Linke Grüne zu Jamaika-Aus: „Die Zerreißprobe bleibt uns erspart“
Die Berliner Abgeordnete Canan Bayram war nicht überrascht vom Jamaika-Ende. Sie kündigt eine Debatte über die Zugeständnisse der grünen Verhandler an.
taz: Frau Bayram, die FDP hat die Jamaika-Sondierungen platzen lassen. Sind Sie erleichtert oder entgeistert?
Canan Bayram: Sagen wir mal so: Ich war nicht überrascht.
Also irgendwie doch erleichtert? Schließlich haben Sie schon im Vorfeld der Sondierungen gesagt, dass Sie eine Jamaika-Koalition nicht mitwählen werden. Jetzt kommen Sie erst gar nicht in diesen Gewissenskonflikt.
Das ist keine Kategorie für mich. Ich habe einfach bis zuletzt nicht geglaubt, dass es zu Jamaika kommt. Erleichtert würde ja heißen, dass ich es befürchtet hätte. Und selbst wenn es eine Einigung bei den Sondierungen gegeben hätte, hätte ich große Zweifel gehabt, ob dieses weite Entgegenkommen unserer Spitzenkandidaten überhaupt Rückhalt in der Partei gefunden hätte.
Es geht um höchst dehnbare Formulierungen wie etwa jene, dass eine Obergrenze für Geflüchtete von 200.000 als „atmender Rahmen“ gelten würde.
Richtig. „Deckel“, „Rahmen“ und andere unsägliche Wörter. Seitdem das jüngste Sondierungspapier geleakt wurde, ging in der Partei einiges ab. Deswegen war ich eher in der Stimmung: Hier wird das Unmögliche versucht und das wird nicht klappen.
Lag das an der FDP?
Zuletzt wurde in der Fraktion immer klarer, dass die FDP ein Unsicherheitsfaktor ist: Wenn wir über FDP-Positionen in der Innen- oder Rechtspolitik gesprochen haben, dann wurde oft gesagt, dass deren Position unklar sei. Aber es wurde deutlich, dass die Partei während ihrer parlamentarischen Auszeit in den letzten Jahren ihren national-liberalen Flügel gestärkt hat. Das erlebe ich auch als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses bei der Berliner FDP.
Jahrgang 1966, ist die bundesweit einzige direkte gewählte grüne Bundestagsabgeordnete. Die Innenpolitikerin hat den früheren Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg von Christian Ströbele im September knapp gegen den Kandidaten der Linken verteidigen können.
Für die linken Grünen ist der Abbruch durch die FDP die beste Lösung: Jamaika kommt nicht, und die Schuld daran trifft die FDP und nicht die Grünen.
Das hat der Partei eine Zerreißprobe erspart. Der Bundesparteitag am Samstag wäre für viele sehr schwierig geworden. Aber die parteiinterne Auseinandersetzung wird dennoch in gewissen Teilen stattfinden. Es muss darüber geredet werden, inwieweit die grünen Verhandler ihr Mandat überschritten haben.
Sie kommen gerade aus einer Sitzung der grünen Fraktionslinken. Wie war dort die Stimmung?
Sagen wir so: Es gibt Klärungsbedarf, in vielerlei Hinsicht.
Jamaika hätte ja zur absurden Situation geführt, dass die Grünen im Bund mit konservativen Kräften regieren, im Land Berlin aber mit linken Kräften.
Gerade aus einer Berliner Perspektive wären die Konflikte sehr hart gewesen. Ich sehe ja, welchen Anspruch wir an den Bund haben, um unsere rot-rot-grünen Projekte hier umzusetzen. Da wäre Jamaika eher ein Gegner als ein Partner gewesen.
Wie geht es Ihrer Meinung nach jetzt weiter im Bund?
Durch das Scheitern von Jamaika bekommt der Bundespräsident eine herausragende Rolle. Und dieser Präsident ist ja nicht irgendwer: Frank-Walter Steinmeier war mal Spitzenkandidat der SPD. Die Sozialdemokraten müssen jetzt für sich definieren, gegen welche Regierung sie künftig Opposition machen will. Das Grundgesetz macht es uns Abgeordneten nicht leicht, den Weg zu Neuwahlen zu finden. Wahrscheinlich ist also, dass es die aktuelle geschäftsführende Regierung erst mal weiter geben wird. Ich glaube, dass sich die Sozialdemokratie noch mal sehr eingehend mit ihrer Rolle in der aktuellen Konstellation beschäftigen muss – bei allem Verständnis für ihre Sehnsucht nach Opposition.
Was wäre mit einer Minderheitsregierung?
Noch vor Jamaika habe ich das auch mal als Idee erwähnt. Eine Variante wäre gewesen, CDU/CSU und FDP bilden die Regierung und man sucht wechselnde Mehrheiten. Aber in der jetzigen Situation wäre es ja nur die Union, die die Regierung bilden müsste.
Grüne und CDU/CSU haben sich in den Sondierungen doch gar nicht so schlecht verstanden …
Das war nicht mein Eindruck.
Sie glauben nicht, dass die beiden noch zusammen kommen können?
Es wurde uns in Fraktionssitzungen auch berichtet, dass es die CDU ist, die beim Klimaschutz bremst und die uns beim Thema Migration bis zum äußersten vorführen will. Nach dem Platzen der Sondierung haben alle über den geschimpft, der den Tisch verlassen hat. Aber man kann jetzt nicht sagen, dass es nur die FDP war, die alles verweigert hat. Das würde zu kurz greifen.
Zum Abschluss einen inhaltliche Frage: Was den in den Verhandlungen umstrittenen Familiennachzug von Flüchtlingen mit sogenanntem subsidiärem Schutz angeht, ist das Ende der Sondierung doch eine prima Sache. Die Aussetzung für zwei Jahre läuft ja wiederum im Frühjahr 2018 aus, oder?
Genau. Ab März. Das ist in Paragraf 104 des Aufenthaltsgesetz geregelt. Ich fand es beachtlich, dass unsere Verhandler gar nicht transportiert haben, dass es nicht darum geht, dass wir Grünen etwas wollen – nämlich den Familiennachzug. Sondern dass die anderen von uns wollten, dass wir unsere Zustimmung geben zur Verlängerung dieser menschenverachtenden Vorschrift – der Aussetzung des Familiennachzugs.
Die Vorschrift wird also auslaufen?
Auch die SPD hat gesagt, sie würden einer solchen Aussetzung nicht mehr zustimmen. Bei diesem Thema hat die Union im Bundestag wirklich nur die FDP und die AfD an ihrer Seite. Es wäre ein Tabubruch, wenn diese Vorschrift mit den Stimmen dieser drei Fraktionen verlängert würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader