Liedermacher Gisbert zu Knyphausen: Der Zauderkünstler
Auf Deutsch und so herzergreifend und offen: Gisbert zu Knyphausen singt über sich und sein "eigentliches" Leben als 30-Jähriger, wie es nur wenige können - oder wollen.
Irgendwann hat Gisbert zu Knyphausen die Ärmel seines Kapuzenpullis so weit hochgeschoben, dass die Bündchen beinahe seine Achseln berühren. Soll ruhig jeder sehen, dass er nicht zum Spaß hier ist. Den Druck, den er auf sich spürt, gibt er an seine Klamotten weiter. Überhaupt wirkt Gisbert zu Knyphausen in diesem Konferenzraum, an diesem Tisch, als warte er auf eine mündliche Prüfung. Dabei ist das hier doch nur ein Interview - wobei: Was heißt hier eigentlich "nur"?
"Generell mache ich lieber Musik, als darüber zu reden", sagt er und trommelt mit den Fingern auf einer Plastikwasserflasche herum. "Was ich zu sagen habe, sage ich in meinen Liedern."
Gisbert zu Knyphausen singt auf Deutsch, über sich und sein Leben als 30-Jähriger, so herzergreifend und offenherzig, wie es nur wenige können und auch wollen. Gedanken darüber, ob er zu viel von sich preisgibt, macht er sich nicht. Doch auf der Bühne, wo ein Popstar ja eigentlich in seinem Element sein sollte, wirkt Gisbert zu Knyphausen nur ganz selten befreit, schon gar nicht entfesselt, eher befangen, wie einer, der kurzfristig eingesprungen ist, um jemand einen Gefallen zu tun, und sein Muffensausen kaum verbergen kann. Er könne sich auch gut vorstellen, irgendwann nur noch im zweiten Glied Gitarre zu spielen, sagt Gisbert zu Knyphausen. "Ich muss nicht der Bandleader sein." Das habe sich irgendwie so ergeben. Dass er es durchaus genießt, wenn andere machen, was er will ("Im Probenraum bin ich ein kleiner Diktator"), ist da kein Widerspruch.
Sobald er während eines Konzerts wieder einmal ewig seine störrische Gitarre stimmt oder sich selbst als "Entertainer" verspottet, weckt er Beschützerinstinkte. Als sich Gisbert von Knyphausen auch beim Releasekonzert seines zweiten Albums, "Hurra! Hurra! So nicht", im Berliner Babylon Kino in sich selbst verhedderte, rief ein Mädchen: "Wir freuen uns, dass du da bist", als befürchtete sie, der Sänger würde es sich doch noch anders überlegen, die Gitarre einpacken und sie zu Hause in Ruhe fertig stimmen. Völlig auszuschließen scheint das nie.
Gisbert zu Knyphausen ist der erstaunlichste Künstler, den die deutsche Indiepopszene derzeit zu bieten hat - und das hat nichts mit seinem altertümlichen Namen - alter Rheingauer Bauernadel - zu tun: Zwar erweckt Gisbert zu Knyphausen nicht wirklich den Eindruck, für die Bühne geboren zu sein, betritt er jedoch eine, dann wird er gefeiert, als habe das Publikum schon lange auf einen wie ihn gewartet, einen, der seine Sprache spricht.
Auch wenn er selbst das weit von sich weist - Gisbert zu Knyphausen ist eine Erlöserfigur, ein Retter. Wann klang Deutsch zuletzt so unpeinlich-lyrisch wie in seinen Liedern? Wann fühlte sich ein Publikum zuletzt bei einem Künstler so aufgehoben, verstanden, mit seiner Orientierungslosigkeit, seinen Zweifeln und seiner Wut - auf die Welt und auf sich selbst!
Gisbert zu Knyphausen ist der Botschafter eines latenten Unbehagens, das so schwer in Worte zu fassen ist. Umso mehr wird der verehrt, dem dies gelingt.
Seinen Fans spendet Gisbert zu Knyphausen sogar dann Trost, wenn er doch eigentlich nur sich selbst zu beruhigen versucht: "Hey, hey, alles ist okay", singt er in "Hey", dem Opener der aktuellen Platte - eigentlich, ja, stimmt, eigentlich ist alles okay, und damit wären wir mittendrin in dem Schlamassel, den Gisbert zu Knyphausen in seinen Liedern stellvertretend für viele Menschen seines Alters beschreibt und mit ihnen zu bannen versucht und der viel mit diesem Wörtchen "eigentlich" zu tun hat, diesem Abstandhalter vom Zufriedensein.
"Eigentlich", sagt er, "bin ich ein sehr optimistischer Mensch, der sich nur zu oft in seinen inneren Löchern verliert." Woher diese Löcher kommen, weiß keiner so genau, weder seine Fans noch Gisbert zu Knyphausen selbst. Aber sie sind nun mal da, und man muss höllisch aufpassen, nicht schon wieder in eines reinzutappen.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat der Generation der 30-Jährigen kürzlich eine ganze Beilage gewidmet. Sie kamen nicht sonderlich gut weg darin. "Hört auf zu jammern!", lautete die Überschrift. Die Artikel klangen wie ein Vater am Abendbrottisch: Ihr habt doch alles. Was also soll das Gejammer?
