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Linken-Politiker über Konjunkturpaket„Dann wäre die GroKo bekloppt“

Mehrwertsteuer runter und dann wieder rauf? Fabio De Masi, Wirtschaftsexperte der Linken, warnt davor: Wenn senken, dann dauerhaft.

Beklatscht und schon wieder vergessen: das überbelastetet Pflegepersonal Foto: Stefan Boness/Ipon
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Herr De Masi, 2006 hat die Linke die Erhöhung der Mehrwertsteuer gegeißelt, nun sind Sie gegen deren temporäre Absenkung. Wie passt das zusammen?

Fabio De Masi: Wir sind nicht gegen eine Senkung. Die SPD wollte einst 0 Prozent Erhöhung und die Union 2 Prozent und dann kamen 3 Prozent raus. Das war ein Griff ins Portemonnaie. Aber eine Erhöhung wird von Unternehmen immer stärker an Verbraucher weitergegeben als eine Senkung. Wenn man die Mehrwertsteuer nach einem halben Jahr wieder erhöht, dann zieht man eine dicke wirtschaftliche Bremsspur. Wenn man daher die Mehrwertsteuer senkt, dann dauerhaft.

Die Senkung soll ja jetzt kurzfristig den Konsum ankurbeln.

Ich bin skeptisch, ob sich Leute jetzt einen neuen Kühlschrank kaufen, die um ihren Job bangen. Um Unsicherheit zu überwinden, muss der Staat mehr investieren.

Die Deutsche Bahn hat schon angekündigt, sie würde die Senkung an die Verbraucher weitergeben.

Bild: Karin Desmarowitz
Im Interview: Fabio De Masi

geboren 1980, war Europawahl-Spitzenkandidat für das neu gegründete Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW). Bis 2021 saß der Volkswirt für die Linken im Bundestag, war deren Fraktionsvize sowie finanz­politischer Sprecher.

Die Bahn ist ein Staatskonzern, die müssen das wegen der Regierung machen. Konzerne wie Amazon, die in der Co­ro­na­kri­se ihre Marktmacht ausbauen, werden das vielleicht einstecken.

Halten Sie es für wahrscheinlich, dass die Mehrwertsteuer im Januar 2021 wieder angehoben wird, also im Bundestagswahljahr?

Dann wäre die Große Koalition richtig bekloppt!

Die Mehrwertsteuersenkung kostet bis Ende des Jahres 20 Milliarden Euro. Hätte man dieses Geld besser an anderer Stelle ausgeben sollen?

Man hätte natürlich für das Geld auch gezielt Familien länger unterstützen oder Selbstständige besser finanzieren können. Und Pflegekräfte, für die man kürzlich noch geklatscht hat, gehen komplett leer aus. Das Problem bei steuerlichen Maßnahmen ist, sie helfen nur, wo es noch Umsätze gibt.

Es gibt doch im Konjunkturpaket 25 Milliarden Euro direkte Hilfen für Unternehmen. Ist das zu wenig?

Wir haben ein Problem bei Selbstständigen. Die Hilfen gelten nur für deren Betriebskosten. Und bei der Grundsicherung für Selbstständige hakt es in der Praxis.

Nun ist die deutsche Wirtschaft stark exportorientiert. Was bringt es, die Binnennachfrage anzukurbeln, wenn die Exporte im Ausland wegen der dortigen Wirtschaftskrisen wegbrechen?

Die fetten Jahre im Export sind vorbei. Wir können in Zeiten des Klimawandels, in Zeiten von Trump und Corona nicht wieder exportieren, bis der Arzt kommt.

Das Konjunkturpaket zielt doch vor allem auf Stärkung der Binnennachfrage, oder nicht?

Es gibt sinnvolle Maßnahmen im Konjunkturpaket – den Kinderbonus, Hilfen für Kommunen, den Verzicht auf Kaufprämien für Verbrennungsmotoren. Wir brauchen aber mehr und dauerhafte öffentliche Investitionen, um die Wirtschaft fit für die Zukunft zu machen, keine Wunderkerze, die schnell abfackelt. Die Große Koalition hat zu lange an der schwarzen Null festgehalten und es verpennt, rechtzeitig zu investieren. Jetzt sind ja bald schon wieder Wahlen!

Und jetzt gibt der Staat auf einmal 130 Milliarden Euro aus. Ist das Konjunkturpaket wenigstens ausreichend dick?

