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Lokaljournalismus in DeutschlandWenn Politik sich mehr lohnt

Die Landeskorrespondenten von drei großen Regionalzeitungen wechseln gleichzeitig als Sprecher in Ministerien. Das ist kein Zufall.

Im Maul der Mächtigen: Vier Verlage haben Rhein­land­-Pfalz fest im Griff Foto: Schäfer/imago

Gleich drei Landtagskorrespondenten großer Regionalzeiten beziehen in diesen Tagen ihre Büros in den Ministerien der neuen Landesregierung aus SPD, Grünen und FDP. Die Jahreshauptversammlung der Landespressekonferenz Anfang September geriet so zu einer kleinen Abschiedsfeier: Carsten Zillmann (Rhein-Zeitung), Ulrich Gerecke (AZ) und Florian Schlecht (Trierischer Volksfreund) wechseln mit ihrer landespolitischen Expertise ins Regierungslager. „Schwierig“ – so kommentiert CDU-Landtagsfraktionschef ­Christian ­Baldauf diese Personalrochade, die in Rheinland-Pfalz für reichlich Diskussionsstoff sorgt. „Wer möchte jetzt noch Hintergrundgespräche mit Journalisten führen, wenn auf diese Weise der anderen Seite Inhalte bekannt werden, die eigentlich vertraulich, ‚unter drei‘, gesagt wurden?“, sorgt sich Oppositionsführer Baldauf.

Schwerer wiegt indes der Verlust publizistischer Kompetenz der Regionalzeitungen. Vier Verlage haben das Land faktisch in Bereiche aufgeteilt, in denen sie sich kaum noch Konkurrenz machen. Das Rhein-Main-Gebiet mit Rheinhessen, Wiesbaden und Darmstadt dominiert die Allgemeine Zeitung mit ihren lokalen Titeln, im Rheinland und an der Untermosel die Koblenzer Rhein-Zeitung, in Trier und auf der Eifel der Volksfreund, schließlich im Süden Die Rheinpfalz.

Drei Korrespondenten, die sich mit profilierter und gelegentlich kritischer Bericht­erstat­tung einen Namen gemacht haben, wechseln die Seiten. Bleibt als einzige Korrespondentin der vier großen Regionalzeitungen Karin Dauscher von der Rheinpfalz, die auch Vorsitzende der Landespressekonferenz ist. Als Betroffene will sie zu den Vorgängen nicht öffentlich Stellung nehmen, ebenso wenig die neuen Pressesprecher.

Arbeitsverdichtung aber keine angemessene Bezahlung

„Wir beobachten schon länger mit Sorge das Ausbluten des Journalismus, den Wechsel von Kolleginnen und Kollegen in Pressestellen und in die Kommunikationsberatung“, sagt dazu Paul Eschenhagen vom ­Deutschen Journalisten-Verband (DJV). „Diese Entwicklung mag zusammenhängen mit den Arbeitsbedingungen, vor allem in den Printmedien. Dort werden Stellen eingespart, das führt zur Arbeitsverdichtung bei nicht angemessener Bezahlung“, so Eschenhagen zur taz. „Lokal- und Regionalzeitungen sind für viele Menschen nach wie vor das wichtigste Medium, aus dem sie ihre Informationen über das Umfeld und ihre Orientierung beziehen. Die Medienhäuser müssen die Bedingungen so gestalten, dass Journalisten gerne für sie arbeiten und bleiben, bei angemessener Bezahlung und geregelten Arbeitszeiten“, so der DJV-Sprecher.

Die Printmedien stehen tatsächlich unter enormem Druck. Weil die Auflagen schrumpfen und die Vertriebs- und Papierkosten steigen – bei rückläufigen Erlösen aus Anzeigen –, sparen sie beim Personal. Die wenigsten JournalistInnen im Lokaljournalismus werden nach Tarif bezahlt. Gleichzeitig müssen die Verlage Onlineangebote entwickeln, es wird im Schichtdienst gearbeitet. Der Redaktionsschluss ist abgeschafft. Von KorrespondentInnen wird erwartet, dass sie rund um die Uhr ansprechbar sind. „Wenn Kolleginnen in dieser Situation ein gutes Angebot bekommen und es annehmen, kann man es dem Einzelnen sicher nicht übel nehmen“, so der DJV-Sprecher Eschenhagen.

Von einem „Kampf mit ungleichen Mitteln“ spricht dagegen der Chefredakteur der Rhein-Zeitung Lars Hennemann. Er sieht die Ausweitung der Pressestellen und der Abteilungen für die sozialen Medien kritisch. Jede Verbandsgemeinde habe inzwischen einen Pressesprecher, von den Ausweitungen der PR-Abteilungen in den Regierungen ganz zu schweigen. „Bei dem Wettbewerb um kompetente Leute können wir gegen die Gehälter und die so­zia­le Absicherung im öffentlichen Dienst nicht ankommen“, sagt er der taz. So bedauerlich der Abgang des Korrespondenten auch sei, er habe bereits einen kompetenten Nachfolger gefunden, teilt er mit. AZ-Chefredakteur Friedrich Roeingh spricht von einem normalen Vorgang und versichert, die vakante Stelle werde nahtlos wieder besetzt.

„Ein Wechsel kann auch für neuen Wind sorgen.“

„Die Veränderung unseres Berufsbilds steht – wie in anderen Bereichen auch – in keinem Zusammenhang zur Entlohnungsstruktur. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass sich unser Korrespondent aus wirtschaftlichen Grünen heraus verändert hat“, meint Roeingh. „Ungewöhnlich“ sei es, „dass die Landesregierung gleich drei Korrespondenten abwirbt“. Dabei sei sie offenbar „unkoordiniert“ vorgegangen. Die Debatte, ob das so zielführend sei, habe offenbar erst danach eingesetzt, so Roeingh zur taz.

Spitzenpolitiker der Ampelkoalition versichern denn auch, dass es sich auf keinen Fall um eine konzertierte Aktion gehandelt habe. „Die neuen Ministerien haben unabhängig voneinander Personal für ihre Ministerbüros gesucht und dabei die Journalisten angesprochen, die sie kannten“, sagt einer von ihnen. Es sei ein ganz normaler Vorgang, wenn Journalisten in Pressestellen wechselten, sagt FDP-Fraktionschef Philipp Fernis und fügt hinzu: „Ein Wechsel kann auch für neuen Wind sorgen.“

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Martin Haller freut sich zwar über den Kompetenzgewinn im Regierungsteam, bedauert aber gleichzeitig den Verlust für die landespolitische Berichterstattung. „Es ist doch dramatisch, wenn eine Stelle mit einem Einstiegsgehalt im öffentlichen Dienst offenbar besser bezahlt wird als die eines landespolitischen Korrespondenten“, sagt er und fügt hinzu: „Die Verlage müssen sich entscheiden, ob sie ihre Verantwortung im dua­len Mediensystems wahrnehmen wollen. Dann müssen sie für kompetente Arbeit ordentlich bezahlen und für annehmbare Arbeitszeiten sorgen“, so Haller zur taz.

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1 Kommentar

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  • Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die im Artikel beschriebenen strukturellen Gegebenheiten einen massiven Anreiz für Journalisten setzen, es sich in ihrer Berichterstattung nicht mit aktuellen oder potentiellen Regierungsparteien zu verderben, sondern sich dort nach Möglichkeit beliebt zu machen, um auch mal einen gutdotierten, sicheren Job im öffentlichen Dienst zu bekommen. Entsprechend sieht die Berichterstattung häufig auch aus.