Luise Schottroff ist tot: Leben für eine gerechte Theologie
Sit-ins und Bibelarbeit: Politik und Frömmigkeit gingen bei Luise Schottroff stets zusammen. Jetzt ist die streitbare Theologin gestorben.
„Jesus wäre für die 35-Stunden Woche.“ Mitte der 80er Jahre, auf der Höhe der tariflichen Auseinandersetzungen, hat Luise Schottroff es mit diesem Satz sogar auf den Titel der Frankfurter Rundschau geschafft. Ein Satz, der programmatisch ist für die Arbeit der streitbaren Theologin, für die die Bibel nur angemessen interpretiert, übersetzt und gedeutet werden kann, wenn immer auch der konkrete soziale Kontext mit berücksichtigt wird, gleichsam den Rahmen der Bibelarbeit vorgibt.
Ein Grundverständnis, mit dem die Protestantin ihr Leben lang auf heftigen Widerstand stieß. Weil sie die Machtfrage immer mitdachte und eben auch die Theologie jener infrage stellte, die über ganz weltliche Macht verfügen.
Ihr sozialgeschichtlicher Zugang zu Texten war von Anfang an mit dem Anspruch verbunden, auch auf aktuelle Fragen Antworten geben zu können. 1978 veröffentlichte sie zusammen mit Wolfgang Stegemann das Buch „Jesus von Nazareth – Hoffnung der Armen“. Von da an wurde sie auch über die Universitäten hinaus eine bekannte Theologin, die Generationen von Studierenden und Menschen in den Kirchen geprägt hat.
Vieles, was Luise Schottroff in den Jahrzehnten ihres wissenschaftlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Lehrens, Schreibens und Wirkens entwickelt hat, fand in dem 2013 erschienenen Kommentar zum ersten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth seinen Niederschlag. Darin zeigt sie, dass das Schreiben des Paulus an die korinthische Gemeinde an konkrete Menschen gerichtet ist, zu denen nicht viele Weise, Mächtige und durch Geburt Privilegierte gehörten, sondern Ungebildete, von Geburt Benachteiligte, Verachtete, die ‚Nichtse’ der römischen Gesellschaft. Sozialgeschichte – das hieß für sie, sich um die Fragen von Ökonomie, von Gewalt und Kindersterblichkeit zu kümmern.
Die Bibel galt als überflüssig
Claudia Janssen, 47, ist Studienleiterin im Studienzentrum der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie, Hannover, und außerplanmäßige Professorin für Neues Testament an der Universität Marburg. Sie hat bei LS studiert und promoviert
Sozialgeschichte dürfe sich jedoch nicht allein auf historische Rekonstruktion der realen Lebensverhältnisse beschränken, aber nur in diesem Kontext sei Theologie überhaupt verstehbar. Sozialgeschichte und Theologie gehören für sie unauflösbar zusammen. Nur in ihrer Verbindung werde daraus das, was sie „Befreiungstheologie im Kontext der ‚ersten’ Welt“ genannt hat. Politisches Engagement und eine tiefe von biblischer Tradition getragene Frömmigkeit kamen bei ihr zusammen. Sitzblockaden im Hunsrück vor den dort stationierten amerikanischen Raketen in den 1980er Jahren gehören ebenso zu ihrer Biographie wie Bibelarbeiten mit Dorothee Sölle auf den Kirchentagen und eine Vielzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen.
Luise Schottroff wurde 1934 in Berlin geboren, sie stammte aus einer Familie, die sich in der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus gestellt hat. Ihr Vater war Pfarrer, ihre Mutter war von der Frauenbewegung geprägt. Sie unterrichtet ihre Kinder zuhause, solange es möglich war, damit sie nicht dem öffentlichen Schulsystem ausgeliefert waren. Nach dem Theologiestudium arbeitete Luise Schottroff als Assistentin an der Universität Mainz und habilitierte sich dort. In den späten 1960er Jahren hat sie dort die politisch engagierten Studierenden erlebt, die sie mit ihrer Begeisterung angesteckt haben.
In diesen Gruppen war es verpönt, die Bibel ernst zu nehmen. Sie galt als konservativ und überflüssig, allenfalls dafür geeignet sich gegenüber Kirchenleitungen zu rechtfertigen, wenn man für politische Anliegen eintrat. Sie lehrte an den Universitäten Mainz, Kassel, Berkeley und New York, in vielen Studienzentren, auf dem Kirchentag, in Gemeinden und überall dort, wo sie Menschen begegnete, die Fragen an die Bibel und ans Leben hatten.
Sozialgeschichtliche Auslegung
Luise Schottroff hat nach Wegen gesucht, ihre Freude an der biblischen Tradition mit diesen politischen Aufbrüchen zu verbinden. Zusammen mit ihrem Mann Willy Schottroff, der in Frankfurt Altes Testament lehrte, machte sie sich auf den Weg, die Bibel sozialgeschichtlich auszulegen. Ein wichtiger Meilenstein war der 1970 vom Ökumenischen Rat der Kirchen verabschiedete Anti-Rassismus-Beschluss.
Luise Schottroff erlebte, wie in kirchlichen Synoden und theologischen Fakultäten dagegen intrigiert wurde und Studierende unter Druck gesetzt wurden, die sich für dessen Umsetzung engagierten. Ihre Arbeit war zudem maßgeblich beeinflusst vom christlich-jüdischen Dialog. Dass Jesus und Paulus Juden waren, ist eine nicht zu leugnende Tatsache. Aber es gibt eine fatale und Jahrhunderte alte antijüdische Tradition, sie so zu verstehen, als wären sie zugleich oder überhaupt nur die ersten Christen gewesen.
Ihr wissenschaftliches Leben hindurch hat Luise Schottroff daran gearbeitet aufzudecken, was es für christliche Theologien heute bedeutet, das Neue Testament als jüdische Schrift des ersten Jahrhunderts zu lesen. Und natürlich war die feministische Theologie ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit von Luise Schottroff, in der Außenwahrnehmung vor allem in Zusammenarbeit mit Dorothee Sölle manchmal sogar der Schwerpunkt. Zusammen mit anderen gründete sie 1986 die European Society of Women in Theological Research (ESWTR) und hat damit ein Netzwerk geschaffen, das heute für Theologinnen aller Fachrichtungen unverzichtbar ist. 1991 hat sie das „Wörterbuch der feministischen Theologie“ mit herausgegeben, 1998 zusammen mit Marie-Theres Wacker das „Kompendium feministische Bibelauslegung“.
Dennoch war die feministische Theologie für Luise Schottroff kein isoliertes Arbeitsfeld. Sie war untrennbar mit einer befreiungstheologisch ausgerichteten Sozialgeschichte und mit der Verwurzelung im christlich-jüdischen Dialog verbunden. Nicht umsonst sind dies ja auch die drei Perspektiven, die in der Bibel in gerechter Sprache zusammenkommen, zu deren Mitherausgeberinnen Luise Schottroff gehört. Darin hat sie u.a. das Matthäus-Evangelium übersetzt.
Bis kurz vor ihrem Tod hat sie an einem Kommentar zu dieser für sie faszinierenden Schrift gearbeitet, ein Projekt, das nun von anderen weitergeführt werden muss. Luise Schottroff ist am 8.2.15 in Kassel nach langer Krankheit im Hospiz gestorben. Sie hinterlässt eine große Familie: Ihren Sohn, Enkelkinder, SchülerInnen und FreundInnen.
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