Letzter großer Indianer-Chief ist tot: Historiker und Nazijäger
Joe Medicine Crow kämpfte für die Rechte Indigener in den USA, machte als erster Absarokee einen Doktortitel und führte Soldaten gegen die Nazis.
„Montana hat einen Schatz verloren. Wenn man mit Joe Medicine Crow sprach, war es unmöglich, nicht von ihm inspiriert zu sein“, bekundete Montanas Senator Jon Tester, der den Absarokee-Anführer für die Freiheitsmedaille – die höchste US-Auszeichnung für Zivilisten – vorgeschlagen hatte. 2009 nahm der hoch angesehene Medicine Crow, dessen Großonkel am Little Big Horn gekämpft hatte, die Ehrung von US-Präsident Barack Obama entgegen.
Medicine Crow war der letzte seines Volkes, der die traditionellen Aufgaben erfüllte, um Oberhaupt werden zu können: Dazu gilt es, in einem Kampf seine Leute anzuführen, ein Feindeslager bei Nacht zu betreten und dabei ein Pferd zu stehlen, einen Feind zu entwaffnen und den ersten am Boden liegenden Widersacher zu berühren – ohne ihn zu töten. Dies alles erledigte der Absarokee-Chief in Deutschland – als Teil der 103. Infanterie im Zweiten Weltkrieg.
1943 dem US-Heer beigetreten, führte er nach der Landung in der Normandie eine Truppe US-Soldaten durch deutsche Linien – in Uniform, aber mit Kriegsbemalung und einer gelben Adlerfeder in seinem Helm, wie die Washington Post ihn beschreibt. Beim Marsch durch ein Dorf befreite er Pferde und stieß mit einem deutschen Soldaten zusammen, den er zu Boden schlug, aber nicht tötete. „Ich war soweit, ihn umzubringen, aber da rief er nach seiner Mutter“, erzählte Medicine Crow später dem Dokumentarfilmer Ken Burns. „Das Wort ‚Mama‘ öffnete meine Ohren. Ich ließ ihn gehen.“
Historiker des Absarokee-Volkes
Medicine Crow wurde 1913 in Lodge Grass in einem einfachen Holzhaus geboren und von seinem Großvater in der Tradition der Absarokee-Krieger erzogen: Barfuß-Laufen im Schnee und das Baden in gefrorenen Flüssen sollten den Jungen, dessen Name damals „Winter-Mann“ war, hart machen. Die Absarokee zählten nur noch 2.000 Mitglieder, die unter erbärmlichsten Verhältnissen im Reservat lebten. Doch Medicine Crow erkannte, dass Bildung der Ausweg sein konnte.
„Das war meine persönliche Herausforderung“, erzählte er später dem Magazin seiner Hochschule Linfield. „Ich wollte beweisen, dass ein Indianer in der Lage ist, ein guter College-Student zu werden.“ Also lernte er, machte einen Doktor in Anthropologie und arbeitete als Lehrer – bis der Angriff auf Pearl Harbour kam und er sich zur Armee meldete.
Nach dem Krieg erwarb Medicine Crow sich Ansehen als Historiker und Autor zahlreicher Bücher über die Geschichte der Absarokee und die legendäre Schlacht am Little Big Horn. Dabei war er oft Vermittler zwischen den Ureinwohnern und der europastämmigen Amerikanern. „Da ist eine Linie in der Mitte, die zu beiden Seiten gehört. Ich gehe auf dieser Linie entlang, nehme das Beste beider Seiten und meide das Schlechteste“, sagte Medicine Crow dem Linfield Magazin.
Seine Stimme drang bis zu Barack Obama, der den Chief noch als Senator in seinem ersten Wahlkampf kennengelernt hatte. „Wenn Sie ins Weiße Haus kommen, denken Sie daran, dass wir seit 1492 ganz unten am Fuß der Leiter in Amerika stehen“, mahnte Medicine Crow. 2009 ehrte ihn der neue Präsident mit der Freiheitsmedaille und den Worten: „Sein Leben spiegelt nicht nur den Kampfgeist der Crow-Leute wider, sondern auch Amerikas höchste Ideale.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich