Liberalismus für Grüne: Aus den Fängen der FDP befreit
In seinem Buch „Machtwirtschaft – nein danke!“ richtet der Grüne Gerhard Schick Wirtschaftspolitik aufs Gemeinwohl aus. Eine Besprechung.
Europa wird demokratischer, die Bürger sollen ihre Meinung sagen, hat EU-Handelskommissar Karel De Gucht angekündigt. Mit der Konsultation der Öffentlichkeit hofft er das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA zu retten. Viele Bürger hegen Zweifel an dem geplanten Vertrag.
Fraglich, ob diese Bürgerbefragung am Ergebnis etwas ändert oder nur zu den Akten genommen wird. Zwar ist die EU keine undemokratische Veranstaltung, doch erscheint die Partizipation auf supranationaler Ebene weit davon entfernt, eine Mitsprache zu ermöglichen, wie sie im nationalen Rahmen üblich ist.
Aus dieser Analyse leitet der grüne Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick in seinem Buch „Machtwirtschaft – nein danke“ die Forderung ab, die EU demokratischer zu machen. Bevor im Mai das Europaparlament neu gewählt wird, schlägt er unter anderem vor, den EU-Rat der Nationalregierungen durch eine zweite Parlamentskammer zu ersetzen, in der direkt gewählte Vertreter der Mitgliedsstaaten sitzen, nach dem Vorbild der Reform des US-Senats von 1913.
Gerhard Schick: „Machtwirtschaft – nein danke! Für eine Wirtschaft, die uns allen dient“. Campus Verlag. Frankfurt/New York 2014, 288 S., 19,99 Euro.
Der 41-jährige Schick, Ökonom mit Doktortitel, Vizechef des Finanzausschusses im Bundestag, nutzt wie wenige Bundestagsabgeordnete die Medien – mal kritisiert er öffentlichkeitswirksam, wie die EU ihre Krisenbanken schützt, mal setzt er sich für bessere Verbraucherinformationen bei Finanzprodukten ein.
Mosaiksteine für grüne Theorie
Angesiedelt ist Schick in der linken, besser „linksliberalen“ Hälfte des Parteienspektrums. In seinem Buch versucht er, die Mosaiksteine, aus denen die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Grünen bestehen, in einen theoretischen Zusammenhang zu bringen. Seine Schrift reiht sich ein in die Bemühungen, den deutschen Liberalismus aus den Fängen der FDP zu befreien, unterscheidet sich aber von den kurzatmigen Projekten seiner Parteikollegen, Rückschlüsse aus der vergeigten Bundestagswahl zu ziehen.
Als theoretischen Bezugspunkt hat Schick den Ordoliberalismus gewählt. Dessen Vordenker, etwa Walter Eucken (1891–1950), wiesen der Politik die Aufgabe zu, Spielregeln für offene Märkte festzulegen, die sich an gemeinsamen Interessen der Bürger ausrichten. In Auseinandersetzung mit Sozialismus, Nationalsozialismus und Kapitalismus entstand das Ideal einer Marktwirtschaft mit starker demokratischer, damit potenziell auch sozialer Abfederung.
Für Schick ist „Machtwirtschaft“ eine Marktwirtschaft, in der Unternehmen Geschäfte nur zu ihrem Nutzen, auf Kosten der Mehrheit der Bürger und nicht im Sinne des Gemeinwohls machen. Heraus kommen etwa schlechte Lebensmittel, Finanzkrisen und Umweltzerstörung.
Besonders eindrucksvoll beschreibt Schick die Strukturen der globalen Wirtschaft. Seiner These zufolge, die er auf Untersuchungen anderer Autoren stützt, beherrschen 147 transnationale Konzerne etwa 40 Prozent der globalen Unternehmensvermögen. Durch die besondere Machtstellung gelinge es Managern dieser dominierenden Unternehmen, die Regeln der Weltwirtschaft zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Das führe, so Schick, zu ungerechten Wettbewerbsverhältnissen – einfach gesagt, zu hohen Gewinnen auf Seiten der Konzerne und entsprechenden Verlusten bei Gesellschaften und Bürgern.
Wirtschaft und Politik zurückerobern
Die Schieflage werde verstärkt, weil es der ökonomischen Elite gelinge, ihre Interessen so in den politischen Prozess einzuspeisen, dass sie andere Anliegen an den Rand drängten – auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Es müsse also darum gehen, den Rechtsrahmen der Marktwirtschaft neu zu gestalten, schreibt Schick. Die Bürger sollten Wirtschaft und Politik von den Eliten zurückerobern.
Ist der Grüne beim Ordoliberalismus auf dem richtigen Dampfer? Das Bild dieser Theorierichtung prägen heute ja Ökonomen wie der Wirtschaftsweise Lars Feld, die den Markt vor ausgleichenden Eingriffen des Staates möglichst schützen wollen.
Nimmt man die Idee eines sozial abgefederten Liberalismus aber ernst, so bietet sie einige Vorteile. Wenige bestreiten heute, dass, wenn die Regeln stimmen, der Markt ein wirkungsvoller Steuerungsmechanismus sein kann. Eine linksliberale Grundhaltung bietet zudem die Möglichkeit, viele Wünsche einer pluralistischen Gesellschaft zu integrieren, weil die Regelsetzung an demokratische Entscheidungen gebunden ist. Das Ergebnis könnte eine pragmatische, dynamische, unideologische, aber auch ethisch fundierte Politik sein.
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