erlebt?
Im Sommer 2002 gab es in Berlin einen sehr heftigen Orkan. Ich war abends auf dem Heimweg und saß in der S-Bahn vom Wannsee. Der Zug fuhr nur Schrittgeschwindigkeit, es hätten Bäume auf der Strecke liegen können. Am nächsten Tag habe ich erfahren, dass zur selben Zeit ganz in der Nähe zwei Kinder von Bäumen erschlagen wurden.
Haben Sie gedacht: Das sind die ersten Auswirkungen des Klimawandels?
Als ich in dem Zug saß, habe ich nur gedacht: Ich bin heilfroh, dass ich in dem schützenden Waggon sitze. Ich habe gehofft, gut nach Hause zu kommen. Auch im Nachhinein würde ich diesen Sturm nicht auf den Klimawandel zurückführen wollen. Ein einzelnes Wetterereignis hat nie nur eine Ursache. Die Erderwärmung bedeutet, dass wir den Wetterwürfel zinken. Es treten nicht mehr alle Zahlen gleichmäßig auf, sondern vermehrt Fünfen und Sechsen. Wenn man mal eine Sechs hat, kann das dennoch ganz natürlich sein. Um Trends zu erkennen, braucht man Zeitreihen.
Wie sieht das Wetter in Berlin und Brandenburg in 50 Jahren aus?
Es wird zunächst einmal wärmer. Zugefrorene Seen gibt es dann im Winter nur noch selten, Schlittschuhlaufen wird man kaum mehr. Der Rekordsommer 2003 kann, wenn wir nichts gegen den CO2-Ausstoß tun, im Jahr 2050 ein ganz normaler Sommer sein. Im Jahr 2080 geht er dann als kühler Sommer durch.
Forscher warnen vor einer Versteppung des südlichen Brandenburgs.
Das ist richtig. Die Trockenheit wird zunehmen. Der Regen wird weniger, vor allem im Sommer. Wenn er fällt, dann oft stärker, als wir das heute gewohnt sind. Das bringt Probleme mit sich. Landwirte können unstetige Niederschläge schlechter nutzen. Auch die Gefahr von Fluten steigt.
Glauben Sie, dass Sie sich irgendwann vor Ihren Enkelkindern für diese Entwicklungen verantworten müssen?
Ich habe bis jetzt keine Kinder. Aber ich denke schon, dass uns die nachfolgenden Generationen fragen werden: Was habt ihr gewusst, was habt ihr getan? Welche Beharrungskräfte gab es?
Ärgern Sie sich über die Politik, weil sie gegen den Klimawandel nur sehr zögerlich etwas unternimmt?
Ich ärgere mich vor allem über die Arroganz reicher Länder, die so tun, als sei ein emissionsintensiver Lebensstil eine Art Menschenrecht. Am lautesten sagen das die USA. Der Klimawandel trifft vorwiegend die Armen, die zu den Veränderungen kaum beigetragen haben. Die Hauptverursacher sind meist nicht die Hauptbetroffenen. Das empfinde ich als unmoralisch und ungerecht.
Das Thema Klimaschutz hat in diesem Jahr Karriere gemacht.
Ja, es ist in der öffentlichen Debatte, aber auch in den Führungsetagen von Politik und Wirtschaft angekommen. Ich bin seitdem optimistischer, dass wir die Erderwärmung abbremsen werden. Die Kanzlerin vertritt heute die Aussage, dass jeder Erdenbürger das gleiche Recht auf Emissionen hat. Vor einem Jahr wäre das noch als Produkt des wissenschaftlichen Elfenbeinturms abgetan worden.
Sind Sie Merkel-Fan?
Das vielleicht nicht. Aber in der Klimapolitik macht sie eine sehr gute Figur.
Warum gehen Sie nicht in die Politik? Da könnten Sie mehr bewirken.
Ich glaube, mit meinen analytischen Fähigkeiten bin ich in der Forschung besser aufgehoben. Natürlich ist es hilfreich, wenn es Leute wie Al Gore gibt. Er ist bekannt, kann Gelder mobilisieren, hat gute Kontakte nach Hollywood. Mit seinem Film "Eine unbequeme Wahrheit" hat er viel erreicht. So etwas ist sehr wichtig, aber nicht meine Stärke. Ich sehe meinen Platz in der Wissenschaft.
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