Linke kritisiert Abschiebung: Endstation Kabul
46 Afghanen wurden Dienstag nach Kabul abgeschoben, darunter drei aus Brandenburg. Die Linke attackiert deshalb den Koalitionspartner SPD.
Zwei von ihnen, die in Cottbus und Forst lebten, wurden erst am Montag bzw. Dienstagmorgen festgenommen. Beide steckten noch im Erst-Asylverfahren, ohne dass diese verbindlich abgeschlossen wurden. Eilanträge gegen die Abschiebung waren jedoch kurz vor dem Abschiebeflug gescheitert. Ein dritter Afghane saß bereits seit einiger Zeit im Abschiebegefängnis in Hannover.
Die Linken-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige hatte am Flughafen vergeblich versucht, zu den Afghanen vorgelassen zu werden. Am Tag danach ist sie immer noch darüber konsterniert, dass das rot-rot regierte Brandenburg in das Bürgerkriegsland abgeschoben hat. „Es zeigt, dass wir einen Dissens in der Koalition haben“, sagt Johlige mit Blick auf die SPD und das von ihr geführte Innenministerium. „Das Hauptproblem ist, dass sich das Innenministerium rauszieht und auf die Verantwortung der Kommunen verweist.“ Das Thema werde in der Koalition zu besprechen sein, so die asylpolitische Sprecherin der Linksfraktion.
In einem schiitischen Viertel von Kabul hat sich am Mittwoch eine schwere Explosion ereignet. Nach der Detonation im Westen der afghanischen Hauptstadt würden viele Opfer befürchtet, teilten mehrere Behördenvertreter mit. (afp)
Zuvor hatte Brandenburg erst einmal nach Afghanistan abgeschoben, im März 2017 traf es einen gut integrierten Mann, der seinen Lebensunterhalt selbst bestritt und in einer eigenen Wohnung lebte. Damals hatte die Brandenburger Koalition einen Beschluss gefasst, demnach alle Spielräume ausgenutzt werden sollten, um nicht nach Afghanistan abzuschieben. „Diese Spielräume sind jetzt nicht ausgenutzt wurden“, sagt Johlige.
Freibrief für die Kommunen
Das hat womöglich mit einem Schreiben des Innenministeriums an die Kommunen und Ausländerbehörden von Anfang Juli zu tun. Unter der Überschrift „Rückführung nach Afghanistan“ wird darin informiert, dass „der Bund die Aussetzung bzw. Beschränkung der Rückführungen nach Afghanistan für nicht mehr geboten“ halte. Demnach hänge die Abschiebung „stark von der persönlichen Situation der Ausreisepflichtigen ab“. Für Johlige ist das ein Freibrief, jeden Afghanen abschieben zu können. Sie fordert eine andere Kommunikation: „Man hätte auch schreiben können, dass man die Lageeinschätzung des Bundes nicht teilt.“
Das Innenministerium hatte auf Anfrage darauf verwiesen: „Grundsätzlich muss Abschiebungen immer eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalles vorausgehen.“ Dass zwei der nun Abgeschobenen in der Zuständigkeit der Stadt Cottbus waren, könnte derweil noch eine andere Erklärung haben. Im nächsten Jahr stehen Landtagswahlen an und angesichts der rechten Mobilisierungen in der Stadt droht die CDU den Wahlkreis Cottbus an die AfD zu verlieren. Ein hartes Vorgehen bei Abschiebungen könnte ein Versuch sein, wieder Boden gut zu machen.
Myrsini Laaser, Rechtsanwältin der drei Afghanen äußerte sich am Mittwoch auf ihrer Facebookseite. So sei bei einem ihrer Mandanten, der vor der Taliban geflohen sei, der Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgewiesen worden. Dies sei bei Fällen aus Afghanistan „untragbar“ – „das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so.“ Ein Urteil gegen den „offensichtlich rechtswidrigen“ Bescheid wurde nicht abgewartet und kann nun erst im Nachhinein angegriffen werden. „Eine Abschiebung im laufenden Asylverfahren haben wir insbesondere aus Brandenburg nicht erwartet“, so Laaser.
Auch sprächen gesundheitliche Gründe gegen die Abschiebung, so Laaser. Der 21-jährige Mann, der in der Unterkunft in Forst arbeitet, leidet laut der Sozialarbeiterin der Gemeinschaftsunterkunft unter panischer Angst und hat bereits versucht sich das Leben zu nehmen.
Der Brandenburger Flüchtlingsrat kritisiertet, die Abschiebungen stünden „im Widerspruch zu den eigene Aussagen des Brandenburger Innenministeriums“ nur Gefährder oder Straftäter abzuschieben. „Offensichtlich stehen stattdessen überwiegend Kranke und Schutzbedürftige auf der Abschiebeliste der Landesregierung“.
Die Sammelabschiebung am Dienstagabend war die insgesamt 15. in das bürgerkriegsgebeutelte Land. Seit Dezember 2016 wurden etwa 350 Menschen nach Kabul ausgeflogen. Einschränkungen bei der Abschiebung – nur Straftäter, Gefährder und Menschen, die sich weigern, bei ihrer Identitätsfeststellung mitzuwirken –, die seit einem Anschlag auf das deutsche Botschaftsgebäude in Kabul im Mai 2017 bestanden, wurden im Juni aufgehoben.
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