Linker Innenpolitiker über Rot-Rot-Grün: „Der Innensenator lässt sich treiben“
Die SPD bremst bei Bürgerrechten, weil Linke und Grüne nicht mehr Kameras wollen. Beim Thema innere Sicherheit knirscht es, weiß Niklas Schrader.
taz: Herr Schrader, wo bleibt der Polizeibeauftragte, den Berlin laut rot-rot-grüner Koalitionsvereinbarung bekommen soll?
Niklas Schrader: Ich gehe davon aus, dass der Polizeibeauftragte Anfang 2020 kommt. Der Gesetzeswurf dafür steht weitgehend.
Das hieß es schon letztes Jahr. Wo klemmt' s?
Die SPD hat den Polizeibeauftragten und andere Punkte, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, gestoppt. Hintergrund ist, dass wir in der Koalition einen Konflikt um das ASOG haben.
Die rot-rot-grüne Koalition ist 2016 mit einem ambitionierten Sicherheitsprogramm gestartet. Berlin sollte einen unabhängigen Polizeibeauftragten bekommen und das fortschrittlichste Versammlungsgesetz der Bundesrepublik.
Bislang ist nichts davon umgesetzt. Die SPD blockiert die Reformen, um Linke und Grüne zu einer Verschärfung des Polizeigesetzes (Asog) zu bewegen. Im Koalitionsvertrag steht davon nichts.
Die SPD will außerdem eine temporäre, anlassbezogene Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten einführen. Was genau das sein soll, ist unklar, weil die SPD noch keinen Gesetzesentwurf vorlegt hat. Temporäre, anlassbezogene Videoüberwachung erlaubt das Asog schon, wie die mobilen Kamerawagen der Polizei zeigen.
Das von Ex-Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) initiierte Volksbegehren für eine Videoüberwachung ab 50 Orten hatte der Senat Ende 2018 gestoppt und zur Prüfung dem Berliner Verfassungsgericht vorlegt. (plu)
Die SPD will das Berliner Polizeigesetz ASOG verschärfen. Sie will die elektronische Fußfessel für Gefährder einführen, den finalen Rettungsschuss für die Polizei und einiges mehr – richtig?
Die Wunschliste der SPD ist ziemlich lang. Auch die Telefonüberwachung mittels stiller SMS zur Gefahrenabwehr gehört dazu. Nichts von all dem steht in der rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung.
Sie sind erst seit kurzem innenpolitischer Sprecher der Linken. Ihr Vorgänger, Hakan Taş hatte den Wünschen der SPD eine klare Absage erteilt. Wie sehen Sie das?
Der Sprecherwechsel bedeutet keinen Kurswechsel. Hakan und ich haben in diesen Fragen eng zusammengearbeitet.
Welchem Flügel bei den der Linken gehören Sie an?
Ich gehöre keiner Strömung an. Ich bin jemand, der daran glaubt, dass die Linken über Regierungsbeteiligungen etwas erreichen können. Dass wir nicht nur radikale Oppositionsarbeit machen können. Ob so oder so, ich bin einer, der die Bürgerrechte hochhält und bewahren möchte.
Wie könnte Bewegung in die festgefahrene Debatte mit der SPD kommen?
Indem der Koalitionsvertrag umgesetzt wird: Polizeibeauftragter, Reform des Versammlungsgesetzes, Volksabstimmungsgesetz, Transparenzgesetz – all das muss umgesetzt werden. Das darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob wir der SPD weitergehende Befugnisse für die Polizei im ASOG einräumen.
Niklas Schrader
37, Sozialwissenschaftler, seit 2016 für die Linken im Parlament, seit Januar innenpolitischer Sprecher. Vorgänger Hakan Taş hatte das Amt nach einer Alkoholfahrt niedergelegt.
Was heißt das konkret?
Ich erwarte von der SPD ein Einlenken. Dass sie die Punkte, die gravierende Grundrechtseinschränkungen bedeuten, vom Tisch nimmt. Dann kann man gucken, ob man bei weniger gravierenden Dingen einen Kompromiss schmiedet. Bei der Fußfessel und dem Rettungsschuss zum Beispiel ist vollkommen klar, dass wir da nicht mitgehen. Unter dem Strich darf keine Verschärfung des Polizeigesetzes herauskommen.
Sehen Sie bei der Telefonüberwachung Spielraum?
Das kommt auf das Gesamtergebnis an. Um die Verhandlungen nicht zu erschweren, möchte ich darauf aber nicht detailierter eingehen. Wir werden jedenfalls nichts machen, das der anlasslosen Überwachung die Tür öffnet.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) soll kürzlich im Koalitionsausschuss über ideologisches und kleinteiliges Denken seiner Koalitionspartner geklagt haben. Ziehen Sie sich den Schuh an?
Nein. Wir haben eine klare bürgerrechtliche Linie. Wir sind da viel klarer als die SPD. Aber wir sind durchaus bereit, mit der SPD und den Grünen eine rationale Sicherheitspolitik zu machen
Was verstehen Sie darunter?
