Leonard Kaminski über Antisemitismus: „Was immer hilft, sind Begegnungen“

Leonard Kaminski von RIAS spricht über die Auswirkungen des Nahost-Konflikts auf Berlin. Für den muslimisch-jüdischen Dialog sieht er keine Gefahr.

Ein Mensch trägt eine Maske und hält ein Schild hoch, auf dem steht: "Gegen jeden Antisemitismus"

Am 15. Mai demonstrierten Hunderte in Berlin in Solidarität mit Israel und gegen Antisemitismus Foto: Adora Press/M. Golejewski

taz: Herr Kaminski, was passiert gerade in Berlin?

Leonard Kaminski: Der Nahost-Konflikt lässt Emotionen hier sehr hochkochen. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Wenn man Personen hat, die sowieso schon antisemitische Grundeinstellungen haben, dann passiert genau das, was auf der Demo am Samstag passierte. Der Antisemitismus kommt nicht nur aus einer Ecke der Gesellschaft, aber es gibt ihn auch in migrantisch geprägten Milieus. Dort wird ein vom Nahostkonflikt eigentlich unabhängiger Antisemitismus durch Geschehnisse in Israel und Gaza aktiviert. Der Nahostkonflikt ist Auslöser, nicht der Grund für Antisemitismus.

Sie scheinen nicht überrascht.

Der aktuelle Antisemitismus war schon immer da. Die konkrete Situation, wie wir sie jetzt haben, dass im Nahen Osten etwas passiert und es Auswirkungen hat auf das Zusammenleben hier, vor allem auf die hier lebenden jüdischen Menschen, das haben wir ja schon länger.

Leonard Kaminski berät, schreibt, spricht und moderiert zu Nahostpolitik, den deutsch-israelischen Beziehungen, Antisemitismus und jüdischer Sicherheit in Deutschland. Er ist Coach im Meet A Jew Programm des Zentralrats der Juden in Deutschland und Gründungsmitglied des RIAS-Bundesverbands (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus).

Was bedeutet das für Sie im muslimisch-jüdischen Dialog?

Ich habe mit ganz vielen muslimischen Menschen zu tun, das bedeutet für uns gar nichts. Wir können uns über kontroverse politische Themen austauschen, der aktuelle Konflikt ändert daran nichts.

Das heißt, ein Dialog ist auch im Moment noch möglich?

Ja, natürlich. Das ist mir wichtig: Es ist nicht so, als ob der Nahost-Konflikt gerade in Deutschland ankommen würde. Es sind antisemitische Grundhaltungen, die an die Oberfläche geschwemmt werden.

Was bekommen Sie davon mit?

Ich war selbst am Samstag auf der vermeintlich pro-palästinensischen Demo. Ich wohne in Charlottenburg und bin mit meiner Vespa hingefahren. Auf der gesamten Fahrt habe ich palästinensische Flaggen gesehen. Das ist überhaupt nicht schlimm, ich habe nichts gegen palästinensische Flaggen. Das Ding ist: Mit israelischen Flaggen machen das nur Menschen, die lebensmüde oder auf einer polizeigeschützten Demo sind.

Sonst sieht man es selten, meinen Sie?

Hier in Berlin läuft niemand mit einer israelischen Flagge herum oder hängt sie sich ans Auto. Jüdische Menschen oder israelsolidarische Menschen haben definitiv eine Tendenz, sich zu verstecken. Das ist ein riesiges Problem für eine Demokratie.

Und als Sie ankamen in Neukölln – wie nahmen Sie dort die Demonstration wahr?

Ich bin schnell wieder gegangen, die Stimmung war mir zu aggressiv. Auf der Demo sind alle möglichen Menschen gewesen. Da waren Hamas-Flaggen und Flaggen, auf denen stand „From the river to the sea“, was gleichbedeutend ist damit, Israel das Existenzrecht abzuerkennen. Dass die Demo dann am Ende aufgelöst wurde, weil die Corona-Auflagen nicht eingehalten wurden, ist zwar schön, aber nicht der richtige Grund.

Wie hätte sich die Polizei verhalten sollen?

Sie hätte schnell und in der entsprechenden Härte durchgreifen müssen. Ich bin des Arabischen nicht mächtig, aber habe gleich erkannt, dass da eine Hamas-Flagge ist. Ich weiß nicht, ob die Polizei Arabisch sprechende Kol­le­g:in­nen dabei hatte – wenn nicht, muss das passieren, falls ja, dann haben die ihren Job nicht gemacht.

Wie verändert es denn die Bildungsarbeit, wenn Meinungen, Informationen und Desinformationen heutzutage in erster Linie über Social Media verbreitet werden?

Mit Social Media ist es total schwierig. Diese antisemtische Hetze verbreitet sich über Instagram und Tiktok total leicht. Wenn man ohne Kontext ein kurzes Video sieht, wie israelische Soldaten in eine Moschee rennen, trifft das auf fruchtbaren Boden bei Menschen, die sowieso schon eine negative Grundeinstellung Jüdinnen und Juden gegenüber haben. Dann heißt es schnell: „Da sind die Juden, denen zeigen wir es jetzt mal“, und man zieht mit antisemitischen Sprechchören vor eine Synagoge.

Wie kann sich das ändern?

Vielleicht wäre es gut, wenn man wie bei Corona einblenden könnte: Korrekte Informationen kriegst du hier.

Wie kann sich die derzeitige Stimmung lösen?

Ich persönlich bin kein großer Fan davon zu sagen: Wir brauchen einfach nur Bildung. Das bringt's auch nicht unbedingt. Es gibt leider auch hochgebildete und intelligente Antisemiten. Was dagegen immer hilft, sind Begegnungen.

Wie bei Ihrem Programm „Meet A Jew“?

Ich bin schon lange Coach beim Zentralrat für das „Meet A Jew“-Programm, ein Projekt, bei dem Nicht-Jüd:innen auf Jü­d:in­nen treffen. Die Idee ist: Es gibt Antisemitismus, alle sprechen über Juden, aber niemand begegnet ihnen. Deswegen stellt „Meet A Jew“ sozusagen Jü­din­nen:­Ju­den zum Austausch zur Verfügung. Es ist wichtig, dass die Leute verstehen: Wenn man vor einer Synagoge „Scheiß Juden“ brüllt, dann trifft das jemanden. Daher sind Begegnungen wichtig. Und Prävention. Es muss gezeigt werden, dass es Konsequenzen hat, wenn man sich antisemitisch betätigt. Denn es gibt auf jeden Fall Antisemit:innen, die hassen Juden. Punkt. Deren Denken lässt sich leider nicht von heute auf morgen verändern.

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