M23-Rebellen im Kongo: Sie suchen den Königsweg
Regionale Militärkooperation hat die Gewalt im Osten Kongos nicht beendet. Jetzt probiert die Regierung es mit regionaler Wirtschaftsintegration.
Ebenso verwaist sind die vielen kleinen Dörfer hoch oben in den Bergen rund um Bunagana. Die Ernte ist reif, doch niemand arbeitet auf den Feldern. Über eine Woche lang haben sich in diesen Bergen im Dreiländereck zwischen der Demokratischen Republik Kongo, Uganda und Ruanda die Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März) erneut Gefechte mit Kongos Armee geliefert und zahlreiche Dörfer eingenommen.
Ende vergangener Woche erklärte die M23 einen „einseitigen Waffenstillstand“ und am Sonntag letztlich den „völligen Rückzug aus allen eroberten Gebieten“, um ihre „Anliegen“ mit Kongos Regierung „in einem offenen und fruchtbaren Dialog ansprechen zu können“.
Zur gleichen Zeit wurde der offizielle Beitritt der Demokratischen Republik Kongo zur Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) in Kenias Hauptstadt Nairobi festlich besiegelt. Zum ersten Mal seit Ausbruch der Coronapandemie kamen am Freitag die EAC-Staatschefs persönlich zusammen – ein Meilenstein.
„Historische Verbundenheit“
Mit Fanfaren und Feuerwerk wurde eine Landkarte enthüllt: Sie zeigt die neuen Außengrenzen der jetzt erweiterten Wirtschafts- und Zollunion vom Indischen Ozean bis zum Atlantik. „Wir unterzeichnen heute diesen Vertrag, um unsere historische Verbundenheit mit der ostafrikanischen Region zu erneuern,“ so Kongos Präsident Félix Tshisekedi, nachdem er seine Unterschrift geleistet hatte.
Nun hat Kongos Parlament fünf Monate Zeit, das Abkommen zu ratifizieren. Es gehe um „Wirtschaft und Handel in einem Umfeld des Friedens und der Sicherheit für alle“, betonte der Präsident.
Der Grenzposten von Bunagana, über den die Kongolesen im vergangenen halben Jahr dreimal flüchten mussten, liegt genau im Zentrum der neuen EAC-Landkarte. Das Dreiländereck zwischen Kongo, Uganda und Ruanda wird mit dem EAC-Beitritt Kongos zu einem wichtigen Handelsknotenpunkt. Am Schlagbaum waren bereits zuvor gewaltige Straßenbaumaschinen geparkt, um die Straße von Uganda hinein in den Kongo bis hinunter zur 140 Kilometer entfernten Millionenstadt Goma zu teeren, damit schwere Lastwagen passieren können.
Doch die ugandische Straßenbaufirma, die den riskanten Auftrag umsetzt, musste ihre Maschinen in Sicherheit bringen, als die Kämpfe anfingen.
Dass die Tutsi-Rebellen der M23 unter der Führung von General Sultani Makenga nach acht Jahren Ruhe jetzt wieder militärisch aktiv werden, ist kein Zufall. Bereits 2013, nachdem sie die Millionenstadt Goma kurzzeitig erobert hatten und dann von einer Offensive von Kongos Armee und UN-Blauhelmen geschlagen wurden, hatten sich die rund 1.000 M23-Kämpfer nach Uganda und Ruanda zurückgezogen, um Kongos Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen.
Damals wurde auf Druck der regionalen Staatschefs ein Abkommen unterzeichnet, das den M23-Kämpfern die Integration in die Armee und der politischen M23-Führung die Umwandlung in eine politische Partei in Aussicht stellte. Dieses Abkommen, geschlossen in Nairobi, hat Kongos Regierung nie eingehalten.
Das historische EAC-Treffen in Nairobi gab den Rebellen nun die perfekte Gelegenheit, in der neuen Wirtschaftsunion Chaos anzuzetteln – und sich wieder zurückzuziehen. „Gut gemacht M23“, twitterte Muhoozi Kainerugaba, Ugandas Heereschef und Sohn von Präsident Yoweri Museveni, kurz nachdem die M23 ihren Rückzug in die Berge erklärte: „Lasst die regionalen Führer und Präsident Tshisekedi eure Anliegen politisch lösen.“ Hinter verschlossenen Türen wurde in Nairobi demnach intensiv über den Konflikt im Kongo verhandelt.
Tshisekedi sitzt in einer Zwickmühle, die die M23 jetzt auszunutzen versucht. Ende 2023 stehen in dem großen Land Wahlen an. Der Präsident, der anders als beim letzten Mal diese Wahlen wirklich sauber gewinnen möchte, steht unter Druck: Er muss Stabilität im Ostkongo bringen, damit Kongos Wirtschaft in Gang kommt. Darauf hoffen auch die Nachbarn.
Fast ein Jahr Kriegsrecht ohne Erfolg
Um dies zu erreichen, hatte Tshisekedi im Mai 2021 in den zwei ostkongolesischen Konfliktprovinzen Nord-Kivu und Ituri, das Kriegsrecht verhängt. Die Provinzen werden seitdem vom Militär regiert, die Armee versucht, die über hundert Rebellengruppen der Region zu zerschlagen – vergeblich. Dieser Tage ist Kongos Premierminister Jean-Michel Sama Lukonde in den beiden Provinzhauptstädten Goma und Bunia, um den Ausnahmezustand zu evaluieren.
Die Bilanz ist eher schlecht. Fast täglich kommt es zu Rebellenangriffen und Massakern. Seit November hilft zwar Ugandas Armee, die ugandische Rebellengruppe ADF (Vereinte Demokratische Kräfte) zu zerschlagen, die sich im Grenzgebiet verschanzt hat – doch auch vier Monate später sind keine merklichen militärischen Erfolge zu vermelden.
Im Gegenteil: Am Montag starben bis zu 20 Menschen bei mutmaßlichen ADF-Massakern in Ituri. Vergangene Woche kamen 28 Zivilisten durch eine ADF-Attacke in der Region Beni ums Leben. Die Bevölkerung protestierte erneut gegen die Regierung, die ihnen keine Sicherheit bringt.
Jetzt hoffen sowohl Tshisekedi als auch die M23 auf die ostafrikanischen Nachbarn. Aus Kinshasa hört man, dass Tshisekedis Sicherheitsberater jetzt auf schnelle Erfolge gegen die M23 setzen, während die ADF-Operationen stocken. Ob mit der M23 politisch oder militärisch umgegangen wird – das ist die Frage.
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