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Linksalternative Kneipe SyndikatAufgeben kommt nicht infrage

Im Sommer wurde die linksalternative Kneipe Syndikat geräumt, ein Herzstück im Schillerkiez. Jetzt sucht das Kneipenkollektiv nach einem neuen Ort.

„Sie haben uns den Raum genommen, nicht die Idee.“ Christian steht weiter zu den Syndikat-Idealen Foto: André Wunstorf

Berlin taz | Christian, der ehemalige Wirt des Syndikats, steht vor seiner ehemaligen Kneipe und raucht. Im Sommer wurde die linksalternative Kneipe Syndikat im Schillerkiez von 750 Po­li­zis­t:in­nen geräumt.

Menschen, die auf Holzhockern sitzen und sich in Kneipenlautstärke unterhalten, der Stofffetzen im Fenster, auf dem „Nazis raus“ steht, und Christian, der Wirt, der Bier ausschenkt – all das findet sich nicht mehr in der Weisestraße 56. „Natürlich haben wir gehofft, dass nicht geräumt wird“, sagt Christian.

Er trägt schwarze Kleidung und hat ein Piercing in der Nase. 14 Jahre arbeitete der 43-Jährige im Syndikat. Seinen Nachnamen möchte Christian nicht in der Zeitung lesen, damit er sich für das Kneipenkollektiv um Miet­objekte bewerben kann, ohne direkt mit dem Syndikat verbunden zu werden.

Dessen Räumung war lange geplant und wurde mehrmals verschoben. International wurde darüber berichtet, als Beispiel der Gentrifizierung Berlins und des Protests dagegen. Seit der Räumung sucht das Kneipenkollektiv nach einem neuen Raum im Schillerkiez. Wie läuft’s?

Das Syndikat-Kollektiv sucht vor allem nach leer stehenden Gewerberäumen im Schillerkiez. „Wir gehören hier auf jeden Fall wieder hin“, sagt Christian. Er selbst wohnt in der Nähe der ehemaligen Kneipe, so wie die meisten des Kollektivs. Gemeinsam mit solidarischen Nach­ba­r:in­nen und früheren Stamm­kun­d:in­nen hält es Ausschau nach Leerstand im Kiez. „Wir gucken auch auf den einschlägigen Webseiten“, sagt Christian.

Das Syndikat als Berliner Kulisse

Als er mit einem Kaffee to go aus einer Bäckerei geht, trifft er eine ehemalige Stammkundin: „Und? Schon einen neuen Raum gefunden?“, fragt sie. „Nein, leider noch nicht“, sagt Christian.

Vorstellbar ist für das Kollektiv nicht nur eine Kneipe. „Meinetwegen können es auch fünf Kneipen sein“, sagt er. Es gehe dem Kollektiv viel mehr um selbst verwaltete Orte. „Wir wollen freie Orte, nicht immer nur mit dem reinen Kapitalinte­resse im Hinterkopf.“ Dem Schillerkiez fehle es an Stammkneipen. „Hartz-IV-Empfänger, die hier schon länger leben, können sich den hippen Macchiato und was es noch alles gibt, nicht leisten, das interessiert sie überhaupt nicht.“

Christian wirkt frustriert von der Entwicklung des Schillerkiezes. „Hier ist schon längst alles zugentrifiziert.“ Als das Syndikat 1985 von Anwohnenden eröffnet wurde, war der Kiez einer der ärmsten Berlins und lag noch in der Einflugschneise des Flughafens Tempelhof. Seitdem wurde die Gegend immer beliebter. Zuletzt seien manchmal Tou­ris­t:in­nen vorbeigekommen, um das „original Berlin“ zu erleben, sagt Christian: „Zwischenzeitlich hatte man echt das Gefühl, dass man eine Kulisse ist.“

30.000 Stunden Polizei-Arbeit für die Räumung

Als die Berliner Polizei die Kneipe im August räumte, hatte sie mehrere Straßen rund um das Syndikat gesperrt und einen Gerichtsvollzieher unterstützt. 30.000 Stunden arbeitete die Polizei für die Räumung. „Das ist Irrsinn“, sagt Christian mehrmals.