Das fragt sich Gisbert zu Knyphausen auch immer wieder. Er weiß, dass es Luxusprobleme sind, die ihn plagen. Aber sie plagen ihn nun mal. Er spricht von "einem gewissen Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit, über das ich mich immer wieder hinwegsetzen muss und das auch immer wiedergekehrt ist, egal wie gut mein Leben verlaufen ist." Vielleicht sei ja gerade das das Problem, sagt Gisbert zu Knyphausen, "dass es mir nie an etwas gefehlt hat und ich mich nie besonders anstrengen musste."
"Die Jungen kennen ihre Werte nicht mehr", sagt der Philosoph Dieter Thomä in der FAS-Ausgabe. "Sie rennen und rennen, haben aber kein Ziel vor Augen. Die Pfeiler von gestern - Familie, Religion, all das - sind brüchig, die Jungen sind frei in einem nie dagewesenen Maße. Sie haben die Wahl unter vielen unterschiedlichen, gleichberechtigten Lebensmodellen. Sie müssen nur wählen."
Gisbert zu Knyphausen gehört einer Generation an, die sich mit Bekenntnissen schwertut. Die heute 30-Jährigen können oder wollen sich nicht festlegen, weder privat noch beruflich, geschweige denn politisch, vielleicht weil im Laufe ihres Lebens Bindungen immer brüchiger geworden sind: Scheidungen, Arbeitslosigkeit, Prepaid-Telefonkarten. Sie sind Kinder der Krise. Als sie klein waren, war Kohl noch Kanzler und die Welt ganz in Ordnung, als sie erwachsen wurden, kamen Schröder und der 11. September. Von da an ging es eigentlich immer nur bergab - auf hohem Niveau, aber dennoch eindeutig.
Gisbert zu Knyphausen bewundert "Ton Steine Scherben", besonders Rio Reiser, "dieses Rotzige, dieses Wütende - aber mit einer Arbeiterklassen-Kampfansage wie ,Macht kaputt, was euch kaputt macht' konnte ich mich nie identifizieren". Er habe noch keine Parole gefunden, hinter die er sich guten Gewissens stellen könnte. Mit Demos fremdelt er, "dabei gibt es eigentlich genügend Dinge, gegen die es sich zu protestieren lohnen würde".
Wieder steht ihm sein Kopf im Weg. "Ich sehe immer auch die andere Seite, die ich manchmal gar nicht sehen will, weil es das Leben natürlich komplizierter macht." Kein Wunder also, dass er noch keinen einzigen politischen Song geschrieben hat: "Meine Ansprüche wären extrem hoch, und ich weiß nicht, ob ich die erfüllen kann."
Das Unstete, Zaudernde spiegelt sich auch in seinem Werdegang: Schauspieler wollte Gisbert zu Knyphausen werden, dann Regisseur, nach einer Hospitanz am Wiesbadener Staatstheater nichts mehr von alledem. Also hat er angefangen, in Berlin Musikwissenschaft zu studieren, der Stadt und dem Studium allerdings schon nach dem ersten Semester den Rücken gekehrt: "Berlin ist kein gutes Pflaster für jemanden, der nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll."
Gisbert zu Knyphausen ging nach Eindhoven und studierte Musiktherapie. "Das Studium hat mir viel gebracht, musikalisch und persönlich." Abgeschlossen hat er es trotzdem nicht. "Ich war psychisch extrem am Boden und wollte mal ein Jahr Abstand nehmen." Also ist Gisbert zu Knyphausen nach Hamburg geflüchtet, wo dann die Musik dazwischenkam. So muss man das wohl sagen, geplant war das alles nicht. Doch auch diese glückliche Fügung kann er nicht einfach nur genießen - einmal Grübler, immer Grübler.
"Manchmal, wenn mir alles zu viel wird oder ich in meinen Gedanken versumpfe", sagt Gisbert zu Knyphausen, bereue er es, nicht Schreiner geworden zu sein oder Gärtner, irgendwas Handwerkliches, in der romantischen Hoffnung, der Kopf würde dann Ruhe geben. "Ich verbringe wie die meisten Menschen in unserer Welt, die sich von körperlicher Arbeit entfremdet hat, einfach zu viel Zeit mit meinem Gehirn", sagt er.
"Spieglein, Spieglein" ist der Song betitelt - diese Anklage gilt also Gisbert zu Knyphausen selbst. Und genau diese Distanz zu sich selbst, die Selbstironie, bewahrt ihn davor, der Larmoyanz anheimzufallen. Gisbert zu Knyphausen weiß, dass er ein hoffnungsloser Fall ist - und gibt die Hoffnung doch nicht auf.
Seine Texte durchzieht ein paradoxer Grundoptimismus, der ihm offenbar neben die Zweifel in die Wiege gelegt wurde. Und dafür lieben seine Fans Gisbert zu Knyphausen noch einmal mehr; dafür, dass er weitermacht, trotzdem weiter, immer weiter, sich von den Zweifeln nicht seine Sehnsucht nach dem Leben nehmen lässt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance