Lockdown light in Bremer Kitas: Auch in Kitas gibt es Viren
In der Pandemie fühlen sich Erzieher*innen vergessen. Denn die Regeln für Kitas werden nicht verändert – Lockdown und Ausbruchgeschehen zum Trotz.
„Ich weiß nicht, wie viele diesem Appell folgen werden“, sagt Wolfgang Bahlmann, Geschäftsführer von Kita Bremen, dem städtischen Träger von Kindertagesstätten und mit rund 9.000 Kindern landesweit der größte. Bahlmann wünscht sich für den Fall, dass nur wenige dem Aufruf folgen, „klarere Vorgaben“ von der Politik, etwa zur maximalen Gruppengröße.
Er kritisiert, dass die Situation von der Bremer Landesregierung als so kritisch eingeschätzt wird, dass Geschäfte schließen müssen und Weihnachtsfeiern nur noch im engen Familienkreis erlaubt sind – aber sich an den geltenden Regelungen für Kindertagesstätten nichts ändert.
Nach einem seit Mitte Oktober gültigen Plan mit vier „Reaktionsstufen“ arbeiten Kindertagesstätten nach der Stufe 2, die erlaubt, dass sich Personal und Kinder zweier Gruppen mischen. Das wäre in der nächsten Stufe nicht erlaubt.
Bahlmann findet es grundsätzlich richtig, dass die Kitas geöffnet bleiben. „Wir haben im ersten Lockdown erlebt, wie wichtig das für Kinder aus Familien in schwierigen Lebensumständen ist.“ Diese Phase, in der eine Zeit lang maximal zehn Kinder pro Gruppe zugelassen waren, hätte aber zugleich gezeigt, dass dies sowohl für die Kinder als auch die Fachkräfte entspannter sei. „Und natürlich sinkt das Infektionsrisiko, wenn sich weniger Leute in einem Raum aufhalten.“
16 von 22 Erzieher*innen infiziert
Dass sich Menschen auch in Kindertagesstätten anstecken, hat sich mittlerweile durch zahlreiche Beispiele aus der Praxis bestätigt. Nach Angaben der Bildungsbehörde vom Freitag sind 52 pädagogische Fachkräfte in 435 Kindertagesstätten mit dem Coronavirus infiziert. Positive Tests bei Kita-Kindern gibt es aktuell nur sieben.
In den Schulen ist das Verhältnis umgedreht. In den 136 Grund- und weiterführenden Schulen sind 69 Schüler*innen sowie 20 Lehrer*innen positiv getestet. Der Anteil in den Grundschulen liegt leicht höher: Dort besteht, wie in den Kitas, keine Maskenpflicht für die Kinder.
Dabei fehlen in der Auflistung für Erzieher*innen mindestens sechs Fälle. Denn am Freitag war der Bildungssenatorin noch nicht bekannt, dass im Kinderhaus Arche in Osterholz nicht mehr nur zehn, sondern 16 von 22 pädagogischen Fachkräften infiziert sind.
Am Montag sei der Betrieb mit einer Gruppe in Notbetreuung nach einer kompletten Schließung über zehn Tage wieder los gegangen, sagt Ibrahim Bagarkasi, Bereichsleiter für Kindertagesstätten beim Deutschen Roten Kreuz, das die Arche betreibt.
Nach Angaben einer Sprecherin der Bildungsbehörde testet das Gesundheitsamt derzeit, wie viele Kinder sich dort angesteckt haben. Bisher sei nur ein einziges positives Test-Ergebnis bekannt. Der Kindergarten befindet sich am Rand des Geländes vom Klinikum Ost. Von dessen Mitarbeitenden haben viele ihre Kinder dort. Ob es einen Zusammenhang mit Infektionen am Klinikum gibt, ist unklar. Laut einer Klinik-Sprecherin gab es Anfang Dezember Ausbruchsgeschehen in Unfallchirurgie und Geriatrie.
Weder bei Kita Bremen noch beim zweitgrößten Träger, dem Landesverband evangelischer Kindertagesstätten, gab es bisher so große Ausbrüche. Aber die Leiter beider Träger sagen, dass sich die hohen Infektionsraten auch in den Kindertagesstätten bemerkbar machen würden.
Listen führen zu Entsolidarisierung
Zudem setze den Mitarbeiter*innen die angespannte Lage sehr zu. „Sie arbeiten am Anschlag“, sagt Carsten Schlepper vom Landesverband. Und Wolfgang Bahlmann von Kita Bremen findet, dass sowohl Politik als auch Medien ihren Fokus zu sehr auf Schulen hätten. Beide Geschäftsführer hätten Verständnis dafür, wenn sich Erzieher*innen vergessen fühlen.
So formuliert es auch der Personalrat von Kita Bremen in einem am Montag verschickten Brief an Bürgermeister Andreas Bovenschulte und Bildungssenatorin Claudia Bogedan (beide SPD). Gefordert wird darin, den Kita-Betrieb zwischen dem 21. Dezember und 8. Januar auf Notbetrieb umzustellen. Die Gewerkschaft Ver.di verlangte, dass ab Mittwoch nur noch „Beschäftigte des Gesundheitswesens, der kritischen Infrastruktur und des Lebensmitteleinzelhandels“ ihre Kinder in die Kita bringen dürfen.
Carsten Schlepper vom Landesverband riet dringend von solchen Listen „systemrelevanter Berufe“, wie es sie im Frühjahr gegeben hatte, ab. „Wir hatten damit richtig Stress“, erinnert er sich. Die Listen seien immer länger geworden, und am Ende hätten Universitäts-Beschäftigte auf ihren Platz bestanden und Familien in einer Zweizimmerwohnung in Gröpelingen seien leer ausgegangen. „Das war eine starke Entsolidarisierung.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Experten warnen vor Trump-Zöllen
Höhere Inflation und abhängiger von den USA
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Klimagipfel in Baku
Nachhaltige Tierhaltung ist eine Illusion