Das Volumen des Konjunkturpakets ist erst mal okay. Es ist aber denkbar, dass wir mehr brauchen werden.

Noch mehr Geld! Wer soll das bezahlen?

In der Krise ist es immer teurer, zu kürzen. Die Ausgaben des Staates sind die Einnahmen der Unternehmen und die Löhne. Aus Schulden muss man rauswachsen und die Milliardäre besteuern. Damit würgt man nicht die Konjunktur ab. Und: Die Europäische Zentralbank muss die Staatsausgaben garantierten, denn sie kann in Euro nie pleitegehen!

Die Bundesregierung setzt jetzt auf Wachstum und will ab 2023 Schulden tilgen. Halten Sie das für realistisch?

Es ist denkbar, dass sich die Wirtschaft bis 2023 wieder erholt. Aber man sollte längerfristig tilgen – etwa über 50 Jahre wie in Nordrhein-Westfalen statt über 20 Jahre. Sonst sediert man die Wirtschaft, wenn man zu schnell tilgt.

Man sollte die Schulden also am besten an die nächste Generation weiterreichen?

Den nächsten Generationen gehören auch die Enkel der Quandts oder Klattens an. Die kann man besteuern. Warum sollen Universitäten für unsere Enkel nur von der Großmutter bezahlt werden? Ein Haus baut man auch auf Raten.

Eigentlich gilt doch die Schuldenbremse. Der Bund musste bereits einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, die Bundesländer müssen es ab diesem Jahr. Ist die Schuldenbremse passé?

Sie steht noch im Grundgesetz. Aber sie muss weg. Man muss Investitionen auch über Kredite finanzieren. Solange es die Schuldenbremse aber gibt, brauchen wir nach der Coronakrise eine Vermögensabgabe für die oberen 1 Prozent.

Und wenn die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt würde, dann bräuchte man keine Vermögensabgabe mehr?

Wir als Linke wollen ja wieder eine dauerhafte Vermögenssteuer. Wenn die Schuldenbremse aber in Kraft bleibt, droht ein Kürzungshammer nach der Bundestagswahl. Dann braucht es zunächst eine einmalige Vermögensabgabe wie nach dem Zweiten Weltkrieg, die verfassungsrechtlich mit der besonderen Last begründet wird. Damit nicht wieder jene die Rechnung bezahlen, die den Laden am Laufen halten.

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6 Kommentare

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  • Danke

    Mit dem Corona Rettungspaket 130 Milliarden € tritt die Groko, unabgestimmt mit EU, WTO, Weltbank, IWF, die Flucht nach vorne an, auf Deubel komme heraus, auf virtuellem Wachstumspfad zu verharren, den Krisen Modus zu vermeiden, der nach strukturellen Reformen an Haupt, Gliedern in Politik, Gesellschaft, Ausrichtung der Wirtschaft, Kultur, Sport, Medien, Makro- , Mikroökonomie, Umgang, Verteilung von Volksvermögen, Grund, Boden, Patentrechten, Mobilität, Verkehr, Energie, Tourismus, Steuergesetzgebung verlangt, in dessen Mittelpunkt, angesichts Paradigmenwechsel von Globalisierung Glokalisierung, die Stärkung der Selbstversorgung von Regionen, Kommunen, Privathaushalten steht, diese gegen Agrarindustrie Lobby mit Anbauflächen zu versorgen, vernetzt mit sozialem Kaufkraft Bestands- , Klima- , Umweltschutz.



    Gegenwärtig wird der Geldumlauf durch Rettungspakete, unter Vortäuschung gleichberechtigter Verteilung von Geld auf alle gesellschaftlichen Schichten, dermaßen aufgebläht, als wollten Regierungen, die Welt über Deflation, Hyper Inflation bei anziehender Wirtschaft, mit einem Knall vom Gelde befreien. Vorher aber noch ihre üblich vermögensnahen Klientel mit Cash versorgen, mit staatlichen Zuschüssen, bzw. Krediten bei Nullzins global in Sachwerte, Aktien, Immobilien, Grund, Boden, Edelmetalle zu investieren, während Privathaushalte, Unternehmen, die auf hohen Dispo Schulden sitzen, trotz staatlicher Zuwendung, dazu nicht in der Lage sind.

