Linke bei den US-Demokraten: Wer mit Biden tanzt
Die Linke übt bei den US-Demokraten den Schulterschluss mit dem Parteiestablishment. Ein riskantes Spiel um die eigene Glaubwürdigkeit.
D ie Hauptfiguren der amerikanischen Linken bringen ihr wachsendes Gewicht voll in die Biden-Regierung ein. Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez und der Mitbegründer der Justice Democrats, Saikat Chakrabarti, fördern das Gelingen des Biden-Programms auf breiter Front.
So ist es, seit Barack Obama im Frühjahr des vergangenen Jahres Bernie Sanders überzeugte, aus dem Rennen um die demokratische Nominierung als Präsidentschaftskandidat auszusteigen. Eine zweite Amtsperiode von Donald Trump galt es zu verhindern; ein heißer Wahlkampf gegen Joe Biden hätte Biden als Frontrunner beschädigt. Damals geisterte der Vorwurf aus dem letzten Wahlkampf im Jahr 2016 durch die Diskussionen, dass Bernie Sanders die Kandidatur Hillary Clintons durch sein starkes Abschneiden ernsthaft beschädigt und damit die Präsidentschaft von Donald Trump erst ermöglicht habe.
Offenbar haben die maßgeblichen Links-Politiker jetzt entschieden, den Konsenskurs fortzusetzen. Gerade nach dem Sturm auf das Kapitol wirken die Biden-Unterstützer des Landes vereint, und die Linken wollen an vorderster Front betont loyal mitspielen. Lange ist es her, dass 150 Klimaaktivisten der Sunrise-Bewegung, von Alexandria Ocasio-Cortez angefeuert, im Jahr 2018 das Büro von Nancy Pelosi, Mehrheitsführerin des Repräsentantenhauses, belagert haben. Das neue Wohlwollen setzt jetzt durchaus auf eine gewisse Gegenseitigkeit.
Wenn Saikat Chakrabarti sein „No Excuses Political Action Committee“ einsetzt, um konservative Demokraten wie Senator Joe Manchin in West Virginia unter Druck zu setzen, wird er nicht mehr wie in den Obama-Jahren vom Weißen Haus zurückgepfiffen. Schließlich setzt Chakrabarti den Senator Manchin unter Druck, nicht länger gegen Bidens liberalere Linie beim Hifspaket der Regierung in der Coronakrise zu opponieren. Die neuen Aussenseiter sind nicht die Linken, sondern rechtslastige Figuren in der Partei wie Manchin oder Kyrsten Sinema aus Arizona. Bernie Sanders wurde als Vorsitzender des Ausschusses für das Budget im Senat eingesetzt, der Progressive Senator aus Ohio, Sherrod Brown, als Vorsitzender des Ausschusses für Bankenwesen.
Streit ums Personal
Doch auch die Risiken dieser Strategie sind bereits zu erkennen. Die ernsthafteste Auseinandersetzung über Personalien in der Biden-Regierung hat sich entfacht, als durchgesickert war, dass Biden kurz vor der Ernennung des Juristen Michael Barr als Chef des Office of the Comptroller of the Currency (OCC) stehe. Die linken Demokraten favorisieren stark die Professorin Mehrsa Baradaran aus Kalifornien, Expertin für ethnische Ungerechtigkeiten in der Praxis der amerikanischen Bankenindustrie. Michael Barr war, wie so viele in der Biden-Regierung, bereits in der Obama-Regierung tätig und wurde schon damals von den Progressiven kritisiert für seine auffallend schwache Unterstützung der Hausbesitzer, die im Zuge der Finanzkrise in Gefahr waren, ihre Wohnhäuser zu verlieren. Obama wurde auch aufgrund seiner Versprechen an diese Hausbesitzer gewählt: Im Jahr 2009 versprach er als Präsident, vier Millionen dieser Hausbesitzer zu helfen, in ihren Häusern zu bleiben.
Doch Barr im Ministerium von Tim Geithner war maßgeblich verantwortlich dafür, den Großbanken viel Spielraum zu lassen. Bis 2013 hat die Obama-Regierung lediglich 1,4 Millionen Haushalten tatsächlich Hilfe geleistet. Jetzt wird Michael Barr zusätzlich kritisiert für seine engen Beziehungen zur Cryptowährungsindustrie und der sogenannten Fintech-Branche. Als OCC-Chef säße er an den Hebeln, um das Gedeihen dieser Branche zu fördern.
All das ist ironisch, wenn man bedenkt, wie wichtig die armen Wähler:innen der Innenstädte in Bundesstaaten wie Michigan, Arizona und vor allem Georgia für Bidens Sieg waren. Dieser Sieg war das Verdienst der afro-amerikanischen Politikerin Stacey Abrams. Schwarze Wähler:innen haben hier eine immense Leistung für die Demokratische Partei erbracht. Doch bereits die Professoren Martin Gilens und Benjamin Page von der Princeton-Universität zeigten in einer Studie der Jahre 1981 bis 2002, dass normale Wähler:innen so gut wie nie ihre Wünsche durchsetzen können, wenn die Eliten diese Wünsche nicht auch teilen. Die Frage ist jetzt: Was wird aus dem Sieg der einfachen Wähler:innen, nach dem Sieg von Joe Biden?
Die Frage ist auch, was für die Linke gewonnen wäre, wenn sie jetzt im engen Schulterschluss mit der konservativeren Spitze arbeitet. Schon jetzt müssen die Aktivisten in Georgia, die Bidens Senatsmehrheit gesichert haben, erklären, wieso Biden lediglich 1.500 Dollar Hilfszahlungen statt wie im Wahlkampf versprochen 2.000 Dollar durch den Kongress bringen will.
Green New Deal
Chakrabarti will, dass Biden seine Präsidentschaft nutzt, um das amerikanische Sozialsystem auf Jahrzehnte hinaus abzusichern. Dazu will Chakrabarti noch einen „Green New Deal“, allesamt lohnende Ziele.
Aber was ist, wenn Biden scheitert oder wie Obama das Ziel verfehlt? Dann hat die Linke womöglich die eigene Glaubwürdigkeit auf Jahrzehnte hinaus beschädigt. Es ist ganz klar, die Linke will, wie Trump bei den Republikanern, den Laden von innen kapern. Aber wenn sie es nicht schafft, wenn sie die Beharrungskräfte des Mainstreams in der Partei unterschätzt hat, wird sie in vier Jahren vielleicht auch auf ähnliche Weise wie Trump in Bedrängnis geraten. Der Bruch zwischen den Fraktionen, der dann entsteht, könnte bleibend sein. Wenn die Einheitsfront scheitert, wird das Ende bitter. Die Kompromisse, die man auf dem Weg gemacht hat, würde man dann lange bereuen. Noch sind die Linken wie Alexandria Ocasio-Cortez und Chakrabarti jung und idealistisch, doch nach vier Jahren mit Biden wird es sehr schwer werden, ein eigenes Profil zu erkämpfen. Der Erfolg der Linken liegt jetzt in den Händen von Joe Biden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren