Linken-Chefin Kipping über Arbeit: „Es geht um das gute Leben“
Jeder sollte zwei mit Steuern bezahlte Jobpausen einlegen können, fordert Katja Kipping. Es gehe um weniger Stress und mehr Selbstbestimmung.
taz: Frau Kipping, 42 Millionen Leute gehen in Deutschland einer Erwerbsarbeit nach, so viele wie noch nie. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig wie lange nicht. Ist doch prima, oder?
Katja Kipping: Dieses Bild ist unvollständig. Zwei Drittel fühlen sich gehetzt im Job, weil sie in kürzerer Zeit immer mehr erledigen müssen. Kein Wunder, dass Stresserkrankungen zunehmen.
Was kann man dagegen tun?
Die Arbeitszeit verkürzen, auch um die Arbeit gerechter zu verteilen. Die klassische kollektive Form dafür ist die Reduzierung der Wochenarbeitszeit. Es gibt auch andere Möglichkeiten.
Welche?
ist, gemeinsam mit Bernd Riexinger, Vorsitzende der Linkspartei. Die 34-Jährige ist Hartz-IV-Gegnerin. Sie setzt sich seit Jahren für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein.
Das Sabbatical, den zeitlich begrenzten Ausstieg aus der Erwerbsarbeit, ist eine individuelle Möglichkeit, um den eigenen Horizont zu erweitern, einem Burn-out vorzubeugen oder Zeit für die Familie zu haben. Im öffentlichen Dienst gibt es dafür Modelle. Aber jeder und jede sollte das Recht haben, zweimal im Berufsleben dies für maximal ein Jahr zu tun – und zwar ohne Armutsrisiko.
Gute Idee. Wer zahlt?
Man sollte es aus Steuergeldern finanzieren, so wie das Elterngeld. Also abhängig vom Einkommen zuvor, aber nicht weniger als etwa 1.000 Euro im Monat – das ist die aktuelle Armutsrisikogrenze – und nicht mehr als 1.800 Euro, das durchschnittliche Arbeitnehmer-Netto.
Was kostet das den Staat?
Das kann man schwer taxieren, weil unklar ist, wie viele das nutzen würden. Im öffentlichen Dienst gibt es das Modell, dass die Leute vier Jahre lang 75 Prozent ihres Einkommens erhalten und dann ein Jahr frei haben. Das wird kaum angenommen.
Ist dieses Sabbatical vom Staat das bedingungslose Grundeinkommen light?
Es ist eine Auszeit ohne Bedingungen. Aber anders als das bedingungslose Grundeinkommen könnte sich das Sabbatical-Geld oberhalb der Armutsrisikogrenze an der Höhe des bisherigen Lohns orientieren.
Ist zur Stressentlastung nicht Arbeitszeitverkürzung der bessere Weg? Für akut Burn-out-Gefährdete ist das Sabbatical eher gefährlich, weil sie die gewohnte Struktur verlieren.
Das soll keine akute Burn-out-Bekämpfung sein, sondern Vorbeugung. Es hilft, aus dem Hamsterrad des Alltags aussteigen zu können.
Deshalb wollen Sie neben Elterngeld und Vorruhestand noch ein weiteres Instrument?
Ja, dringend. Die Grundidee hat André Gorz entwickelt. Es geht darum, den ausufernden Bereich von Geld, Markt und Profit zu reduzieren und die Bereiche des Selbstbestimmten auszuweiten. Dazu ist das Recht auf zwei Sabbaticals ein Mittel. Es geht nicht nur um weniger Stress, sondern um das gute Leben.
Und zum guten Leben gehört zwingend ein Jahr Jobpause?
Das muss jeder selbst entscheiden. Aus Umfragen wissen wir, dass die Wünsche sehr verschieden sind. Manche wollen kürzere Arbeitszeit pro Tag, andere lieber einen Tag pro Woche mehr frei haben. Manchen reicht es, drei Monate auszusteigen. Das kann man niemandem vorschreiben. Mir geht es darum, dass mehr Menschen, und nicht nur die Reichen, das Recht dazu haben.
Laut Umfragen wünscht sich fast jeder Zweite ein Auszeit – trotzdem tut es kaum jemand. Und nicht nur wegen Geld und materieller Einbußen …
Es geht um mehr als Geld, das stimmt. Viele haben das Gefühl: Eigentlich macht man das nicht. Es hat etwas von Drückebergerei. Genau diese kulturelle Schranke versuche ich unter anderem mit dieser Idee zu senken. Ich finde, kürzere Arbeitszeiten sollten für eine gutes Leben Standard werden. Es gilt ja als Prestige und Wert an sich, 70 Stunden in der Woche zu arbeiten. Es gehört zum guten Ton, gestresst zu sein. Das ist falsch. Und Politik kann Angebote schaffen, die diese einseitige Fokussierung auf Erwerbsarbeit durchbrechen und Muße und ehrenamtliche Tätigkeit zu ihrem Recht kommen lassen.
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