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Leben mit ParkinsonDer seltsame Freund

Wigand Lange hat beschlossen, nicht an Parkinson zu leiden. Der Schriftsteller hat sich stattdessen mit Parkinson angefreundet. Eine Beziehungsgeschichte.

Mit Hilfe eines Computertomographen kann Morbus Parkinson diagnostiziert werden. Bild: dpa

Manchmal fühlt es sich an, als würde sein Hirn die Schädeldecke wegpressen. Es gibt Tage, da bekommt er die schweren Beine kaum aus dem Bett gewuchtet. Computer, Halogenlampen, Handymasten - sie schießen ihre elektrischen Strahlen auf ihn. Negative Schwingungen. Fast überall. Er flieht davor. Er zieht aus, um, ein. Dahin, wo der Hund verfroren ist, sagt er, in den ganz tiefen Süden Bayerns. In ein Dorf ohne Strahlenmasten und Elektrosmog. Es kommt vor, dass er dort nur zum Bäcker schlurfen kann und gebeugt vorwärts kriecht wie eine alte Frau. Er muss vorsichtig sein, auch mit dem Alkohol, mit der Ernährung, mit der Anstrengung - mit so vielem.

Schuld daran ist Parkinson. Der seine Bewegungen langsam macht wie ein Zeitlupen-Foul im Fußballfernsehen, der sie einfrieren kann wie ein Standbild. Da hängt sein Arm fest, vor ihm, in der Luft. Parkinson, der den Schädelschmerz verursacht. Der ihn zittern lässt. Der ihn zwingt, ständig Medikamente zu nehmen, damit nicht alles noch schlimmer wird.

Trotzdem sagt Wigand Lange, dieser Parkinson sei sein Freund. Er hat ihm ein Buch gewidmet: "Mein Freund Parkinson".

Lange ist Schriftsteller, Übersetzer, Dramaturg. Und Parkinsonist. So nennt er sich immer wieder. Es klingt eher nach Percussionist, Pianist, Violinist als nach Behinderung, Krankheit oder Schüttellähmung. Als Autor weiß er: Es kommt darauf an, wie man Geschichten erzählt. So ein Leben ist, was man daraus macht. Man kann sich seine eigene Geschichte so erzählen, dass man sie gerne liest, gerne aus ihr vorliest. An den meisten Tagen jedenfalls. Lange hat für sich einen Ton gefunden, der sich weder verzweifelt anhört noch verniedlichend. Er hat beschlossen, dass dieser Parkinson etwas Gutes ist, sosehr er ihm manchmal auf die Nerven geht.

Bild: taz

Diesen Text und viele andere mehr lesen Sie in der vom 30./31. Januar 2010 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.

Ende der Neunziger, Lange war 50 Jahre alt, seine Frau hatte ihn verlassen, erfuhr er, warum sein Arm sich gelegentlich verselbstständigte. Er ist völlig zusammengebrochen und hat sich langsam wieder hochtrainiert. Später, als er mit dem Buch über diesen Parkinson in Deutschland unterwegs war, hat er einmal gesagt, der Typ sei das Beste, was ihm jemals passiert ist. Er hat ihn als Schriftsteller so erfolgreich gemacht, wie er es vorher vielleicht nie war. "Mein Freund Parkinson" ist gerade wieder in einer neuen, erweiterten Auflage erschienen. Am Ende stehen jetzt zwanzig Gebote. Das erste: Akzeptiere deine Krankheit.

Vor einigen Wochen erst hat der Mediziner Peter Ubel in den USA eine Studie veröffentlicht. Menschen, die die Hoffnung auf Heilung aufgeben, schreibt er, seien glücklicher. Sie versuchen, mit der Situation zufrieden zu sein.

Man findet dieses Verhalten auch in den psychologischen Phasenmodellen, die sich damit befassen, wie einer erst zerschmettert ist von einer Diagnose, dann wütend wird, sich selbst anfällt und sich schließlich arrangiert. Menschen, die an Schizophrenie oder Paranoia leiden, zu denen jemand spricht, ohne dass sie ihn erkennen können, beginnen manchmal, nach einer Weile zuzuhören. Zu reagieren, mit ihren Stimmen zu reden. Der niederländische Psychiater Marius Romme hat darüber ein Buch geschrieben: "Stimmenhören akzeptieren". Manche Betroffene nennen die Stimmen "Arbeitspartner", eine Inspiration. Lange hat Parkinson erst eine Stimme gegeben und ihn so akzeptiert. Er hat mit ihm gesprochen und ihn antworten lassen. Er hat ihn zu Papst Johannes Paul II. geschickt. Parkinson verspricht dem zittrigen, alten Kirchenmann, er werde für ihn das time management übernehmen. Es sind heitere, erfundene Dialoge, keine bitteren.

"Freunde", stellt Wigand Lange am Telefon fest, "sagen nicht nur Jaja, sondern sie reden Tacheles mit einem." Er spricht leise, konzentriert. Manchmal wirkt es, als würde ihn das Reden anstrengen. Parkinson, sagt er, habe ihm gezeigt, dass es so nicht weitergeht. Die Hektik. Der wenige Schlaf. Die Überanstrengung. Das Verzetteln mit seinen Prioritätenlisten.

Er hat die Listen jetzt umgedreht. Das Wichtigste zuerst. Seitdem, hat er den Eindruck, schafft er mehr, schreibt er mehr. Parkinson sei eben nicht nur ein Freund, sondern auch ein strenger Lehrer. Und ein Zeit-Manager.

Als er Parkinson zu seinem Freund umgeschrieben hatte, fiel es ihm leichter, mit ihm umzugehen. Er habe erkannt, wie sie kooperieren können, sagt Lange. Viel Sport, viel Schlaf. Dann nervt Parkinson nicht so sehr.

Wigand Lange ist Segler. Er ist wohl der erste Parkinsonist gewesen, der den Atlantik überquert hat. Für seine Füße sei das ganz übel gewesen. Er übernimmt sich, auch das gehört für ihn dazu. Eigentlich muss er gerade auf die Füße achten. Wenn die ihn nicht mehr tragen, könnte der Rollstuhl folgen. "Mein lieber Fuß, was kann ich dir Gutes tun?" So müsse man sich nach einem harten Tag nähern. "Was hätten wir denn gerne. Ein Fußbad vielleicht?" Er domestiziert mit Dialogen. So ist es weniger unangenehm.

Zwischenzeitlich hatte er einen Punkt erreicht, an dem er dachte, er könne Parkinson wegschicken. "Ich kenne deine Regeln jetzt und ich kapiere sie auch. Du musst sie mir nicht jeden Tag aufs Butterbrot schmieren. Mir wirds langsam ein bisschen langweilig. Immer dasselbe: die Steifheit, morgens die Fußbeugen dagegen, die Tabletten. Ich krieg es hin, du kannst mir schon ein bisschen was zutrauen. Ich habs verstanden. Ich bin ja kein kleines Kind." Lange lacht leise ins Telefon.

Er hatte auch darüber ein Buch geschrieben: wie er versucht, sich von seinem langjährigen Freund Parkinson zu verabschieden. Aber es ist eine Freundschaft, die sich nur schwerlich aufkündigen lässt. So sei das eben mit Vergleichen, sagt er. Sie hinken alle.

Wigand Lange läuft weiter.

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