: Liebe ausländische Mitbürger,
■ Liebe ausländische Mitbürger, Von der Unmöglichkeit richtigen Redens: Ausländer, Blutsrecht, Rasse – alles leere Formeln, die das kollektive Bewußtsein prägen
wird Sie auch Gerhard Schröder, wie schon sein Vorgänger Kohl, in seiner Neujahrsansprache als solche titulieren? Der Himmel möge uns und Sie davor bewahren! Dieses Wortungetüm trieft so vor schleimiger Verlogenheit, daß man einen Eimer drunter stellen muß. Schon der antisemitische Historiker Heinrich von Treitschke hat in seinem berüchtigten Aufsatz 1879 (“Die Juden sind unser Unglück“) von „israelitischen Mitbürgern“ gesprochen.
Außerdem handelt es sich, logisch gesehen, um Unsinn. In Deutschland geborenen sogenannten Ausländern werden immer noch eine Reihe elementarer Bürgerrechte verweigert – die deutsche Staatsangehörigkeit, das Wahlrecht oder das Recht auf politische Betätigung. „Ausländische Mitbürger“ ist ein Euphemismus, der verdecken soll, daß man hierzulande entweder Ausländer oder Mitbürger ist, entweder sonderbehandelter Fremder oder Gleicher unter Gleichen.
Machen wir gleich weiter mit dem Wort „Ausländer“. Ein Begriff, der wie ein gefräßiges Monster agiert: Es schluckt nicht nur die Frauen, also die Ausländerinnen, sondern auch die hier Geborenen, die vielleicht noch nie in ihrem Leben im Ausland waren, die womöglich keine andere Sprache als Deutsch beherrschen.
Kleine Kopfrechnung: Rund die Hälfte dieser „Ausländer“ leben seit zehn Jahren oder länger hier, sind also faktisch Inländer geworden, von der anderen Hälfte sind wiederum 50 Prozent Frauen. Also wird nur ein Viertel der „Ausländer“ in der Bundesrepublik mit diesem Begriff halbwegs korrekt bezeichnet.
Aber wie sollen wir die restlichen drei Viertel nennen? Nichtdeutsche? Nur ein Negativbegriff, dessen Zentrum weiterhin die Deutschen bewohnen. Inländische AusländerInnen? Ein häßlicher Wortklotz.
Sind das alles Spitzfindigkeiten? Tantenhafte Bemühungen um Political Correctness? Keineswegs. Es geht nicht um politisch, sondern um begrifflich korrektes Sprechen und Schreiben. Doch im Dunstkreis des Nationalen haben sich eine Menge Worte herausgebildet, die nicht zu fassen sind. Es sind Mystifizierungen, deren Kern oft aus dem puren Nichts besteht, die aber die Wirklichkeit enorm beeinflussen. Wir können die Wirklichkeit ja nicht anders als sprachlich erfassen, und wenn unsere Kategorien ideologisch aufgeladen sind, ist es auch unser Reden und Handeln.
Das Wort „Ausländer“ gibt nur einen Sinn, wenn gleichzeitig definiert wird, wer „Inländer“, wer „deutsch“ ist. Nach dem immer noch gültigen Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 ist die deutsche Staatsbürgerschaft nichts, was man erwerben kann, weder durch Sprachbeherrschung noch durch lange Aufenthaltsdauer im Lande, sondern eine Sache der Abstammung, die einem sprichwörtlich im Blut liegen muß.
Danach sind die Kinder und Kindeskinder türkischstämmiger MigrantInnen weiterhin als „Türken“ zu betrachten, während die deutschstämmigen Aussiedler aus Rußland bei Grenzübertritt zu deutschen Staatsangehörigen werden. Entweder handelt es sich hier um Tautologie der Teutologie: Deutsch ist, was deutsch ist. Oder es muß eine Art deutsche Blutkörperchen geben, die von der Biologie bloß noch nicht entdeckt wurden, damit sich dieses der Fleischwerdung Christi beim Abendmahl ähnelnde Wunder vollziehen kann.
Nicht zufällig ist dieses „Blutsrecht“ in einer Zeit entstanden, in der die Vorstellung von der Nation als einem „Volkskörper“, dessen „reines Blut“ vor der „Vermischung“ mit „fremdem Blut“ geschützt werden müsse, eine gängige Massenphantasie war. Konsequent weitergedacht, müßte auch jeder „Ausländer“, der infolge eines Unfalls deutsche Blutkonserven verabreicht bekam, postwendend einen deutschen Paß erhalten. Daß dem nicht so ist, daß man sich unter besonderen Umständen eben doch einbürgern lassen kann, wenn auch nur mit großem bürokratischen Aufwand, daß sich also „ausländisches Blut“ nach gewissen Fristen in „deutsches“ umwandelt, all das zeigt, daß es sich hier um pure Staatsmystik handelt. In ihrem Kern ist sie weder zu erfassen noch zu definieren: also leer. Eine taube Nuß, die sich vor dem Knacken durch eine besonders dicke Gesetzesschale schützt.
