Leben auf Luna

Schmetterlinge im Baum: Julia Butterfly Hill schützt Bäume und mobilisiert auf ihrer Lesetour Anti-IWF-Kräfte

„Ah. Herrlich: Miso-Suppe.“ Wird gleich bestellt. Denn Miso-Suppe ist extrem nahrhaft, extrem gesund und veganisch. „Miso-Suppe hat mich auf Luna überleben lassen“, sagt Julia Butterfly Hill. Und das will etwas heißen. Denn auf Luna zu überleben war keine Kleinigkeit: 738 Tage hat Julia Butterfly Hill, von Dezember 1997 bis Dezember 1999, ohne Unterbrechung auf dem über 60 Meter hohen, 1.000 Jahre alten Redwoodbaum in Nordkalifornien verbracht, den Umweltaktivisten Luna genannt hatten und der von der Holzindustrie zur Abholzung vorgesehen war. 738 Tage. Danach waren die Manager von Pacific Lumber weich gekocht. Sie gaben auf. Luna darf leben. „Weitere tausend Jahre“, sagt Julia. Und die anderen Bäume in einem Umkreis von 60 Meter um Luna herum auch.

738 Tage allein auf einer winzigen Plattform in einer schwankenden Baumkrone, 60 Meter über dem Boden, bei Sturm, Kälte, Schnee und Regen. Vor allem bei Regen. Es regnet viel in den Redwoodwäldern Nordkaliforniens. Die drei Jahreszeiten heißen Juli, August und Regenzeit. Zusätzlich war Julia ständig dem Terror der Abholzer von Pacific Lumber ausgesetzt, die die Baumsitzerin zum Aufgeben zwingen wollten. Mit höllisch lauter Musik, mit Einschüchterungen, Blockaden der Versorgungswege, Hubschrauberattacken und Kettensägen gegen Luna. Doch Julia Butterfly blieb und blieb und blieb. Bis Luna gerettet war.

Kritiker, die ihr danach entgegneten, das sei doch ein etwas mageres Ergebnis, nach zwei Jahren größter Entbehrungen nur ein 60-Meter-Areal gerettet zu haben, während täglich hundertmal so große Waldflächen gerodet würden, bescheidet sie knapp: „Ich bin schließlich nur eine Person. Ich habe mit meinem Körper geschützt, was ich schützen kann. Den einen Baum und ein Areal um ihn herum, das seiner Höhe entspricht und das ihn schützen wird. Mehr war nicht zu erreichen. Andere Areale müssen von anderen Menschen geschützt werden.“ Außerdem gehe es beim Baumsitzen vor allem auch um die Schärfung des öffentlichen Bewusstseins, um Aufmerksamkeit, ein kleiner Schritt zur Verbesserung der Welt.

Sie hat ein Buch geschrieben über ihr Leben dort oben auf dem Baum. Sie hat es während ihrer Zeit auf Luna in ein Diktiergerät gesprochen. Jetzt ist es auf Deutsch erschienen: „Die Botschaft der Baumfrau“. Die Botschaft ist: Zusammenhänge erkennen, den Planeten schützen und – kämpfen, mit Ausdauer für deine Überzeugungen kämpfen.

Julia Butterfly Hill ist seit ihrem erfolgreichen Abstieg von Luna für die unterschiedlichsten Umwelt- und Politgruppen aktiv, reist unentwegt durch die USA, um Gruppen von Aktivisten zu unterstützen, Aktionen voranzutreiben, in Talkshows und bei Podiumsdiskussionen aufzutreten und Gruppen zu vernetzen. Julia Butterfly hat nicht nur einen Manager, der kaum von ihrer Seite weicht, sondern mehrere hauptamtliche Mitarbeiter, die ihre Auftritte koordinieren, Hilfsanfragen kanalisieren und Projekte unterstützen, mit Geld und Hilfe bei der Infrastruktur oder mit der Popularität des Namens Julia Butterfly.

Es ist in den letzten neun Monaten ein kleines Weltrettungsunternehmen geworden, es heißt „Circle Of Life Foundation“, und in Zukunft sollen auf der Website (www.CircleOfLifeFoundation.org) vor allem kleine und kleinste Umweltgruppen, von denen es in den USA unzählige gibt, miteinander vernetzt werden. Die Aktion aber, der Circle of Life, den Julia Butterfly im Moment so ziemlich jedem nennt, der in annähernd erreichbarer Entfernung von Prag lebt, sind die Demonstrationen und Aktionen gegen die IWF- und Weltbanktagung. „Wir müssen uns die Macht endlich von den Institutionen zurückholen“, sagt Julia Butterfly. Je größer die Organisationen, desto geringer unsere Einflussmöglichkeiten. „Die Entmachtung des Einzelnen muss aufhören.“ Sie selbst fährt jedoch nicht nach Prag. Demonstrationen, Massenaufmärsche sind nichts für die ehemalige Baumsitzerin. Sie motiviert, aktiviert, ermuntert, berät.

Julia Butterfly ist so eine Art Königin der weltweiten Umweltbewegung. Nun sitzt sie hier also in dem kleinen vegetarischen Restaurant in Berlin-Schöneberg, inzwischen schon beim Tofu-Eisbecher „Tofutti“ und bayrischem Bier aus ökologischem Anbau angekommen, erzählt mit leuchtenden Augen von den kommenden Projekten, von ihrem Buch, das demnächst auch in Korea und Japan erscheinen soll, „wenn die das endlich mit dem umweltfreundlichen Papier hinkriegen“, und erklärt, warum es für den ganzheitlich denkenden Menschen sinnvoll ist, sich veganisch zu ernähren. Und ihr Manager, ein freundlicher, rosig-runder Mittvierziger, der sie, wenn sie erzählt, stolz bewundernd anblickt – ist er auch Veganer geworden, in der Zeit, in der er sie kennt? Julia Butterfly lacht und sagt: „Ach, unendlich ist mein Einfluss leider nicht.“

Julia Butterfly Hill: „Die Botschaft der Baumfrau“. Riemann Verlag, München 2000, 255 Seiten, 38 DM