Leuchtturmprojekt im Thüringer Wald: Die Oberhofwichtigen
In Thüringen wird bei der Biathlon-Weltmeisterschaft aberwitzig hoch subventionierter Eventsport gefeiert. Zumindest die Boomer sind aus dem Häuschen.
W ährend das Ministerium für alberne Gänge (Ministry of silly walks) leider nur in der Welt von Monty Python existierte, gibt es den Oberhofbeauftragten der Thüringer Landesregierung wirklich. Hartmut Schubert heißt der Mann, und solche Typen im Sondereinsatz für Land und Leute sollten häufiger berufen werden. Warum nicht einen Weißwurstbeauftragten in München installieren oder einen Bocholtbeauftragten in NRW?
Die Konzentration auf das Wesentliche läuft in Thüringen, und nichts ist wichtiger in diesen Tagen als Oberhof. Es ist oberwichtig. Und die Oberhofwichtigen feiern derzeit den hoch subventionierten Eventsport, erst im Zuge der Rodel-WM und nun bei den Biathlon-Weltmeisterschaften. Mit Fantastillionen haben sie die Sportanlagen „ertüchtigt“, ein netter Euphemismus für die Betonierung von Steuergeld, das Primat des Leistungssports zum Zwecke der Profilierung von wenigen.
Der Oberhofbeauftragte wird unterstützt von einer Steuerungsgruppe, einer Kernsteuerungsgruppe, der AG Infrastruktur Biathlon, dem Zweckverband Thüringer Wintersportzentrum und noch allerlei anderen silly Gremien, die allesamt dokumentieren, wie ein Dorf mit 1.300 Einwohnern oberhofiert werden kann, wenn man nur will. Der gemeine Tourist zahlt in diesen Tagen der loipelnden Ballerei über 250 Euro die Nacht für ein Zimmer in Oberhof, und die betuchte Familie darf im mit knapp 20 Millionen Euro subventionierten Luxushotel schon mal 500 Euro pro Übernachtung ausgeben. Leuchtturmprojekt sagen Politiker zu solchen Investmentstandorten wie Oberhof. Und stünde so ein Leuchtturm tatsächlich auf dem Grenzadler nahe der Biathlonarena, dann würde er winters zumeist in die Wolle dicker Wolken piksen, denn Oberhof ist verschrien als Nebelnest.
Dass jetzt zu Beginn der WM die Sonne scheint und sogar ein bisschen Schnee liegt, gilt selbst in der Thüringer Presse, die das Treiben überwiegend jubelnd begleitet, als schicksalhafte Fügung – nach dem Motto: Petrus ist ein Oberhofer, und hoch überm Rennsteig thront noch ein weiterer Oberhofbeauftragter.
Das Lourdes der Zweikampffreunde
Die Massen ziehen mit, singen das Rennsteiglied im Zehn-Minuten-Takt, essen Bratwürste sonder Zahl und stöhnen laut auf, wenn ein deutscher Birkebeiner die Schießscheibe verfehlt. Sie sind glücklich ihrem Fernsehsessel entstiegen, von dem aus sie jede Biathlonübertragung konsumieren: Was Lourdes für die Kranken und Siechen, ist Oberhof für die Zweikampffreunde – sowie Antholz oder die Pokljuka (das „die“ ist ganz wichtig).
Stundenlang senden die Öffis für ein altes Publikum; die Boomer gucken Biathlon, die vielleicht deutscheste aller Sportarten. 63 Prozent sind älter als 60 Jahre und 82 Prozent über 50. Die Mixed-Staffel am Mittwoch, bei der die enthusiasmierten Biathlon-Boomer viele „Uuuhs“ und „Aaahs“ wegen der Minderleistungen ihrer Lieblinge über die Strecke schickten, sahen zur Kaffee-und-Kuchen-Zeit 3,64 Millionen, aber nur 0,37 Millionen in der, wie es heißt, werberelevanten Zielgruppe zwischen 14 und 49 Jahren.
So crashte der Marktanteil von 32,6 Prozent (alle) auf 20,9 (wichtige Zuschauer). Egal, die Sache läuft für Oberhof. Die Touristinfo schickt „weltmeisterliche Grüße“, der Oberhofbeauftragte versendet seine Visionen via Funk und Fernsehen. Nur der gemeine Langläufer schaut dieser Tage in die Röhre, will er zu einer Fahrt nach Oberhof und einer Rennsteigtour aufbrechen. Das Event-Nest ist komplett abgeriegelt für den Individualverkehr.
Man muss halt Opfer bringen für das große Ganze, und es wird noch interessant werden, wie Oberhof gewisse Widersprüche lösen wird. Es sind nicht nur Traditions-Touris, die mit der Wellness-Hautevolee fremdeln. Die Fokussierung auf Oberhof führt überall im Thüringer Wald zu Neidkomplexen und Fragen der sinnvollen Nachnutzung von scheißteuren Sportanlagen. Warum kriegen die alles und wir nichts? Gott sei Dank gibt es einen Oberhofbeauftragten der Landesregierung, der sich darum kümmert. Zickezacke, zickezacke, einszweidrei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos