Liberale Jüdische Gemeinde in Hannover: Allein gelassen
Hannovers Liberale Jüdische Gemeinde wird bedroht. Doch das vom Land bereits 2019 versprochene Geld für bessere Sicherheitsmaßnahmen kommt nicht.
Den Kampf gegen Antisemitismus haben Rot und Schwarz zur Chefsache erklärt. Die nach dem antisemitischen Anschlag 2019 in Halle versprochene Finanzierung besserer Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen lässt jedoch weiterhin auf sich warten.
„Es ist ein Fiasko“, sagt Rebecca Seidler, Antisemitismus-Beauftragte des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen und Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover. Mehr als eine Million Euro hatte sie für die sechs Einrichtungen, die zu ihrem Landesverband gehören, beantragt.
Bisher muss sich die Gemeinde mit einem internen Sicherheitsteam und einer privaten Sicherheitsfirma schützen. Viel Geld fehle deswegen an anderer Stelle für kulturelles und religiöses Leben, sagt Seidler. Konkret müssen Rabbiner*innen, Kantor*innen und Sozialarbeiter*innen bezahlt werden. Das sei eine finanzielle Herausforderung.
Nach dem Anschlag in Halle sah man 2019 auch in Niedersachsen Handlungsbedarf. Bauliche und technische Sicherheitsmaßnahmen seien notwendig, sagt Seidler.
In Hannover sollte Michael F., damals Spezialist für Einbruchschutz der Polizei, ein Sicherheitsgutachten für die Liberale jüdische Gemeinde Hannover erstellen. F. sei zunächst der Meinung gewesen, Schutzmaßnahmen müsse die Gemeinde – und nicht der Staat – tragen. Wie ein Baumarktleiter solle Seidler selbst für die Sicherheit sorgen, habe er ihr geraten.
Seit Sommer 2020 spricht F. öffentlich bei „Querdenken“-Protesten und phantasiert mittlerweile vom bewaffneten Umsturz. „Das hat mich fassungslos gemacht, dass der Hintergrund, der Person, die mit dieser Aufgabe betraut wurde, scheinbar nicht überprüft wurde“, sagt Seidler. Sie verstehe nicht, warum nicht von Anfang an Spezialist*innen des Landeskriminalamtes zu den jüdischen Gemeinden geschickt wurden.
Gegen den Kriminalhauptkommissar läuft mittlerweile ein Disziplinarverfahren und er ist vom Dienst freigestellt. An den Beratungen zum allgemeinen Sicherheitskonzept von jüdischen Einrichtungen soll er hingegen nicht beteiligt gewesen sein, heißt es von der Polizei Hannover.
Seit Jahren kommt es von Seiten der extremen Rechten zu Anfeindungen, Attacken und Anschlägen auf Jüdinnen* und Juden sowie auf ihre Einrichtungen. Auch bei „Querdenken“-Demonstrationen in ganz Niedersachsen gab es geschichtsrevisionistische, holocaustrelativierende und antisemitische Vorfälle. Die Strafverfolgung ebendieser läuft jedoch oft schleppend.
Mit harten Strafen droht Innenminister Boris Pistorius (SPD) denjenigen, die israelische Fahnen verbrennen oder im Angesicht der erneut aufflammenden Kampfhandlungen im Nahostkonflikt Synagogen angreifen. In der vergangenen Woche war es zu zahlreichen Attacken im gesamten Bundesgebiet auf Jüdinnen* und Juden gekommen.
Zaghafte Polizei
Auch in Hannover verbrannten Demonstrant*innen am 12. Mai ausgedruckte Israelfahnen und riefen beim Umzug durch die Innenstadt auf Arabisch „Oh Juden, die Armee Mohammeds kommt wieder!“ Die Polizei reagierte vor Ort entgegen Pistorius’ Darstellung zaghaft.
Eine Anfrage der taz ließ das Niedersächsische Kultusministerium bis Redaktionsschluss unbeantwortet, bestätigte am Telefon aber die eigene Zuständigkeit. Die genauen Gründe warum sich die Auszahlung der Gelder verzögere müssten Sachbearbeiter*innen beantworten, heißt es.
Die Gemeinden in Niedersachsen warten weiterhin auf die zugesicherten Finanzmittel. „Es macht mich sprachlos und lässt mich mit Wut zurück, dass wir immer wieder in der Position sind, dass wir anfragen und dranbleiben müssen“, sagt Seidler. Sie bekomme wenig Signale, dass die Finanzierungsfrage der Sicherheitsmaßnahmen vorwärts gehe.
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