Liebknecht-Luxemburg-Demo in Berlin: Bleiwüsten und rebellische Herren

Tausende gedenken der ermordeten Kommunisten Rosa Luxem­burg und Karl Liebknecht. Thematisch geht es um noch viel mehr.

Fronttranspi der Liebknecht/Luxemburg-Demo

Traditionelles Banner der Liebknecht/Luxemburg-Demo Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Nur das Wetter hält sich nicht an die Tradition. Ungekannt mild und sonnig zeigt sich dieser zweite Januar-Sonntag morgens am Frankfurter Tor. Sonst aber säumt wie gewohnt ein rotes Fahnenmeer die Frankfurter Allee, aufgereiht hinter dem seit bestimmt zwanzig Jahren unveränderten Front-Transparent, das inhaltsschwer die gesamte Breite der dreispurigen Straße ausfüllt: „Luxemburg, Liebknecht, Lenin. Niemand ist vergessen. Aufstehen und Widersetzen!“

Pünktlich wie sonst nirgends in der Linken setzt sich die Gedenkdemonstration für die 1919 ermordeten KommunistInnen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht kurz nach 10 Uhr in Bewegung. 101 Jahre nachdem die Revolutionäre durch rechtsextreme Freikorps-Soldaten unter Billigung von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) erschossen wurden, sind es etwa 4.000 Menschen, die zur Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde ziehen. Kommunistische und Marxistisch Leninistische Partei, Antifa-Gruppen, Kurden, Iraner – jeder für sich und doch zusammen. Mehr Menschen verzichten auf die „größte Demo für den Sozialismus in Europa“, wie ein Redner posaunt, und begeben sich direkt zum Friedhof.

Am Auftaktort verteilt ein älterer Mann mit rot-blauer Strickmütze Flyer gegen das „Kriegsmnöver Defender 2020“, einer für das Frühjahr geplanten Nato-Übung mit 37.000 Soldaten an der russischen Grenze. Während hier die „Gefahr einer direkten Konfrontation“ entsteht, kommt Hoffnung aus dem Iran: Dort kämpfen die „Volksmassen und die Arbeiterklasse gegen das Regime“, schallt es vom Lautsprecherwagen. Aus einem jugendlich dominierten Block dahinter erklingt der Ruf: „Die DDR war unser Staat. Alle Macht dem Proletariat.“

Ein paar Meter weiter vorn scheitert ein Flyerverteiler mit seiner doppelseitigen Bleiwüste „Gegen die Strömung“, auf der zur „Solidarität mit der bewaffnet kämpfenden kurdischen Befreiungsbewegung in Rojava“ aufgerufen wird, an grimmig dreinblickenden jungen Männern, die aufgrund fehlender Fahnen, Anstecker oder Transparente wie bunte Vögel daherkommen.

Außenstehende könnten sie für Hooligans halten, in antiimperialistischen Kreisen und bei der Polizei, die sie mit drei Mannschaftswagen begleitet, werden sie als „Jugendwiderstand“ erkannt, jener maoistischen Schlägergruppe, die sich vergangenes Jahr aufgelöst hat, weil sie – nach kritischer Selbstreflexion – alle Ziele erreicht habe.

Dem Antikommunismus entgegen

„Natürlich sind wir gegen Antisemitismus, denn das ist eine Form des Rassismus“, ruft es da gerade aus den Boxen, gefolgt von einem palästinensischen Solidaritätslied. Ein älterer Herr mit Klemmbrett unterm Arm verteilt Hochglanzflyer der Jugendorganisation Rebell: „Gib Antikommunismus keine Chance“.

Sie gehen deutlich besser weg als die eher spartanisch designte Zeitschrift Spartakist. Im Hintergrund zieht ein Block mit Fahnen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen vorbei; die auf A4 gedruckte Forderung einer Protestveranstaltung am kommenden Freitag: „Der Entzug der Gemeinnützigkeit muss fallen.“

„Darf ich Ihnen einen Flyer anbieten?“, fragt eine Oma. „Gegen Überwachung im Internet“, preist sie das Faltblatt des Aktionsbündnisses „Freiheit statt Angst“ an, das in seiner Zusammensetzung offensichtlich breiter aufgestellt ist als vermutet. Ganz allein führt ihren Kampf eine Frau, die ihren Flyer noch einmal in Oberkörpergröße umgeschnallt hat. Es geht um das Gedenken an drei revolutionäre kurdische Frauen, die 2013 in Paris umgebracht, also „mittels der hässlichen wie schmutzigen Komplizenschaft der Kräfte des letzten Vertreters des patriarchalen Geistes, dem kapitalistischen System, ermordet“ wurden.

„Die Toten mahnen uns“

Angekommen in Friedrichsfelde, am Eingang zur Erbsensuppe und Organisationsfestmeile wünscht ein gut gelaunter Dieter Dehm allseits „Frohes neues“ und wirbt für den Jahresauftakt der Linksfraktion am Nachmittag im ehemaligen Kino Kosmos. Die Parteispitze hatte schon am Morgen ihre Kränze abgelegt, von Klaus Lederer bis Katja Kippping waren alle gekommen. Außer Sahra und Lafo.

Die Junge Welt versucht eine gefühlte Monatsauflage unters Volk zu bringen. Am Stand der Spartakisten wird von der „rassistischen Entlassung“ eines St.- Pauli-Spielers fantasiert, der den türkischen Einmarsch in die syrisch-kurdischen Gebiete unterstützt hatte. Die MLPD-Band Nimmes spielt „Auf, auf zum Kampf“.

Bei vielen TeilnehmerInnen drückt die Pionierblase: unmenschliche Verhältnisse in der Schlange vor den Dixie-Klos. Junge AktivistInnen rollen am Eingangstor zum Friedhof ihre Fahnen ein, andere verteilen Flugblätter mit einem Reisehinweis: „Am 25. Januar nach Leipzig, linksunten-indymedia.org verteidigen!“ Connewitz ruft zur linken Demo.

Auf dem Friedhofsgelände läuft klassische Musik. Die Mienen werden bedächtiger. Die Berge an roten Nelken machen es unmöglich zu erkennen, welches Grab zu Rosa und welches zu Karl gehört. „Die Toten mahnen uns.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.