Lidokino 2 – Virtual Reality und Film: Eintauchen ohne Ausweg

Die Filmfestspiele in Venedig setzen mit der Sektion „Venice Virtual Reality“ auf virtuelle Realitäten. Das kann auch Angst machen.

Mann guckt durch eine Virtual-Reality-Brille

Bisher vor allem beim Gaming im Einsatz, nun auch immer mehr im Kino: Virtual Reality Foto: AP

Mit der Zukunft anfangen. Die liegt beim Kino nicht im Netz, sondern in der Brille. Genauer, in Geräten wie Oculus Rift, einem am Kopf montierten Display, das man für Virtual Reality (VR) Cinema verwendet. Die umgeschnallte Brille ermöglicht Bilder rundum, Eintauchen ohne Ausweg, solange das Programm läuft.

Die Filmfestspiele von Venedig setzen große Stücke auf das VR Cinema, so sehr, dass sie ihr auf der Insel Lazzaretto Vecchio vor dem Lido eine eigene Sektion eingeräumt haben. Man muss das Festival für das Zutrauen in die junge Kinoform loben. Denn die Ergebnisse lassen noch einige Wünsche übrig. Immerhin kann man in vielen Fällen erkennen, wo die Technik hinsteuert.

VR kann jedenfalls ordentlich Angst machen. So die Erkenntnis nach der interaktiven Arbeit „Kobold“ von Max Sacker und Ioulia Isserlis. Die beiden Betreiber der Berliner Firma „AnotherWorld VR“ schicken ihrem „Spiel“ einen kleinen Gruselfilm voraus, damit man sich auf die Geschichte einstimmen kann und weiß, worum es geht. In einem Haus in Brandenburg ist ein Verbrechen geschehen, seitdem steht es verlassen. Mysteriöse Dinge scheinen dort vorgegangen zu sein, der Sohn der Familie hatte mit der verstorbenen Mutter kommuniziert und mit seinem Freund „Pixi“, von dem der Vater meinte, der existiere gar nicht.

Im Spiel ist man diesen Geschehnissen auf der Spur, durchstreift das Haus auf der Suche nach Hinweisen. Und schon allein der Umstand, dass man sich vermeintlich mit dem eigenen Körper durch die verfallene Architektur des alten Hauses mit seinen langen Fluren und diversen vernagelten Türen bewegt, ist bestens geeignet, einem kribbelnde Schrecken zu bereiten. Optisch mag nicht alles restlos aufgehen, die Wirkung stimmt gleichwohl.

Echtzeittechnik von Computerspielen

Weniger überzeugend dafür der VR-Film „The Great C“ nach einer Kurzgeschichte des ­Science-Fiction-Autors Philip K. Dick. Der Kanadier Steve Miller wählte für das postapokalyptische Setting mit schön verfallenden Zivilisationsruinen als Kulisse die Echtzeittechnik von Computerspielen als Grundlage. Was dem eigenen Anspruch, die Erzählverfahren in VR voranzubringen, nur bedingt gerecht wird: Die Technik hat den Preis, dass die Figuren höchst grobschlächtig entworfen sind und bestenfalls maskenhafte Gesichtszüge tragen.

Ambitionierter erscheint das Tanzstück „VR_I“ von Gilles Jobin, Caecilia Charbonnier und Sylvain Chagué. Man bekommt Sensoren an Hände und Füße gesteckt, dazu einen Rucksack auf den Rücken, damit man sich und die anderen Teilnehmer als Avatare durch eine virtuelle Umgebung laufen sehen kann. Man beginnt in einer Art Höhle, die bald von Riesen gelüpft wird. Nachdem man eine Weile von den Riesen beobachtet wurde, bauen sie ein Haus um die Teilnehmer, die sich bald in Gesellschaft einer Gruppe von Tänzern wiederfinden. Wenn sie einem zu nah kommen, tauchen sie durch den „eigenen“ Körper hindurch, wie man es aus neueren Gespensterfilmen kennt. Kurzzeitig hat die ungewohnte Perspektive Witz, verliert sich aber bald in Spielerei.

Fantasievoller ist da immer noch „Der Golem, wie er in die Welt kam“ von Paul Wegener aus dem Jahr 1920. Den gab es am Vorabend der Festspiele in digital restaurierter und kolorierter Fassung zu sehen, in dezenten Blau-, Gelb-, Braun- und Rot­tönen. Die Geschichte um den Homunkulus aus Lehm, der ein jüdisches Schtetl erst retten hilft und sich danach gegen seine Schöpfer wendet, hat großartig surreale Schiefhausbauten und verhandelt in seiner schlicht anmutenden Geschichte die technologie-ethischen Fragen, die Roboter aufwerfen. 1:0 für den Stummfilm.

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