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Linken-Politikerin über Stress„Dann mache ich keine gute Arbeit“

Weil zwei Abgeordnete Schwächeanfälle erlitten, klagt Anke Domscheit-Berg über Überlastung im Parlament. Eine Verkleinerung des Bundestags sei fatal.

Anke Domscheit-Berg während einer Rede im Bundestag. Foto: Christian Spicker/imago
Interview von Simon Schramm

taz: Frau Domscheit-Berg, am Donnerstag haben zwei Abgeordnete im Plenum Schwächeanfälle erlitten, darunter ihre Fraktionskollegin Simone Barrientos. Wie geht es ihr?

Anke Domscheit-Berg: Es soll ihr den Umständen entsprechend besser gehen, es scheint nichts gravierendes zu sein.

Sie haben daraufhin auf Twitter über die Arbeitsbelastung im Bundestag geklagt. War das bisher ein Tabuthema?

Absolut. Ich bin gewarnt worden, überhaupt darüber zu reden und auch schon von einigen Abgeordneten dafür geschimpft worden, weil es doch nur einen Shitstorm ergebe. Aber ich bin auch von vielen Abgeordneten der demokratischen Parteien angesprochen worden: Endlich hat es mal eine gesagt.

Im Interview: Anke Domscheit-Berg

Anke Domscheit-Berg, 51, ist parteiloses Mitglied der Linksfraktion im Bundestag.

Auf Twitter haben Sie geschrieben, die Arbeitsbedingungen im Bundestag seien menschenfeindlich. Was müsste geschehen, damit sich das ändert?

So ein Kreislaufkollaps hat möglicherweise mit Dehydrierung zu tun. Das Verbot, im Bundestag Wasser zu trinken, könnte man einfach aufheben. Schwierig wird es mit dem Arbeitsvolumen. Im Bundestag sitzen sechs Fraktionen, die alle ihre Duftmarken setzen wollen, mit eigenen Gesetzesinitiativen, eigenen Entschließungsanträgen. Da kommt mehr Output raus und der will besprochen werden. Da könnte jede Fraktion mehr Selbstdisziplin wahren lassen, sich etwas zurücknehmen und weniger Anträge stellen.

Es wäre eine Lösung, wenn sich die politischen Kräfte selbst einschränken?

Gerade für die Opposition ist das natürlich schwierig, weil sie weniger Möglichkeiten hat, politisch wirksam zu sein.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat in dieser Woche vorgeschlagen, den Bundestag zu verkleinern und die Zahl der Minister und Staatssekretäre zu reduzieren. Müssten dann nicht weniger Abgeordnete und Regierungs-Mitarbeiter noch mehr Arbeit stemmen?

Aus Sicht einer Groko-Partei kann man das so fordern, weil sie ein paar hundert Abgeordnete haben und womöglich ein paar Hinterbänkler, auf die sie verzichten können. Aber Fraktionen von unserer Größe oder der Grünen: Wie man da mit noch weniger Leuten noch mehr Arbeit schaffen soll, ist mir völlig schleierhaft. Ich bin Mitglied in drei Ausschüssen. Soll ich dann Mitglied in noch mehr Ausschüssen sein? Dann mache ich keine gute Arbeit mehr.

Auf Twitter haben Sie geschrieben: „Wenn man gute Politik haben möchte, muss man gute Arbeitsbedingungen dafür schaffen.“ Was heißt für Sie „gute Politik“?

Als Fachpolitikerin brauche ich Zeit für Recherche, muss mich informieren über mein Fachgebiet, damit ich mir überhaupt kluge Gedanken machen kann, wie man die besten Lösungen findet. Das geht nicht, wenn ich keine Zeit habe.

Wie könnten die Abgeordneten zumindest bei der Arbeit im Bundestag mehr Zeit bekommen?

Man sollte die Präsenzzeit im Plenum begrenzen: Ab Mitternacht geht wirklich alles nur zu Protokoll.

Würden dann wichtige Entscheidungen womöglich später zustande kommen?

Wenn es einen gemeinschaftlichen Konsens gibt, dass ab einer bestimmten Uhrzeit die Reden zu Protokoll gegeben werden, ist immer noch eine Entscheidung möglich. Niemand verfolgt nachts um drei Uhr eine Debatte. Und wenn es mehrere Lesungen zu einem Gesetz gibt, kann man ja nur eine öffentlich machen, dann gab es eine Livedebatte. Alle sechs Fraktionen müssen disziplinierter werden.

Sollten die Debattenzeiten verkürzt werden?

