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Long Covid und SelbsttötungWenn nur der Suizid als Ausweg erscheint

Suizidhelfer verzeichnen mehr Anträge von jungen Menschen mit ME/CFS-Erkrankung, darunter auch Post Covid, die Hilfe zur Selbsttötung erbitten.

Immer mehr ME/CFS-Erkrankte beantragen Suizidhilfe. Hier eine Protestaktion im Oktober vor dem Bundesforschungs-ONGOministerium Foto: Achille Abboud/imago
Barbara Dribbusch

Aus Berlin

Barbara Dribbusch

Normalerweise ist die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) wegen geleisteter Suizidhilfen in den Medien. Doch am Donnerstag lud die Gesellschaft gemeinsam mit der Betroffeneninitiative PiEr für Post-Covid-Erkrankte in Berlin zu einer gemeinsamen Pressekonferenz. Der Grund: Die Gesellschaft erreichen immer mehr Anträge auf Suizidhilfe von jungen Menschen, die die sogenannte Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) haben.

Die Erkrankung hat in ihrer schwersten Form zur Folge, dass die Betroffenen nur noch im Dunkeln liegen können, die Ohren mit Schallschützern abgeschirmt, von Schmerzen geplagt und manchmal sogar unfähig zu sprechen und selbstständig zu essen. Die schwere neuroimmunologische Erkrankung entsteht unter anderem auch als Folge einer Corona-Infektion und wird dann als Post Covid, manchmal auch als Long Covid bezeichnet. In sehr seltenen Fällen gilt die Erkrankung als Folge einer Corona-Impfung und heißt dann Post Vac.

Es habe ihn erschüttert, sagte DGHS-Präsident Robert Roßbruch, von den Fallbearbeiterinnen in der Geschäftsstelle zu hören, dass es zunehmend Menschen gebe, noch dazu sehr junge Menschen, die fest entschlossen seien, dass nur noch der Tod ihr Leiden beenden könne. In den vergangenen zwölf Monaten hätten acht Personen einen schriftlichen Antrag auf Vermittlung einer Freitodbegleitung gestellt, die wegen ihrer Diagnose ME/CFS und dem damit verbundenen Leiden keinen Ausweg mehr sähen.

Fünf der An­trags­stel­le­r:in­nen seien inzwischen mithilfe der Suizidbegleiter verstorben, drei befänden sich noch im Antragsverfahren. Unter den acht Personen, die einen Antrag gestellt haben, seien fünf junge Frauen im Alter von 24 bis 29 Jahren gewesen. Roßbruch schilderte, dass in einigen Fällen sogar die Väter oder Mütter der Kranken bei der DGHS anriefen und die Mitarbeiterinnen anflehten, den Antrag ihrer Tochter auf Vermittlung einer Freitodbegleitung nicht abzulehnen.

„Humanitäre Katastrophe vor unserer Haustür“

Nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS sind in Deutschland 650.000 Menschen erkrankt, die Initiative PiER aus Schleswig-Holstein spricht von 1,5 Millionen Betroffenen, die ME/CFS oder dessen Begleiterkrankungen haben.

Die Sprecherin von PiER, Barbara von Eltz, erklärte, die Krankheit sei eine „humanitäre Katastrophe vor unserer Haustür“. Die Krankheit sei untererforscht, die Pa­ti­en­t:in­nen litten häufig unter Stigmatisierung und müssten gegen „Psychologisierung und Ignoranz“ kämpfen. Sie fänden kaum Ärz­t:in­nen, die ihnen helfen könnten und lägen meist unversorgt in ihren Betten.

Während in der Bevölkerung oft die Meinung herrscht, Müdigkeit und Erschöpfung seien das wichtigste Symptom der Erkrankung, korrigierten sowohl die Initiative PiER als auch der Internist und auf ME/CFS spezialisierte Arzt Wolfgang Ries diesen Eindruck.

Suizid-Hinweis

Hilfe durch Telefonseelsorge

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seel­sor­ge­r*in­nen zu chatten.

Das Hauptsymptom von ME/CFS sei die „postexertionelle Malaise“ (PEM), sagte Ries am Donnerstag. Dies sei der „Schlüssel“ zum Verständnis von ME/CFS. Die PEM, auch „Crash“ genannt, ist eine oft verzögert eintretende deutliche Verschlimmerung nach auch nur leichter körperlicher, geistiger oder emotionaler Anstrengung. Diese Verschlimmerung kann länger anhalten und schon durch eine kurze Unterhaltung, eine Mahlzeit, sogar durch ein freudiges Ereignis getriggert werden. Deswegen gehen auch die wohlgemeinten Ratschläge ahnungsloser Ärzte ins Leere, die den Erkrankten raten, doch mal Sport zu treiben oder mehr vor die Türe zu gehen, um das Leiden zu bessern.

Ries schilderte Fälle von Patient:innen, die vom Arzt in die Psychiatrie eingewiesen wurden, die in Pflegeheimen landeten, weil es niemanden zu Hause gab, der sie versorgte oder die nicht mal einen Hausarzt fanden, der bei ihnen Hausbesuche machte.

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte kürzlich angekündigt, das Ministerium fördere bis 2028 insgesamt 34 Projekte mit 118 Millionen Euro, um Grundlagen- und klinische Forschung enger mit der Versorgungsforschung zu verzahnen. Allerdings: „Forschung benötigt Zeit“, erklärte Warken.

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7 Kommentare

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  • > In sehr seltenen Fällen gilt die Erkrankung als Folge einer Corona-Impfung und heißt dann Post Vac.



