Liegestütze auf dem Berliner Holocaust-Mahnmal: Mehr Nachhilfe für die Polizei
Im Vergleich zu rechtsextremen Chatgruppen sind Turnübungen eher ein Miniskandal. Warum die Polizei die Kritik trotzdem ernst nehmen sollte.
S chon als Kind wird einem beigebracht, wie man sich an gewissen Orten zu verhalten hat. In einer Kirche zieht man die Mütze ab, im Tempel oder Moschee die Schuhe aus. Und auf einem Denkmal, das an die Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen:Juden erinnert, wird nicht gewitzelt oder herum gerannt – so jedenfalls der unausgesprochene Konsens.
Auf der Webseite des „Denkmals für die ermordeten Juden Europas“, auch bekannt unter „Holocaust-Mahnmal“, werden Regeln und bevorzugtes Verhalten aufgelistet. Insbesondere nicht gestattet sind das Herumspringen von Stele zu Stele, Rauchen, Essen oder Genießen von alkoholischen Getränken und das Lärmen. Außerdem sind laute Gespräche und andere auffällige Verhaltensweisen nicht erwünscht. Wer also als Touri nichtsahnend auf der Denkmalfläche Fangen spielt und herumrennt, wird von patrouillierenden Polizeibeamt:innen gemaßregelt. Zurecht.
Nun wurden allerdings Anfang der ersten Novemberwoche Videoaufnahmen geleaked, auf denen insgesamt vier uniformierte Beamte zu sehen sind, die bei helllichtem Tag Liegestütze auf den Stelen ausführen. Dabei ist neben deren Sticheleien und Gegacker auch der vermeintlich ironisch gemeinte Satz „Sofort online gestellt“ zu hören, was impliziert, dass den Beamten die Geschmacklosigkeit ihrer Handlung durchaus bewusst ist.
Jetzt könnte man den Vorfall mit einem Seufzer begnadigen und sich weitaus schlimmeren Polizei-Affären widmen wie der Weitergabe von Privatdaten, berlinweiten Stalking-Aktionen oder der Aufdeckung der X-ten rechtsextremen Chatgruppe. Ein paar Liegestütze während der Dienstzeit wirken dagegen wie ein Witz und keiner Meldung wert, zumal die Mahnmal-Webseite Muskeltraining auf der Gedenkfläche nicht explizit verbietet.
Einfühlungsvermögen inexistent
Wenn man allerdings bedenkt, wie viel Kritik die Polizei in der Vergangenheit für ihren Umgang mit jüdischem Leben einstecken musste, ist das erneute Fehlverhalten der Polizei auf einem Denkmal, das an die Ermordung von Jüdinnen:Juden erinnert, ein trauriges Armutszeugnis.
Am Tag des Attentats auf die Synagoge und dem „Kiezdöner“ in Halle im Jahr 2019 habe es laut Zeugenaussagen neben fehlendem Polizeischutz vor der Synagoge auch an Empathie seitens der Polizei gemangelt. Ferner hätten diese nicht gewusst, warum sich so viele Menschen am höchsten Feiertag, dem Jom Kippur, in der Synagoge aufgehalten haben, und ihnen die Mitnahme vom koscheren Essen untersagt. Ein Jahr später, Anfang Oktober 2020, wurde in Hamburg ein jüdischer Student vor einer Synagoge attackiert – die Polizei wies indes Vorwürfe des mangelhaften Schutzes zurück.
Ein Vorfall von Fehlverhalten oder Rücksichtslosigkeit kann eventuell noch als Einzelfall bewertet und nachgesehen werden. Nicht aber, wenn der „Einzelfall“ zu Verletzungen oder gar Todesfällen führt. Das Verhalten der deutschen Polizei in den vergangenen Jahren erzeugt nicht den Eindruck von missglückten Einzelfällen, sondern eher das einer allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber jüdischem Leben.
Und auch, wenn es sich bei den paar Liegestützen um kein dramatisches Ereignis handelt – der Vorfall hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Einerseits, weil Vorgesetzte von dem Vorfall gewusst und nicht reagiert haben sollen. Andererseits, weil es innerhalb der Polizei Berlin einen Antisemitismusbeauftragten gibt, der dafür sorgen soll, dass sich die Beamten kritisch mit sich selbst auseinandersetzen und für das jüdische Leben sensibilisiert werden sollen. Neben Nachholbedarf in politischer Bildung, wie es die Polizeigewerkschaft fordert, sollte den Herren auch dringend Respekt beigebracht werden.
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