Man müsste die Balance verändern. Im Moment entspricht der Redeanteil einer Partei dem Anteil im Parlament. Bei einer typischen 38-Minuten-Debatte haben wir und die Grünen etwa vier Minuten, die großen Parteien haben sehr viel mehr Zeit. Es muss ja nicht sein, dass jede Partei die gleiche Redezeit hat, aber es muss nicht eine Partei dreimal so viel haben wie die andere, weil sie erzählen ja meist dreimal das Gleiche.

Inwiefern arbeiten ausgeschlafene Politiker besser?

Die Gesetze sind dann nicht schlampig und fehlerhaft, die sind oft mit heißer Nadel gestrickt. Zum Beispiel beim Klimapaket, oder bei den Koalitionsverhandlungen: Mir kann doch keiner erzählen, dass man nach 20 Stunden am Stück miteinander intelligent reden kann. Am Ende kommen schlechte Kompromisse zustanden.

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19 Kommentare

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  • Ein Schlag ins Gesicht jedes Pflegers. Haha. So gewinnt man Wähler. :-D

  • Frau Domscheit-Berg hat bei McKinsey gerabeitet. Dass sie jetzt den Abgeordnetenjob für so hart hält,sagt viel aus nicht nur über sie, sondern auch über McKinsey...

  • "Menschenunwürdig", ernsthaft? Weil man fürs Wassertrinken in den Vorraum gehen muss? Da fallen mir mühelos ein paar Jobs ein, die wesentlich härter sind.

    Das Parlament regelt im übrigen selber, welche Regeln gelten. Da könnte eine gewählte Abgeordnete natürlich ein überarbeitetes Regelwerk ins Parlament einbringen.

  • Eine Verkleinerung des Bundestags ist dringend erforderlich.

    Derzeit haben wir 709 Abgeordnete im Bundestag. Nur China hat ein größeres Parlament.

    Die USA haben 435 Abgeordnete im Repräsentantenhaus und die USA sind deutlich größer als Deutschland.

    Ansonsten halte ich Arbeitszeitregelungen für die Abgeordneten für dringend erforderlich. Lauterbach hat dazu ein lesenswertes Interview im Spiegel gegeben.

  • Wieso? Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten haben doch noch einen Nebenjob - oder werden zumindest für irgendetwas nebenbei bezahlt!

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Das ist natürlich hart, wenn man am Abend gebechert hat und am nächsten Tag seinem dehydrierten Körper kein Wasser zuführen darf.

    Da klebt die Zunge schon mal am Gaumen.

  • 7G
    75064 (Profil gelöscht)

    Auch wenn mir jetzt zu Recht whataboutism vorgeworfen wird, seien mir zwei Anmerkungen gestattet:



    1. Der Arbeitsplatz Parlament ist einer der wenigen, wo die Regeln vollständig von denen bestimmt werden, die dort tätig sind. Wenn Euch, liebe Parlamentarier, diese Regeln zu anstrengend erscheinen, ändert sie.



    2. Zumindest für einige Abgeordnete, scheinen die Arbeitsbedingungen ja jedenfalls noch so erträglich zu sein, das Energie für bezahlte Nebentätigkeiten vorhanden ist - falls dies daran liegt, dass diese Abgeordneten nicht mitmachen und die anderen mehr arbeiten müssen, ändert die Regeln.



    3. Die Mitglieder des Parlaments haben in den letzten Jahrzehnten in anderen Bereichen viel schlechtere Arbeitsbedingungen zu sehr viel schlechteren Konditionen zugelassen - Beispiele sind: Pflege, Fleischindustrie, Leiharbeit allgemein, usw. Da könnte der Bundestag jederzeit Änderungen veranlassen.



    4. Unser Wohlstand ist zu wesentlichen Teilen in der Ausbeutung anderer Menschen in anderen Weltregionen begründet - ändern Sie das!

    • @75064 (Profil gelöscht):

      Auf den Punkt. Vielen Dank!

    • @75064 (Profil gelöscht):

      Treffend!

    • 7G
      75064 (Profil gelöscht)
      @75064 (Profil gelöscht):

      O.k. - es sind 4 Anmerkungen geworden - sorry.

      • @75064 (Profil gelöscht):

        Sie haben vollkommen Recht. Wenn der Bundestag nicht mal in der Lage ist für seine Abgeordneten eine artgerechte Haltung einzuführen wieso sollte er dann das bei anderen Menschen tun.

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Nunja, einerseits mag es viel Arbeit sein, aber viel von dieser Arbeit ist vielleicht gar nicht notwendig. "Im Bundestag sitzen sechs Fraktionen, die alle ihre Duftmarken setzen wollen, mit eigenen Gesetzesinitiativen, eigenen Entschließungsanträgen."



    Oder anders: Besteht der Bundestag nicht hauptsächlich aus Lobbyisten und die Abgeordneten sind eigentlich nur "Angestellte von Firmen" (man liest oft von der Automabilbranche)?

