Luxemburg-Liebknecht-Demo: Die Demo als Familientreffen
Erich Bartels und sein Sohn Wanja W. treffen sich jährlich auf der Demo für Rosa und Karl – und freuen sich, dass immer jüngere Leute teilnehmen.
Wenn Erich Bartels, der stellvertretende Landesvorsitzende der DKP Mecklenburg-Vorpommern, und sein Sohn Wanja W. aus Duisburg (der seinen Namen in der Zeitung nicht lesen möchte), vor der eindrücklichen Kulisse der Karl-Marx-Allee am Frankfurter Tor nebeneinander stehen und in die Kamera grinsen: Da sehen die beiden fast ein wenig aus wie eine jüngere Ausgabe des Älteren und umgekehrt.
Es ist wieder Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in Berlin, diesmal jährt sich der Todestag der am 15. Januar 1919 ermordeten revolutionären Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zum 100. Mal. Auch wenn Micha Bartels, die Frau von Erich Bartels, aus gesundheitlichen Gründen ausnahmsweise nicht mitlaufen kann – auch wenn es erbärmlich nass ist an diesem Sonntagvormittag: Bei Erich Bartels, seinem Sohn und dessen Frau Shabnam Shariatpanahi, die etwas weiter vorn mitläuft, herrscht Hochstimmung. Für sie ist die Liebknecht-Luxemburg-Demo ein Familientreffen, ein Höhepunkt des Jahres.
Die Demo setzt sich in Bewegung. Sowohl Wanja W. als auch Shabnam Shariatpanahi tragen eine rote Fahne mit DKP-Aufdruck, nicht weit hinter der Familie tönen die üblichen Lieder aus den Lautsprechern, aber das hindert die drei nicht daran, mit viel Enthusiasmus zu erklären, wie es zu ihrer Gesinnung kam – und was sie seit Längerem – im Fall von Erich seit 28 Jahren – um diesen Dreh nach Berlin verschlägt. Vater wie Sohn sind im Alter von 17 Jahren in die DKP eingetreten und opfern einen Großteil ihrer Freizeit der politischen Arbeit. Shabnam Shariatpanahi kam im Alter von 12 Jahren aus dem Iran nach Deutschland, begann bald sich zu engagieren und kandidierte 2017 bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen für die DKP.
Man muss mit Erich Bartels anfangen, wenn man die Geschichte dieser Familie verstehen will. Geboren 1952 ist er als Kind von Bauern in einem kleinen westfälischen Dorf aufgewachsen. Als Teenager gründete er auf der Hauptschule mit einem Kumpel eine Schülerzeitung und begann, beim Republikanischen Club in Osnabrück mitzumachen. Nach dem Eintritt in die DKP war er „vor allem beeindruckt von den alten Genossen“, lächelt er.
Mehrere tausend Menschen haben am Sonntag in Berlin an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erinnert und zogen zur Gedenkstätte der Sozialisten am Zentralfriedhof Friedrichsfelde. Die Linke hatte 10.000 Teilnehmer angemeldet. Auch die Parteispitze kam zum traditionellen stillen Gedenken und legte Kränze an der Gedenkstätte nieder. Neben dem Gedenken waren weitere Kundgebungen und Demonstrationen geplant.
Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sprach sich gegen eine Romantisierung kommunistischer Politik in der Weimarer Republik aus. Geschäftsführerin Anna Kaminsky forderte laut Mitteilung einen differenzierten, kritischen Umgang mit den „beiden Symbolfiguren der Revolution“. (dpa)
Schon immer „DDR-bezogen
Eigentlich hat Bartels in der Pflege gearbeitet, genau wie seine Frau – genau wie später alle fünf Kinder, wie er stolz berichtet. Dann bekam er einen Job im Arbeitsamt. In den Neunzigern zog die Familie nach Stralsund, kaufte eine Villa, die fast in sich zusammenfiel, und sanierte sich langsam durch. Das machte nicht nur Sinn, weil sich dort jeden Sommer die Kinder und Enkel treffen, sondern auch weil die Familie immer sehr „DDR-bezogen“ war, wie Bartels sagt. „Es war der erste Versuch und der größte Erfolg aus unserer Perspektive, unser Verhältnis zur DDR ist nach wie vor ungebrochen“, fügt er an. Und dann räumt er lässig ein, dass er vor 1989 manchmal auch zu unkritisch gewesen sei.
Immer wieder muss Bartels links und rechts Hände schütteln. Auch wenn die Demo seinem Geschmack nach größer sein könnte, freut er sich, dass die Leute hier im Laufe der Jahre immer jünger geworden sind und schon altersmäßig nicht mehr viel Bezug haben können zur DDR. Auch wenn es die DKP eines Tages nicht mehr geben mag: Die Ideen des Kommunismus, davon ist er überzeugt, werden wieder virulenter.
Es ist leicht, mit Erich Bartels und Wanja W. ins Gespräch zu kommen – und im Gespräch zu bleiben. Die Dinge, die sie über gesellschaftliche Schichten sagen, die heute immer weniger miteinander zu tun haben, und über die Angst vieler vor einer bunten Gesellschaft vor allem dort, wo es gar nicht so bunt ist: Sie haben Hand und Fuß.
Rote Nelken, Flugblätter – und Linsensuppe
„Ich fand es als Kind total doof, so zu sein, wie wir waren“, beginnt endlich Wanja W. zu erzählen. Seine Fahne hat er längst an einen der zahlreichen Bekannten abgegeben, auch er trifft hier Hinz und Kunz. Die Demo schreitet schnell voran, wir sind schon auf halber Strecke zum Endpunkt, der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde. „Wir galten als völlig skurril in unserem Dorf“, sagt Wanja W. „Irgendwann fing ich aber an, mit Erich zu diskutieren“, sagt er, „und da kam ich dann mit so oberflächlichen Erkenntnissen, dass Anarchismus viel cooler ist als Kommunismus, nicht weiter.“
Wanja W. begann sich dafür zu interessieren, warum unsere Gesellschaft ist, wie sie ist, erfuhr aber auch viel über die Geschichte des Kommunismus. Bei der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend organisierte er Zeitzeugengespräche mit kommunistischen Widerstandskämpfern wie Emil Carlebach und Peter Gingold. Bis heute verbringt er zwei Abende pro Woche mit Politik, wirkt aber ganz anders, als man sich einen Kommunisten heute vorstellen mag. Man kann sich mit ihm ebenso entspannt über Umweltzerstörung und Abrüstung unterhalten wie über Punkmusik und seinen Job in der Psychiatrie.
Inzwischen sind wir auf dem Zentralfriedhof gelandet, die Menschen legen rote Nelken ab, verteilen Flugblätter, essen Linsensuppe. „Ich sehe schon die Folklore“, sagt Erich Bartels am Ende, als es schon zurück nach Hause geht . „Aber das ist nun mal meine Heimat.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt