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Leerstelle im WahlkampfObdachlosigkeit bekommt keine Aufmerksamkeit

Während im Winterwahlkampf hitzig debattiert wird, bekommen Obdachlose nicht nur die Kälte auf den Straßen zu spüren.

Obdachlose Menschen in Berlin am Bahnhof Zoo nach dem Wintereinbruch im Februar 2025 Foto: Paul Zinken/dpa

Ein kahler Raum mit sechs Betten. Wegen des Kälteeinbruchs wurden zwei zusätzliche Liegen aufgestellt. Ich stehe in einem Klassenzimmer der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg, die wir im Rahmen des taz-Panterworkshops für Nach­wuchs­jour­na­lis­t*in­nen besichtigen.

Heute beherbergt das Gebäude eine Notunterkunft für obdachlose Menschen. Während des Besuchs wird mir bewusst: Ich nehme die Menschen, die auf der Straße leben oder dort ihr Auskommen verdienen müssen, kaum wahr.

Tagtäglich haste ich an ihnen vorbei, in Gedanken bei meinen eigenen Sorgen. Wie sich der Obdachlose, an dem wir unterwegs vorbeikamen, vor der Kälte schützt? Welche Farbe die Mütze des Flaschensammlers hatte? Was der Mann vor dem Supermarkt, der uns nach Geld fragte, in seiner Tasche hatte? Auf keine dieser Fragen habe ich eine Antwort.

Dabei ist Obdachlosigkeit das sichtbarste Symptom der aktuellen Wohnungsnot in Deutschland. Dem aktuellen Wohnungslosenbericht der Bundesregierung zufolge sind in Deutschland rund 531.600 Menschen wohnungslos, fast 50.000 von ihnen leben auf der Straße. Tendenz seit Beginn des Krieges in der Ukraine steigend.

Doch im Wahlkampf findet das Thema keine Aufmerksamkeit. Nur Grüne und Linke wollen Obdachlosigkeit be­enden und setzen dabei auf den Ansatz „Housing First“, bei dem den Menschen eine Wohnung vermittelt wird, ohne dass diese an weitere Bedingungen geknüpft ist.

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Außerdem wollen beide Parteien Zwangsräumungen verhindern, die in die Obdachlosigkeit führen. Bei allen anderen Parteien wird Obdachlosigkeit in den Wahlprogrammen nicht einmal erwähnt.

Doch wie alle Probleme verschwindet auch Obdachlosigkeit nicht, wenn man die Augen davor verschließt oder den Blick abwendet. Auf dem Nachhauseweg schaue ich mir die Menschen zum ersten Mal genauer an.

Der Obdachlose am U-Bahnhof hat Zeitung unter seine Isomatte gelegt, um sich vor der Kälte zu schützen. Der Flaschensammler trägt eine blaue Mütze. Und der Mann vor dem Supermarkt hat ein Xylofon in seiner Tasche.

Lenja Vogt ist eine von 23 Nach­wuchs­jour­na­lis­t*in­nen, die in der taz derzeit eine Sonderbeilage zur Bundestagswahl gestalten. Sie erscheint am 21. Februar.

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4 Kommentare

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  • Is doch klar, die haben ja auch kein Geld und sind keien Wähler wer soll schon an die denken.



    Nur wenn es so richtig schlimm wird wie in der USA dann werden sie Anfangen darüber zu reden aber dann eher über eine "Pest" und nicht Menschen in not.



    Und wenn ihr meint ich überziehe, dann schaut euch mal an wie die Rechten über Asylbewerber und Migranten reden.

  • ... vor einem knappen halben Jahr habe ich die Oberbürgermeisterin der Stadt Köln gefragt, was sie gegen die Obdachlosigkeit zu tun gedenke, wie es um ein Projekt HOUSING FIRST stehe: keine Antwort. Nachfrage: "bitte um Geduld", immer so viel zu tun, hier.



    Ich könnte mir gut vorstellen, dass Vermögende sich privat-initiativ (in Köln?) zusammenschließen und ein geeignetes, größeres Haus kaufen - um es den Obdachlosen schlicht und einfach zum Wohnen zur Verfügung zu stellen. Alles wäre besser als unter der Brücke zu "leben".

  • Kein Wunder dass das totgeschwiegen wird - müssten doch die Parteien einräumen dass es hier ein zunehmendes Problem gibt.

    Jeder kann schneller als man denkt davon betroffen sein.



    Jeder.



    Und oftmals icht nur unverschuldet sondern auch unverhofft.

    Wie ist das eigentlich mit den Wohnungslosen ?



    Können die wählen oder wird das mit obskuren Mitteln verhindert ?

    • @Bolzkopf:

      Wohnungslose Menschen in Deutschland haben grundsätzlich das Recht zu wählen, müssen aber einige Hürden überwinden, um dieses Recht auch wahrnehmen zu können. Der wichtigste Schritt ist die rechtzeitige Eintragung in das Wählerverzeichnis: Dafür müssen wohnungslose Menschen einen Antrag stellen, denn sie werden nicht automatisch eingetragen. Hinzundkunzt.de, eine Initiative, die sich um wohnungslose Menschen in Hamburg kümmert, hat dafür kürzlich eine Vorlage entwickelt, die sich leicht auf andere Städte übertragen lässt. Auch die BAG Wohnungslosenhilfe e.V. bietet eine Vorlage zum Download an. Auch hier gilt: Eigene Stadt eintragen, nicht vergessen! Statt einer festen Meldeadresse kann auch die Adresse einer sozialen Einrichtung, eines Wohnheims oder der Stadtverwaltung als Erreichbarkeitsadresse angegeben werden.

      Der Antrag auf Eintragung muss spätestens am 21. Tag vor der Wahl bei der zuständigen Gemeinde gestellt werden. In dem Antrag ist "an Eides statt" zu versichern, dass man die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und sich in den letzten drei Monaten überwiegend in der Gemeinde aufgehalten hat.