    Warum fordert die Bundesregierung Banken, Sparkassen, Versicherungen in der Corona Pandemie nicht als erstes auf, angesichts Negativzinspolitik, ihre Hypotheken- , Kreditzinsen, sonders Dispositions- , Kontokorrentkreditzinsen automatisch anzupassen, von über 12 %/anno auf 4 und weniger % herabzusetzen, sich damit der Kaufkraft schwächenden Verschuldungsproblematik von Privathaushalten, Freiberuflern, Kulturschaffenden, Klein- , Kunstgewerbe, Gastronomie, Arztpraxen, Anwaltskanzleien, Unternehmen, zu stellen?

  • 0G
    01089 (Profil gelöscht)

    Contradictio in adiecto bereits im zweiten Satz des Untertitels. Beeindruckend.

  • Ein Politiker, der tatsächlich was von Ökonomie versteht!



    Und dann auch noch jemand von der Linkspartei! Wo man diese Kompetenz ja in der breiten Wahrnehmung ja eher nicht vermutet. Als ob jene etwas von "Volkswirtschaft" verstehen würden, die vor allem die (kurzfristigen) Interessen von Konzernen im Sinn haben... Das ist nämlich meistens der Fall bei jenen PolitikerInnen, denen allgemein "Wirtschaftskompetenz" zugeschrieben wird...

    • @kritikderkritikderkritik:

      Sorry, aus Basis der wenigen, relativ allgemeinen Aussagen von Herrn de Masi wäre ich sehr vorsichtig, auf "Wirtschaftskompetenz" zu schliessen..



      Herr de Masi ist ein Anhänger der "Modern Monetary Theory" (MMT), die grob besagt, dass Zentralbanken soviel Geld in eigener Währung "drucken" können, wie sie wollen. Und mit diesem Geld könne man die Wünsche ALLER befriedigen.



      DAs Problem ist: man muss damit rechtzeitig aufhören - also bevor die Bevölkerung das Vertrauen in die Währung verliert und eine hohe Inflation resultiert. Dann leiden nämlich die Schwächsten.

  • Nach dem Lesen des Artikels frage ich mich, ob der Interviewte Fabio De Masi wirklich genug von der Wirtschaft versteht. Steuern sind nun einmal nötig - leider! Auch die MWST ist nötig geworden. Und Deutschland hat innerhalb des Wirtschaftsverbundes EU einen recht niedrigen Satz für diese Staatseinnahme.

    Obwohl er bezweifelt,dass sich 'die Leute jetzt einen neuen Kühlschrank kaufen. Darum geht es auch nicht. Es werden nur diese neue 'Kühlschränke (oder andere Verbrauchsgüter) kaufen, bei denen ein solcher Kauf in der nächst Zeit ansteht. Dies werden auch nur diejenigen tun, die einen solchen Kauf finanzieren können. Aber besonders durch einen temporären Anreiz ermäßigter Preise werden viele eben doch sich zu Ausgaben entschließen.

    Der 'Wirtschaftsexperte' möchte lieber Geld nachdem Prinzip der Gießkanne verteilen. Es macht doch keinen Sinn, etwa noch mehr Kindergeld zu verteilen. Wer die Zahl der Empfänger nach Bedürftigkeit eingrenzen möchte, wird mit endlosen Debatten, Klagewellen vor Gerichten, bürokratischem Aufwand usw. konfrontiert. Und ein eventueller positiver Effekt wird sich erst in Zeiten zeigen, wenn die wirtschaftlichen Folgen der Krise wahrscheinlich abgeebbt sind.

    Auch müssen wir bedenken, dass Schulden durch Rückzahlungen und Zinsen in der Zukunft Ausgaben bedeuten. Dieses Geld wird dann zukünftig fehlen! Ein vernünftiges Maß am Verhältnis zwischen Ausgaben und Schulden in den vergangenen Jahren hat gezeigt, dass man so kritische Zeiten besser übersteht.

    Ein anderes Kapitel ist die berechtigte Forderung nach einer moderaten Erbschafts- und Kapitalsteuer. Auch das muss mit Augenmaß geschehen, denn wieviel Kapital wird als Betriebsvermögen usw versteckt -abgesehen von sonstigem Steuerbetrug. Die Steueroasen leben gut davon!

    Warum nur muss sich die Linke neben berechtigten Forderungen immer durch Illusionen und Wirklichkeitsferne unbeliebt machen?

  • "Mehrwertsteuer runter und dann wieder rauf? Fabio De Masi, Wirtschaftsexperte der Linken, warnt davor: Wenn senken, dann dauerhaft."

    ne, echt jetzt? Das fordert eine andere Partei - die AfD doch auch schon seit einer Weile.