Letzte Generation vor Gericht: Zum Richter aufgeschwungen
Raphael Thelen muss sich vor Gericht wegen Blockaden mit der Letzten Generation verantworten. Er versucht, den Spieß umzudrehen.
Nach Abhandlung der Frage-Antwort-Formalien folgt die Anklage. Demnach schädige Scholz „durch den Bruch des Pariser Abkommens und des Klimaschutzgesetzes eine große Zahl von Menschen körperlich und seelisch“. Die Performance der Letzten-Generation-Aktivist:innen überrascht Richter und Staatsanwältin, die schmunzelnd den Saal verlassen. Erst nach einiger Zeit beenden ein ausgelöster Alarm und herbeigeeilte Wachtmeister die Aktion. Das Urteil gegen Scholz fällt vor der Tür: schuldig.
So satirisch der Gerichtstermin endete, so ernst war Thelens Versuch in der vorausgegangenen Verhandlung gewesen, den Richter von der Legitimität seiner Aktionen zu überzeugen. Zur Last gelegt wurden ihm zwei Straßenblockaden, im Februar vergangenen Jahres auf dem Mühlendamm in Mitte und im April darauf vor der Deutschen Oper. Jeweils saß der Letzte-Generation-Prominente mit anderen auf der Straße, nicht festgeklebt, und ließ sich friedlich von Polizisten abführen.
Der ehemalige Journalist von Spiegel, Zeit und auch taz, der seine Kontakte nutzte, um möglichst viele Medienvertreter an diesem Montag nach Moabit zu lotsen, erklärte vor Gericht, wieso gerade er – trotz gutem Einkommen und Reputation –, diesen Schritt zum Aktivismus gemacht habe.
Er beschrieb Begegnungen auf seinen Recherchen, in Flüchtlingslagern oder versandeten Oasen, mit Menschen, die aufgrund des Klimawandels ihr Zuhause verloren haben. Die Beschäftigung mit dem Klimawandel und seinen verantwortlichen Profiteuren habe ihn zu dem Schluss gebracht, dass die Demokratie in dieser Frage „nicht mehr funktioniert“. Sein Ausweg: ziviler Ungehorsam.
Berufung auf den Notstand
Thelens Anträge, mit denen er den rechtfertigenden Notstand nach Paragraf 34 Strafgesetzbuch durch die gegenwärtige Bedrohung des Klimawandels beweisen und dazu auch Experten in den Zeugenstand holen wollte, wurden vom Richter abgelehnt. Immerhin zu Protokoll genommen wurden dann aber Ausführungen über Klima-Kipppunkte und über Energiekonzerne, die ihr Handeln durch Lobbyismus fortführen können. „Die Klimakrise wird bewusst für den Profit in Kauf genommen“, so Rahpael Thelen.
In den Zeugenstand aber wurden schließlich nur drei Polizisten gerufen, die detailliert schilderten, wie die Blockaden zu Staus geführt und auch Rettungswagen, zumindest kurzzeitig, behindert hatten. Weil bei der Aktion vor der Deutschen Oper ein schneller Abfluss des Autoverkehrs durch eine Seitenstraße möglich war, wurde jener Anklagepunkt fallen gelassen. Blockaden seien „nicht per se“ strafbar, so der Richter. Aufgrund „Dauer und Intensität“ der Blockade an der Fischerinsel jedoch sei der Tatbestand der Nötigung erfüllt.
Das Urteil: 50 Tagessätze à 15 Euro. Fast entschuldigend sagte der Richter: „Die Justiz hat keine befriedigende Antwort für Sie.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Studie zu Zweitem Weltkrieg
„Die Deutschen sind nackt und sie schreien“