Mehrere tausend Menschen hatten sich anlässlich der Räumung solidarisch mit der Kneipe gezeigt. „Nach der Räumung wurde sofort alles zugemauert“, sagt Chirstian und zeigt mit der Hand auf die ehemalige Kiezkneipe, auf deren zugezogenen Rollläden immer noch Sticker kleben.

Im September hatten Nach­ba­r:in­nen des Syndikats einen Brief an den Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses geschrieben. Darin beschweren sie sich über Schikanen der Polizei im Zusammenhang mit der Räumung. „Teilweise hat die Polizei den Be­sit­ze­r:in­nen dann gesagt, dass sie sich bei uns beschweren sollen“, sagt Christian. Er zuckt mit den Schultern: „Die haben sich dann auch bei uns beschwert, aber über die Polizei.“

Vieles sei den Nach­ba­r:in­nen unverständlich, sagt Christian. Zum Beispiel, dass die Anwohnenden nicht über die am 6. August eingerichtete Sperrzone informiert worden seien. Auch nach der Räumung wurde die Gegend polizeilich überwacht. „In die Wohnung über der Kneipe zogen Security-Mitarbeiter ein“, erzählt Christian.

Das Kollektiv ist verankert im Kiez

Und heute? Christians Verhältnis zu den Nach­ba­r:in­nen ist immer noch gut: Beim Spaziergang durch den Schillerkiez grüßt er viele Menschen, denen er begegnet. „Mir ist wichtig, dass wir nicht aufgeben“, sagt er. Die Motivation, weiterzumachen, sei enorm.

Noch immer treffe sich das Syndikat-Kollektiv. „Es gibt nicht so viel zum Plenieren, der Austausch ist eher freundschaftlich.“ Als noch Sommer war, hätten sie sich oft vor der geräumten Kneipe getroffen und getrunken. „Sie haben uns den Raum genommen, nicht die Idee“, sagt Christian.

Während das Kollektiv nach geeigneten Räumen sucht, engagieren sich einzelne Mitglieder in verschiedenen Organisationen und Bündnissen. „Wir vernetzen Mie­te­r:in­nen und organisieren uns in linken Kämpfen“, sagt Christian. Dazu gehört die Unterstützung von anderen Mie­te­r:in­nen des sich gern hinter Scheinfirmen tarnenden Immobilienriesen Pears Global, der als Besitzer des Syndikats letztlich dafür verantwortlich war, dass die Kiezkneipe geräumt wurde.

Wie andere aus dem Syndikat ist Christian aktiv bei der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Ob er auch Unterschriften gesammelt habe? „Natürlich“, sagt er. Andere aus dem Kollektiv seien beim Bündnis „Wer hat, der gibt“ oder der „Interkiezionale“.

„Mietrechte wird man uns nicht schenken“

Mit 24 anderen gründet Christian gerade die Berliner Mie­te­r:in­nen­ge­werk­schaft. Statt um Arbeitsrechte soll dort für Mietrechte gekämpft werden. „Wenn Ak­teu­r:in­nen um ihre Häuser kämpfen, dann lernen sie ganz schnell ganz viel“, sagt Christian.

Dieses Wissen will die Gewerkschaft bündeln. Dabei sollen Mie­te­r:in­nen miteinander vernetzt werden. Ihr erstes Projekt war der Protest gegen Heimstaden, ein schwedisches Unternehmen, das in Berlin mehr als 4.000 Wohnungen kaufte.

Ob Christian ein Fan von Basisdemokratie sei? „Ich bin ein Fan von Mitbestimmung“, sagt er. „Mietrechte wird man uns nicht schenken, wir müssen die fordern.“ Er ist nach dem Spaziergang durch den Kiez wieder vor dem ehemaligen Syndikat angekommen, um sein Fahrrad abzuschließen. Im Schaufenster in der Nach­ba­rschaft hängt ein Transparent: „Schillerkiez wehrt sich.“

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