: Leerstand auf der Leitungsebene
Bei der Wahl der Ausschussvorsitzenden im Bundestag geht die AfD wohl leer aus. Die Posten bleiben dann vakant. Am Ende müssen zur Not vielleicht die Alten ran

Von Tobias Schulze, Sabine am Orde und Gareth Joswig
Drei Monate nach der Bundestagswahl geht im Parlament am Mittwoch auch die Arbeit im Hintergrund los: Die 24 Fachausschüsse, die für den parlamentarischen Alltag zentral sind, kommen erstmals zusammen und stimmen zum Auftakt über ihre Vorsitzenden ab. Sehr deutlich zeichnet sich diesmal ab: Die AfD wird leer ausgehen.
Die Fraktionsspitze von CDU und CSU wird ihren Abgeordneten raten, den aufgestellten AfD-Politiker*innen ihre Stimme zu verweigern. Man empfehle, „mit Nein zu stimmen“, sagte am Dienstag der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Steffen Bilger. Da es SPD, Grüne und Linke ohnehin so handhaben, wird die AfD wohl wie in der vergangenen Legislaturperiode keinen der Posten bekommen.
Dabei stieß vor gerade mal vier Wochen Jens Spahn, inzwischen Fraktionschef der Union, eine Debatte über die Normalisierung der AfD an: Er forderte, sie zu behandeln wie jede Oppositionspartei – und ihr auch Ausschussvorsitze zu überlassen. Nach den Koalitionsverhandlungen mit der SPD und der Hochstufung der AfD zu einer erwiesen rechtsextremen Partei durch den Verfassungsschutz hat sich die Lage jedoch geändert.
Ausschussvorsitz – das hört sich bürokratisch und unwichtig an. Aber in diesen Fachgremien wird die eigentliche parlamentarische Arbeit geleistet, insbesondere die Vorbereitung und Ausarbeitung von Gesetzen. Die Vorsitzenden stellen die Tagesordnung auf, führen durch die Ausschusssitzungen und leiten Sachverständigenanhörungen. Es geht also nicht nur um die grundsätzliche Frage, ob man der AfD Zugang zu parlamentarischen Posten geben sollte. Die Ausschussvorsitzenden haben auch inhaltlich Relevanz.
Im Prinzip soll bei der Vergabe der Ämter jede Fraktion zum Zug kommen. Die Geschäftsordnung des Bundestags sieht vor, dass die Ausschussvorsitze „im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen“ verteilt werden. Zu diesem Zweck kommen zu Beginn der Legislaturperiode die verschiedenen Fraktionsgeschäftsführer zusammen. In mehreren Runden darf reihum jeder von ihnen auswählen, welchen Ausschuss einer seiner Fraktionskollegen leiten soll.
Die AfD hat bei der Bundestagswahl 20,8 Prozent der Stimmen geholt und ist zweitstärkste Kraft im Bundestag. Demnach stehen ihr rein rechnerisch sechs Ausschussvorsitze zu. Bei der Verteilung unter den Fraktionen kam sie direkt nach der Union als Zweites dran, in der ersten Runde entschied sie sich für den mächtigen Haushaltsausschuss. Später wählte sie noch die Ausschüsse für Finanzen, Innen, Recht, Arbeit/Soziales und den Petitionsausschuss aus.
Allerdings hat sie sich damit de facto nur ein Vorschlagsrecht gesichert: Die Geschäftsordnung sieht auch vor, dass die Ausschüsse ihre Vorsitzenden selbst bestimmen. Über die Abgeordneten, die die jeweiligen Fraktionen konkret nominieren, wird zu Beginn abgestimmt. Ein Recht auf Zustimmung gibt es nicht.
Das stellte 2024 das Bundesverfassungsgericht klar. Die AfD hatte geklagt, nachdem ihre Kandidaten nach einigem Hin und Her schon 2021 durchgefallen waren. In ihrer ersten Legislaturperiode ab 2017 stellte die Rechtsaußenpartei zwar zunächst drei Vorsitzende, darunter im Rechtsausschuss Stephan Brandner. Nach zwei Jahren und einigen Eskapaden wählte der Ausschuss ihn aber wieder ab.
Die Posten bleiben in solchen Fällen vakant, die Aufgaben der Vorsitzenden werden von ihren Stellvertreter*innen übernommen. Eine Aufwertung der Vizes, wenn auch mit einem Nachteil: Laut Abgeordnetengesetz bekommen sie anders als die richtigen Vorsitzenden keine Zuschläge auf die Diäten.
Und bei der Kür der Stellvertreter könnte es ebenfalls noch Komplikationen geben. Auch bei den Vizeposten werden die Ausschüsse reihum unter den Fraktionen verteilt. Der Termin dafür steht noch aus. Bislang war es gängige Praxis, dass Vorsitz und Vize für ein und den selben Ausschuss nicht an eine Fraktion gehen. Doch was gilt eine gängige Praxis unter Beteiligung der AfD? Ein Sprecher von Alice Weidel versicherte der taz, es gebe keinen „Geheimplan“. Welche Vize-Posten die AfD konkret beanspruchen wolle, sei allerdings noch nicht geklärt.
Sollte die AfD für einen Ausschuss sowohl Vorsitz als auch Stellvertretung beanspruchen, bei den Wahlen aber beide Male scheitern, würde das dienstälteste Mitglied des Gremiums die Sitzungen leiten. Der Ausschuss bliebe also handlungsfähig. Die Leitungspositionen wäre damit aber relativ willkürlich verteilt, und eine Dauerlösung für kommende Wahlperioden ist diese Regelung auch nicht: Die AfD wurde schon zum dritten Mal ins Parlament gewählt. Möglich, dass irgendwann auch mal ein Rechtsextremer der Ausschussälteste ist.
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