Andernorts stellen sich die Probleme noch viel schärfer. In Bosnien und im Kosovo wurden Territorien „ethnisch gesäubert“, also „mit Blut gewaschen“, wenn sie von der falschen „Ethnie“ bewohnt wurden. Ethnie? Selbst die kritischsten JournalistInnen sehen sich gezwungen, dieses Wort zu benutzen, weil es kein anderes gibt.
Dabei unterscheiden sich Serben, Kroaten und Muslime nur in der Religionszugehörigkeit. Muslime? Viele der so Bezeichneten sind Atheisten, die diese Zwangsmuslimisierung als Zumutung empfinden. Ob man will oder nicht, allein schon mit der Beschreibung dieses absurden Kriegs reproduziert man seine ideologische Grundlage.
Dabei ist „Ethnie“ ein Begriff, dem man die Bemühung um modernes Styling anmerkt. Früher hieß dieselbe Sache schlichtweg „Rasse“. Auch so ein Begriff, der sich bei näherem Hinsehen als völlig hohl entpuppt. Biologisch gesehen gibt es nur eine einzige Rasse: den Homo sapiens. Darauf hat nicht nur die Unesco nach 1945 in zahlreichen Deklarationen hingewiesen, in der verzweifelten Hoffnung, damit dem Rassismus die geistige Grundlage zu entziehen. Auch die modernen GenetikerInnen bestätigen diesen Befund. „Wenn man die menschliche Spezies im Ganzen betrachtet, sind die Differenzen sehr flüchtig, und man kann nicht von deutlich unterschiedenen Rassen reden. Um uns zu differenzieren, hatten wir nur die letzten 50.000 bis 100.000 Jahre Zeit, in den Begriffen der biologischen Evolution ist das eine äußerst kurze Zeit“, so der italienische Humangenetiker Luigi Luca Cavalli-Sforza.
Aber der Antirassismus macht es sich zu einfach, wenn er glaubt, daß er rassistischen Einstellungen mit solchen Vernünfteleien beikommen könnte. Sogar Hitler gab zu: „Im eigentlichen Sinn des Wortes und vom genetischen Standpunkt aus gibt es keine jüdische Rasse“ (Bormann-Diktate vom Februar und April 1945). Sein begrifflicher Ausweg: Sie seien eine „geistige Rasse“, die sich auf das „Zersetzen“ und „Zerstören“ spezialisiert habe.
Ausländer, Fremde, Blutsrecht, Ethnien, Rassen – jeder dieser Begriffe wurde schon mißbraucht, kein einziger ist brauchbar. Dennoch können wir nicht wirklich auf diese Worte verzichten, solange wir keine Alternative haben. Was bleibt also?
Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir unsere Distanz zu ihnen deutlich machen, wenn wir sie mit spitzen Fingern vorführen, sie gegebenenfalls in Anführungszeichen setzen, wenn wir die unheilige Aura um sie herum sichtbar machen, diesen Dunstkreis aus Blut, Schweiß und Tränen.
Auch sollten wir der rot-grünen Bundesregierung genau auf die Finger sehen, wenn sie, wie im Koalitionsvertrag versprochen, das neue Staatsbürgerrecht formuliert. Die komplizierten Einzelheiten müssen noch ausgearbeitet werden, aber die Grundzüge stehen fest: Die Kinder von hier geborenen oder vor dem vierzehnten Lebensjahr eingewanderten „Ausländern“ sollen einen deutschen Paß erhalten. Warum aber nur die Kinder und nicht gleich auch die Eltern? Brauchen die deutschen Blutkörperchen etwa eine Zeit der Heranreifung in fremden Adern?
Der Fortschritt gegenüber dem alten Staatsbürgerschaftsrecht ist zwar unübersehbar groß, aber ein mythenfreies, in sich stimmiges Recht ist das noch lange nicht. Ein modernes Gesetz wäre um den ideologisch unbelasteten Gedanken des Lebensmittelpunkts herum formuliert worden: Danach könnten sich alle diejenigen, die die Bundesrepublik zu ihrem dauerhaften Lebensmittelpunkt erkoren haben, einbürgern lassen – ob nun nach acht oder zwölf Jahren, ist nebensächlich.
Ideengeschichtlich betrachtet, ist die von der rot-grünen Regierung angestrebte Regelung immer noch eine ziemlich ungenießbare Mischung aus einem halben Liter Blutsrecht und fünf Pfund Bodenrecht, einer Prise Rückwärtsgewandtheit und einem Tütchen Moderne, anderthalb Scheiben Mystizismus und drei Rädchen Vernunft. Ute Scheub
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