    Die weit überwiegende Mehrheit aller Menschen in Deutschland ist sowohl geimpft als auch mindestens einmal infiziert/erkrankt gewesen. Wie will man da die Ursache extrahieren? Wichtig wäre der Vergleich und die Rate bei den ungeimpft Erkrankten.



    Aber wie sagte Christian Drosten mehrfach und regelmäßig in seinen hervorragenden Beiträgen im NDR Corona Podcast: "Immer wieder werde ich gefragt, warum ich fast ausschließlich mit britischen Zahlen argumentiere. Der Grund ist, Daten, die zu einer begründeten Maßnahmenentscheidung nötig wären, werden in Deutschland schlicht nicht erhoben." Dasselbe gilt offenbar auch hier.

  • Schwierige Materie ... es lohnt, sich ein differenziertes Bild zu erarbeiten:

    Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Neurologie aus 2025 dazu:

    www.dgn.org/artike...gsstand-bei-me-cfs

    und wer sich mit den verschiedenen Perspektiven beschäftigen möchte:

    www.bing.com/video...D95BC&&FORM=VRDGAR

    Frau Dribbusch, von der taz würde ich mir eine kritischere Auseinandersetzung wünschen.

    • @Ein wenig Vernunft, bitte!:

      Als Betroffener finde ich es persönlich unterirdisch ausgerechnet die Stellungnahme der dgn anzuführen, da diese wirklich umstritten ist und wieder in die psychosomatische Bresche haut. Natürlich haben wir als Betroffene auch psychische Probleme. Diese sind aber eine Begleiterscheinung, die sich hauptsächlich aus der Unsicherheit ergibt, die durch Ärzt*innen, Gutachter*innen und Sachbearbeiter*inen die keine Ahnung oder Vorurteile haben verursacht wird. Die Unterlagen der Charité sind da zielführender, da sich bspw. Frau Dr. Scheibenbogen tatsächlich mit der Erkrankung auseinandersetzt und diesbezüglich forscht. Dort erhalten wir Betroffenen auch hilfreiche Informationen, wie z.B. die Listen der In- und Off-Label Medikation.

    • @Ein wenig Vernunft, bitte!:

      Die DGN ist kein verlässlicher Ratgeber für ME/CFS, Post-Covid und Post-Vac – und der Kommentar ignoriert die zentrale Botschaft des Artikels: das Leid der Schwerstbetroffenen und die Erfahrungen der DGHS.

      1. Die DGN-Stellungnahme ist wissenschaftlich und ethisch fragwürdig.



      Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat im Juli 2025 eine Stellungnahme zu ME/CFS veröffentlicht, die von mehreren Fachgesellschaften und Patient:innenorganisationen scharf kritisiert wurde.



      - Sie relativiert biomedizinische Erkenntnisse, obwohl internationale Studien längst somatische Ursachen belegen (z. B. Immunpathologien, Mikrozirkulationsstörungen, Zellstoffwechselveränderungen).



      - Sie betont psychosomatische Deutungen, die international als überholt gelten und in der Versorgungspraxis nachweislich schädlich sind – etwa durch Aktivierungstherapien, die bei ME/CFS zu Zustandsverschlechterungen führen können.



      - Sie ignoriert etablierte Diagnosekriterien wie die Kanadischen Konsenskriterien und die zentrale Rolle der postexertionellen Malaise (PEM).

      2. Der Artikel in der taz handelt nicht von der DGN, sondern von der DGHS und der Realität Schwerstbetroffener.

    • @Ein wenig Vernunft, bitte!:

      In diesem Artikel geht es konkret um die stattgefundene Pressekonferenz und die Ansichten und Erfahrungen der DGHS in Bezug auf ME/CFS und Long Covid. Diese berichtet von den Fällen, welche sie um Sterbehilfe ersucht haben und welche sie dementsprechend aus der Nähe begleitet haben.

      Die Frage ist jetzt, weshalb Sie mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ankommen. Haben Sie entweder nicht verstanden, dass es im Artikel um die konkreten Erfahrungen der DGHS mit diesen Erkrankungen geht oder wollen Sie behaupten die Deutsche Gesellschaft für Neurologie habe mehr Erfahrung mit Sterbehilfe als die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben?

    • @Ein wenig Vernunft, bitte!:

      naja, was die dgn da sagt ist im endeffekt: wir wissen es nicht, es gibt keinen biomarker im Blut, und wir sollten auch psychosomatische therapien untersuchen. das ist alles richtig. aber was nicht stimmt, ist, dass es keine nachweise von physiologischen veränderungen gibt. wir haben erhöhte IL-Werte, TGF-ß, gestörte Mikrozirkulation, und nicht zuletzt den widerholbaren Handkrafttest, der abnormale ergebnisse bringt. auch bei MS war erst mit der entwicklung des MRTs die Demyelinisierung nachweisbar.



      Ich kann zum Thema Pathophysiologie von MECFS sehr diese Seite einer Patientenorganisation empfehlen. www.mecfs.de/was-i.../pathophysiologie/

      Und am Ende: niemand meldet sich einfach so bei einer Sterbehilfeorganisation an. Wenn Sie einmal eine schwer erkrankte MECFSlerin zu Hause besuchen würden, ich weiß nicht, ob sie das ganze dann noch differenzierter betrachten würden.

  • "Deswegen gehen auch die wohlgemeinten Ratschläge ahnungsloser Ärzte ins Leere, die den Erkrankten raten, doch mal Sport zu treiben..."

    Schlimmer noch, sie gehen nicht ins Leere, sondern schaden ganz konkret - oftmals dauerhaft, wenn sich die Patienten von einem Chrash nicht mehr erholen!