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Lesumwiesen sollen Gewässer werdenPolarisierender Ausgleich

Mit dem Umbau der Lesumwiesen sollen Umweltschäden kompensiert werden, deren Ursache 20 Jahre zurück liegt. Die Idee finden nicht alle gut.

Hat in Bremen außer der Lesumwiese fast keine Bleibe: Die Kohlkratzdistel Foto: Jürgen Feder

BREMEN taz | Ausgleichsmaßnahmen sollen den Konflikt zwischen wirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz entschärfen. An der Lesum zeigt sich: Sie können ihn auch verwandeln – in einen Streit zwischen Naturschutz und Naturschutz. Denn gut 20 Jahre nach Verschüttung des Überseehafens Ende der 1990er Jahre sollen jetzt die Lesumwiesen­ zwischen Knoops Park und St. Magnus zum „tidebeeinflussten Gewässer im Anschluss an das vorhandene Gewässer“ umgebaut werden.

Einigkeit herrscht darüber, dass das viel zu spät ist. Aber während der BUND begrüßt, dass die Maßnahme endlich in Angriff genommen wird und sich einen großen Gewinn für die Artenvielfalt verspricht, stemmt sich eine Initiative von Anwohner*innen dagegen.

„Da ist im Laufe von 20 Jahren etwas Gutes entstanden, das jetzt beseitigt werden soll“, sagt Ursula Pickener von der Ini. Harscher formuliert der bundesweit bekannte Bremer Botaniker Jürgen Feder seine Kritik. Er nennt das Vorhaben „ein Stück aus dem Tollhaus“. Und schädlich für – Sie ahnen's: die Artenvielfalt.

Feder hatte im Herbst für die Bürger-Ini ein Gutachten erstellt. „Ich halte mich sonst bei Konflikten eher zurück“, sagt er, „aber das hier muss verhindert werden.“ Insgesamt 160 Pflanzenarten hat er auf den acht Hektar im Oktober gefunden. „Im Frühjahr wären das mehr gewesen“, sagt er. Gestützt auf die Expertise hat die BI eine Online-Petition gestartet – gegen­ das Vorhaben. Bis 31. Januar­ kann sie gezeichnet werden.

Warnung vorm Bestandserhalt

Fakt ist: Aus Anwohner-Perspektive­ geht dem Stadtteil ein Gelände verloren, das Naturerleben ermöglicht. „Meine Kinder sind ja jetzt erwachsen“, sagt Pickener. „Aber die sind da früher morgens rein in die Wildnis und kamen am Abend bis zu den Haarspitzen verdreckt und glücklich nach Hause.“ Das fällt für künftige Generationen aus: Im Gewässer ist schlecht streunen.­ Pickener fürchtet, dass es auch mit dem Gebrumm von Insekten dort vorbei ist.

Aber da widerspricht die Umweltsenatorin: „Das Gebiet wird der Natur nicht entzogen, sondern ökologisch weiter aufgewertet“, so deren Sprecher Jens Tittmann. Insekten, Vögel und Amphibien würden dort weiterhin­ Nahrung finden und sich vermehren. „Für Arten, die an nasse Verhältnisse angepasst sind, wird es an Bedeutung zunehmen.“

Feder glaubt nicht an die amtliche Prognose, und vom BUND hält er wenig: „Das sind Umweltdarsteller“, befindet er. Durch die Vernässung werde eine Schilfwüste erzeugt, „davon haben wir wirklich schon mehr als genug.“ Er ist Herausgeber der „Bremer Botanischen Briefe“, einer Fachzeitschrift, die seit 2008 die Entwicklung der Flora des kleinsten Bundeslandes dokumentiert.

Und seit 25 Jahren verfolgt er, wie sich das Nordbremer Areal von einer landwirtschaftlich genutzten Fläche in eine Landschaft mit Feuchtwiesen, Röhrichten, Hochstaudenfluren, mesophilem Grünland, Quell- und Auenwald sowie Feuchtgebüschen verwandelt hat, „völlig einmalig für das Land“. Die sei zu erhalten, so seine Bewertung. „So, wie sie ist.“

Bloß nicht!, heißt es dazu aus der Umweltbehörde: Dann würden die Wiesenaspekte ja nach und nach verschwinden. Denn ohne die Maßnahme sei „das Gebiet für wertvolle Röhrichte nicht nass genug“. Während die Behörde den Lesumwiesen im Ist-Zustand immerhin eine „vorhandene Strukturvielfalt“ zugesteht, nennt BUND-Geschäftsführer Rode sie „ein Allerweltsruderal“.­

Das Ende der Bremer Kohlkratzdistelwiese

Er warnt davor, „mit vordergründig naturschutzfachlichen Argumenten“ die Maßnahme zu verhindern. Schließlich werde durch sie eine Laichzone geschaffen, so wie es, etwas weiter östlich bei einer ähnlichen Maßnahme, in kleinerem Umfang bereits geklappt hat. Dort haben sich laut Umweltbehörde auch seltene Vögel angesiedelt und abends schwirren mehr und mehr Fledermäuse­ über die neue Flachwasserzone.

Für die Laichablage muss die Zone gezeitenabhängig sein, aber eben nur schwach. „Der Tidehub­ sollte bei etwa 70 Zentimetern­ liegen“, so Rode. Das sei infolge der Flussbegradigungen an Weser und Lesum fast nirgends mehr der Fall. „Die bekommen fast die ganzen vier Meter von der Küste ab“. Und zumal­ die seltenen Arten, die Feder dokumentiert hat, könnten sogar von der Vernässung profitieren. Das Sumpf-Greiskraut etwa, das als stark gefährdet auf der Roten Liste steht.

Vorbei wäre es dann aber mit Bremens laut Feder einziger Kohlkratzdistel-Wiese, so viel ist klar. Und auch wenn Cirsium oleraceum nicht als Rarität gilt – sie gedeiht auch auf den überdüngten Flächen Niedersachsens gut – es komme ja nicht darauf an, möglichst besondere Arten zu finden, sondern auf deren Vielfalt und Zusammenspiel, sagt der Mann, der sich selbst Extrem-­Botaniker nennt. „Es zählt der Komplex.“

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