    Wenn es wirklich darum ginge ein Volk zu vertreten, reichte vermutlich eine zweistellige Zahl Abgeordneter völlig aus.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    der einzige mensch, der einschätzen kann, was ich aushalte, bin ich selbst.



    das gilt auch für alle anderen menschen.



    wenn also jemand die abläufe im bundestag schwer aushaltbar findet, verbieten sich zynische kommentare. und immer von den leuten, die ganz genau bescheid wissen.



    entbehrlich. lieber mal über´s thema reden?

    • @90118 (Profil gelöscht):

      Ahso und wenn für mich, nach meiner Einschätzung, mehr als 2 h Arbeitstätigkeit eben nicht auszuhalten sind, muss mein Arbeitgeber das eben ermöglichen. bei vollem Gehalt selbstverständlich.

  • Es ist aber auch anstrengend den ganzen Tag Phrasen um sich werfen zu müssen.



    Und dann noch die Vorbereitungszeit, nein das ist wie Hausaufgaben erledigen!

    "Man sollte die Präsenzzeit im Plenum begrenzen: Ab Mitternacht geht wirklich alles nur zu Protokoll."

    - Warum gibt es keine Anwesenheitspflicht für Alle?



    Damit lassen sich wunderbar 10 Arbeitsstunden am Tag verbringen.



    Zudem macht es schlicht keinen Sinn den Parteien Redezeit nach jeweiliger Größe zu geben, dass schreit förmlich nach Missbrauch.

    • @Jakob Frankenbach:

      "Anwesenheitspflicht für alle"

      Wozu? Die Arbeit findet in den Ausschüssen statt. Dort sitzen die jeweiligen Experten der Parteien zum jeweiligen Thema. Im Plenum werden die Ergebnisse dann hauptsächlich für Medien und Öffentlichkeit vorgetragen. Müssen die Bildungs- oder Verkehrsexperten aller Parteien anwesend sein, wenn die Nordafrika-Experten über Äthiopien und Eritrea sprechen? Wo bliebe dann Zeit für die Menschen im Wahlkreis, Recherche und Erarbeitug von Papieren, Inteviews und alle übrigen Termine, geschweige denn Zeit für ein Privatleben? Es wird ja gerne über die Arbeitsergebnisse der Abgeordneten gemeckert, aber die 40-Stunden Woche, die vielen schon zu viel ist, würden sich manche Abgeordnete mit über 60-Stunden pro Woche wohl wünschen.

    • @Jakob Frankenbach:

      Sind Sie sicher das richtig gelesen zu haben?

      "Warum gibt es keine Anwesenheitspflicht für Alle?"

      Weil das nicht machbar ist? Politiker haben Termine, Veranstaltungen an denen sie teilnehmen müssen, Ausschüsse, etc. Wie will man Parlamentssitzungen abhalten wenn man sich mit hunderten von Abgeordneten auf Termine einigen muss? Das kann nicht gehen.

      Anwesenheitspflicht hiesse dass Abgeordnete viele Termine schlicht nicht wahrnehmen können, weil sie im Parlament sein müssen.

      Zumal, diese Sitzungen teils bis tief in die Nacht gehen. Irgendwann muss auch ein Politiker auch mal schlafen. Da muss man sich dann die Sitzungen heraussuchen die sie persönlich für wichtig halten und bei denen sie garantiert etwas beitragen können oder abstimmen wollen.

      10 Arbeitsstunden pro Tag sind übrigens ein laues Lüftchen für die meisten Vollzeitpolitiker.

      Sie wollen hier genau in die entgegengesetzte Richtung von Frau Domscheit-Berg - ich vermute mal dass diese eher um die Realität des Politikeralltags weiß als Sie.

  • Das hat nix mit der Größe des Bundestags zu tun. Da muss man halt auf morgen verschieben, priorisieren und delegieren. Außerdem kann man sich die stundenlangen nutzlosmonologe, denen man im TV zusehen kann sparen. Das Gerede ändert an der folgenen Beschlußlage rein gar nichts!



    Und ganz wichtig: Der normale Arbeitnehmer hat nach 8-10 Stunden nach hause zu gehen. Erholung ist quar Gesetz vorgeschrieben.



    Was glauben die was die show soll? Tage von morgens um 8 bis weit nach Mitternacht, und dann werden Entscheidungen von nationaler und internationaler Tragweite getroffen. Sorry, wenn man ersthaft und sauber arbeiten möchte, geht man nach 10 Stunden nach hause und sucht sich n Hobby bei dem man abschalten kann.

  • Ach guck!



    Frau Domscheit-Berg tut auf einmal so empathisch.



    Das wahre Gesicht der Ex-McKinsey-Tante: twitter.com/anked/...105117249596256256