Die Polizei da stärken, wo sie es nötig hat. Was den Umgang mit den kriminalitätsbelasteten Orten angeht, sind wir mit Innensenator Geisel durchaus einer Meinung. Mit mehr Einsatzkräften und einer klugen, kiezorientierten Polizeiarbeit haben wir es geschafft, am Alex und am Kotti die Kriminalität deutlich zu senken. Das gilt auch für die Gewaltkriminalität. Beim Taschendiebstahl ist es gelungen, die Zahlen dadurch zu senken, dass die Strukturen hinter den Taten ermittelt wurden. Das hat alles nichts mit mehr Befugnissen für die Polizei zu tun oder mit Videoüberwachung. Und da frag ich mich schon, warum stärken wir diese erfolgreichen Ansätzen nicht? Warum vertreten wir das nicht selbstbewusst, anstatt uns von der Opposition treiben zu lassen?
Heißt dass, Sie fühlen sich von der Initiative des früheren CDU-Justizsenators Thomas Heilmann getrieben, der ein Volksbegehren zur Ausweitung der Videoüberwachung gestartet hat?
Nein. Aber mein Gefühl ist, Innensenator Geisel lässt sich treiben. Das kriegen wir zu spüren.
In einem Interview hat Geisel gerade bekräftigt, dass er Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orte einführen möchte. Insbesondere die Linke müsste sich bewegen. Sonst drohe die Variante Heilmann, also deutlich mehr Videoüberwachung, weil das Volksbegehren gute Aussichten auf Erfolg habe.
Ich teile Geisels Einschätzung nicht. Dass das Volksbegehren gewinnen wird und man dagegen nichts tun kann, zeugt von wenig Selbstvertrauen.
Die erste Hürde für ein Volksbegehren hat die Heilmann-Initiative bereits genommen. Wenn es gelingt in der zweiten Stufe 170.000 Unterschriften zu sammeln, wäre der Weg frei für einen Volksentscheid.
Ich glaube, dass es gar nicht so weit kommt, weil ich die berechtigten Zweifel des Senats an der verfassungsmäßigen Zulässigkeit des Volksbegehren teile. Aber selbst wenn: 170.000 Unterschriften sind kein Pappenstiel. Das muss man erst mal schaffen. Dazu braucht man viele Leute. Das ist ja kein Volksbegehren, das an der Basis entstanden ist…
… so wie der Fahrradvolksentscheid.
Ja. Das sind ein paar Funktionäre und der Millionär Herr Heilmann, die das am Laufen halten. Ich denke, dass wir gute Argumente haben, mit denen wir die Bevölkerung überzeugen können. Diese Initiative will eine weitgehend grenzenlose Videoüberwachung einführen mit modernster intelligenter Videotechnik wie Gesichtserkennung und so weiter.
Das Volksbegehren tritt für 1.000 Kameras an 50 Orten ein.
Geisel unterliegt einem Trugschluss, wenn er glaubt, er kriegt das Volksbegehren mit ein bisschen Videoüberwachung vom Tisch. Man kann Videoüberwachung nicht mit Videoüberwachung bekämpfen.
Die Grünen haben auf ihrem letzten Parteitag im November erklärt, Videoüberwachung könne maximal anlassbezogen und zeitlich begrenzt erfolgen. Sind die Grünen offener für Videoüberwachung als die Linken? Gibt es da einen Dissens?
Eigentlich nicht. Aber manchmal werde ich schon gefragt, weshalb die Grünen so zurückhaltend bei dem Thema sind. Nach außen erscheinen aber schon wir Linken mehr als die, die gegen Videoüberwachung kämpfen. Das ist kein wirksames Instrument gegen Kriminalität. Sich trotzdem darauf einzulassen, hieße, die gleiche Symbolpolitik zu machen, wie es das Volksbegehren propagiert. Außerdem: das Volksbegehren wäre damit ja nicht vom Tisch. Ich glaube nicht, dass der Heilmann-Initiative an Kompromissen gelegen ist. Die wollen einen Sieg erringen und den Senat beschädigen.
Was sagt Geisel, wenn Sie ihm das vorhalten?
Er sehe das anders. Die Heilmann-Initiative habe gute Erfolgsaussichten. Mein Eindruck ist, dass Geisel das Volksbegehren auch dazu benutzt, um uns unter Druck zu setzen.
Warum sollte er das tun?
Weil er seine eigene Videoüberwachung durchbringen will, klar.
Haben Sie sich Regieren so vorgestellt?
Ja, das war mir durchaus klar. Aber mir persönlich macht es Riesenspaß, auch wenn es manchmal sehr anstrengend und schwierig ist.
Haben Sie Ihre Grundsätze in der Koalitionszeit schon mal über Bord geworfen?
Nein. Es muss einem in einer Koalition aber klar sein, dass man nie alles kriegt, was man will. Aber wenn es an die Grundsätze geht, muss man sich irgendwann die Frage stellen, ob man so eine Koalition noch mittragen will. An den Punkt sind wir aber noch nicht gekommen.
Wann wäre so ein Punkt erreicht?
(lacht) Ich werde jetzt nicht einzelne Punkte aus dem ASOG nennen, die aus meiner Sicht Grundsätze wären. Gegen meine Grundsätze wäre aber schon, dass wir schwere Grundrechtseingriffe beschließen, die sicherheitspolitisch nichts bringen. Dass wir Politik für die Schlagzeilen machen um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, obwohl das effektiv nichts bringt, außer, dass die Freiheit der Leute eingeschränkt wird. Wenn dieses Grundprinzip infrage steht, wäre für mich Schluss in der Koalition.
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