Lebensmittel im Internet bestellen: Amazon bietet auch Bio an
Amazon verkauft jetzt in Deutschland online ein Mini-Sortiment der eigenen Ökomarke. Droht der Biobranche eine Attacke des Versandhändlers?
Wie ein fulminanter Angriff auf die hiesigen Biosupermärkte mutet es noch nicht an, was Amazon seit 20. Dezember ohne jegliche PR klammheimlich auf seiner deutschen Webseite anbietet: 19 verschiedene, in Tüten verpackte Bioprodukte der eigenen Hausmarke Whole Foods, nichts Frisches. Kürbiskerne, Popcorn-Mais, Couscous, Trockenfrüchte. Nicht eben ein Verkaufsschlager: „Geben Sie die erste Bewertung für diesen Artikel ab“ steht noch über jedem Bio-Tütenmampf.
Und doch ist es ein bemerkenswertes Novum. Denn damit tritt Amazon in Deutschland erstmals in Konkurrenz zu den anderen Biomarken, die schon länger Waren über den Versandhändler anbieten. „Das könnte der Auftakt für ein sehr viel stärkeres Engagement im deutschen Lebensmitteleinzelhandel sein, das keinesfalls nur Auswirkungen auf den Online-Versand von Lebensmitteln haben wird“, sagt Peer Schader, der auf supermarktblog.com als Erster darüber berichtete.
Whole Foods Market ist nicht irgendeine Marke. Das US-amerikanische Unternehmen ist die weltgrößte Biosupermarktkette. Amazon hatte das Unternehmen im Sommer 2017 für 13,7 Milliarden Dollar übernommen und Whole Foods so zur Hausmarke gemacht. Bereits 2015 lag der Umsatz der über 400 Supermärkte in den USA und Großbritannien bei umgerechnet rund 14 Milliarden US-Dollar – mehr als der gesamte Markt mit Biolebensmitteln in Deutschland, der sich 2017 auf zehn Milliarden Euro belief.
In den USA sei Amazon mit den übernommenen Whole- Foods-Läden nicht nur in den Innenstädten präsent, sie dienten auch als Auslieferungsstation für frische Lebensmittel an Prime-Mitglieder, sagt Schader. „Wenn Amazon eine solche Übernahme auch hierzulande gelingt, dürfte das den deutschen Lebensmitteleinzelhandel kräftig durcheinanderwirbeln“, glaubt er.
Branche ist wenig überrascht
Vorsorglich hat sich Amazon bereits vor über einem Jahr europaweit die Marken „Whole Foods“, „Whole Foods Market“ und „WFM“ gesichert sowie den Namen der Discountvariante „365“. Bisher vertrieb der Handelskonzern Produkte dieser Marken innerhalb Europas nur in Großbritannien.
Jetzt ändert sich das zumindest für das Trockensortiment, also alles, was ess- und trinkbar, aber nicht frisch ist und nicht gekühlt werden muss. Die Beschreibungen auf Amazons Bioprodukten sind nicht umsonst in mehreren Sprachen abgedruckt: Sie werden jetzt auch in Italien, Frankreich und Spanien angeboten.
Die Branche in Deutschland ist weniger überrascht von der neuen Konkurrenzsituation. „Unternehmen, die ihre Produkte über Amazon anbieten, sollten damit gerechnet haben, dass Amazon sich von ihrem Dienstleister zu ihrem Wettbewerber entwickeln würde“, sagt Elke Röder, Geschäftsführerin vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN).
Allerdings solle man die Rolle des Online-Handels nicht überschätzen. „Der Naturkosthandel bietet den Kundinnen und Kunden, die an einer echten Transformation der Ernährung mitwirken wollen, das überzeugendste Angebot“, sagt sie.
Noch keine Revolution ausgelöst
Der Umsatz von Bio-Lebensmitteln ist 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 5,9 Prozent gewachsen, hat der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) ausgerechnet. Was hauptsächlich daran liege, so der Dachverband der Branche, dass herkömmliche Discounter und Supermärkte ihre Sortimente ausgeweitet haben – dort werden die meisten Bioprodukte verkauft, reine Naturkostfachgeschäfte kommen auf einen Anteil von 29 Prozent. Der Rest entfällt auf diverse andere Vertriebswege wie Bäckereien, Metzgereien oder den Versandhandel.
Auch beim Frischesortiment mischt Amazon seit Mai 2017 mit und liefert zum Beispiel Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch, Brot und Backwaren an Haushalte in München, Berlin, Potsdam und Hamburg. Revolutioniert hat das den Lebensmittelhandel bisher jedenfalls nicht.
Joyce Moewius vom BÖLW schätzt, dass frische Bioprodukte online weniger Chancen haben als Trockenware wie Nudeln oder Getränke: „Bei uns kaufen die Kunden den Bio-Apfel immer noch am liebsten im Laden, wo sie sich von der Qualität selbst überzeugen können“, sagt sie. Das liege auch an der Zielgruppe der Lebensmittellieferungen: den Stadtbewohnern. Für die sei es einfacher, beim Händler um die Ecke einzukaufen, als Produktlisten zu durchforsten und zu Hause auf eine Lieferung zu warten.
Natürlich könnte auch dieser Händel um die Ecke wie in den USA bald Amazon heißen – ob der Konzern entsprechende Pläne hegt, dazu schweigt er bisher.
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