piwik no script img

Lesung von David Szalay in BerlinDer Zustand eines verletzten Körpers

Der mit dem Booker Prize ausgezeichnete David Szalay stellte in Berlin seinen Roman vor. „Was nicht gesagt werden kann“ handelt von einem gedanklich einsilbigen Mann.

Der britische Schriftsteller David Szalay, 2025 Foto: Isabella De Maddalena/imago

Mit seinem Roman „Flesh“ hat David Szalay vor zwei Wochen den Booker Prize gewonnen, einen der wichtigsten Literaturpreise überhaupt. Wie es ihm seitdem ergehe? „Very, very tired“ sei er, sagt der britisch-kanadisch-ungarische Schriftsteller bei einer Lesung am Dienstagabend im Berliner tak Theater Aufbau Kreuzberg, die die Buchpremiere der deutschen Ausgabe von „Was nicht gesagt werden kann“ markiert.

Darin begleiten wir István durch vier, fünf Jahrzehnte seines Lebens. Nachdem er in Ungarn weder Liebe noch Arbeit findet, geht er zur Armee, dann nach London und fällt fast zufällig die Erfolgsleiter hinauf in die High Society. Er durchwandert Lebensphasen und Schauplätze wie Klassen. Der Roman ist ebenso eine Erzählung von Männlichkeit wie des sozialen Aufstiegs.

Der Körper erzählt zuerst

Die Vorstellung vom Leben als eine Reihe rationaler Entschlüsse hält Szalay für ein falsches Bild. Vielmehr würden wir Entscheidungen, die oft auf rein körperlichen Reaktionen beruhen, nachträglich rationalisieren, sagt er. Als einen Versuch, etwas zu erklären, das bereits entschieden wurde. Das verschiebt den Blick.

Das Buch

David Szalay: „Was nicht gesagt werden kann“. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Claassen Verlag, Berlin 2025. 384 Seiten, 25 Euro

István ist ein Mann, der spürt, bevor er versteht. „Was nicht gesagt werden kann“ ist aber auch eine Geschichte des unverarbeiteten Traumas. Als 15-Jähriger geht István eine nicht ganz einvernehmliche sexuelle Beziehung zu seiner 42-jährigen Nachbarin ein, im Kriegseinsatz verliert er einen Freund. Der Nachhall davon prägt sein ganzes Leben. Bestimmte Erfahrungen liegen jenseits des Sagbaren.

Das Buch handelt aber auch von der Schwierigkeit, genau zu wissen, was uns wozu eigentlich motiviert. Leicht misszuverstehen mit einer Entkopplung von Gefühlen generell. Ja, István spricht wenig über Gefühle, man erhält nur indirekte Einblicke, oft über unvermittelte körperliche Reaktionen. Er bricht sich die Hand, als er gegen eine Tür schlägt. Warum, weiß er nicht. Auch wenn die gekappte Verbindung zur Gefühlswelt als Erklärung naheliegt, bleibt die Frage, ob man Gefühle nur spürt, indem man sie verbalisiert.

Aktive Sprache, bewegende Dialoge, nahbare Charaktere – nichts davon findet sich in Szalays Roman. Er erzählt Istváns Leben in fragmentarischen Episoden, zwischen denen große Lücken liegen. Lesende bleiben oft einen Schritt zurück, weil entscheidende Erfahrungen wie der Kriegseinsatz, die Jugendstrafanstalt oder die Hochzeit nur als kurze Spuren aufscheinen.

Die Dialoge bestehen aus Banalitäten, wirken absichtlich gestenhaft. Dadurch bleibt der Zugang zu Istváns Innenleben versperrt, seine Innerlichkeit einsilbig. 196-mal sagt er „Okay“, 82-mal „Ich weiß nicht“. Diese Knappheit erzeugt eine Dissonanz zwischen dem, was geschieht, und der reduzierten Sprache, die davon erzählt. Auf diese Weise habe er versucht, die „reale Textur von Gesprächen“ einzufangen, sagt Szalay.Wenn man den Stil frustrierend findet und sich ihm trotzdem nicht entziehen kann, erfüllt er seinen Zweck. Szalay dringt aus ungewohnten Blickwinkeln in seinen Protagonisten. Während István am kuwaitischen Flughafen wartet, erfahren wir vom Verlust eines Freundes im Irak, jedoch nicht von Gefühlen der Trauer, die diesen Todesfall ummanteln. Man kümmert sich fast mehr um István, als er selbst es tut, bleibt bei jemandem, der sich kaum entwickelt und dessen emotionale Leere erdrückend sein kann. Diese sprachliche Kargheit ist anstrengend, aber konsequent.

Dekonstruktion des Männerromans

Der Roman präsentiert Männlichkeit nicht als Identität, sondern als Zustand eines verletzlichen Körpers, der sich tastend durch Situationen bewegt. Er habe ein Buch schreiben wollen, das sich mit dem Leben als körperlicher Erfahrung befasst, sagt Szalay. Zum Ausdruck kommt diese Körperlichkeit vor allem in Form von Sex und Schmerz, worauf auch der englische Romantitel „Flesh“ verweise, der zugleich vulgär wirke und doch „biblische und literarische Untertöne“ trage, so Szalay.

Mit einem durchaus an Hemingway erinnernden Prosastil bricht er bewusst die Erwartungen, die an einen Männerroman geknüpft sind. Krieg, Gewalt, Jugendstrafanstalt oder das Türstehermilieu erscheinen nur am Rand und werden so entdramatisiert. Die männliche Heldenreise bleibt trotz sozialen Aufstiegs aus.

Vermeintliche Coolness entpuppt sich hier als Sprachlosigkeit, die auf unverarbeiteten Traumata beruht. István wirkt überwältigt, nicht souverän. Frauen bleiben Nebenfiguren, doch auch er selbst ist oft keine Hauptfigur seines eigenen Lebens. Das Ergebnis ist eine unheroische, radikal körperliche Dekonstruktion dessen, was man normalerweise für männliches Erzählen halten würde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare