„Le sel des larmes“ bei der Berlinale: Arschloch-Moves inbegriffen
Männliches Liebesleiden ist das große Thema in Philippe Garrels Filmen. Auch in seinem neuen Werk wird Liebe mit großem L geschrieben.
Luc (Logann Antuofermo), ein junger Mann, kommt aus der Provinz nach Paris, bequatscht an der Bushaltestelle eine junge Frau, Djemila (Oulaya Amamra) – im Film kommen die Namen freilich erst später –, erst die Blicke, die Fahrt mit dem Bus, das Zögern, das Hinterhergehen, das Austesten, er hat Interesse an ihr, ja, sie hat Interesse an ihm, um fünf ist sie frei.
Sie sehen sich wieder, mit einem intimen Tête-à-tête ist es schwierig, er ist nur kurz in Paris, sie wohnt zu Hause, man macht es möglich, aber als Djemila sich bei Lucs Griff Richtung Hose zugeknöpft gibt, ist er enttäuscht, es gebe doch andere Möglichkeiten, sagt Djemila noch, aber er haut einfach ab. Es wird nicht Lucs letzter Arschloch-Move bleiben.
Luc ist Tischler, das hat er bei seinem Vater gelernt, er ist in Paris zur Aufnahmeprüfung an der Ecole Boulle, der Kunsthandwerk-Akademie. Das Ergebnis erfährt er erst Monate später, muss zurück in die Provinz, Djemila ruft ihn dann doch wieder an, er verspricht ihr ein Wiedersehen, aber da kommt ihm Geneviève (Louise Chevellotte) dazwischen.
Wo Djemila zögert, da kennt sie kein Vertun. Seit Jahren haben sie sich nicht gesehen, jetzt genügen ein Blick- und ein Wortwechsel, ein kurzer elliptischer Schnitt, und sie liegt nackt in der Wanne. Erst spielen seine Finger mit ihr, dann platscht es und die Kamera schwenkt züchtig zur Seite.
23.2. 18 Uhr, Friedrichstadt-Palast
27.2. 12.30 Uhr, Zoo Palast 1
1.3. 12.45 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
Geneviève steigt dann nackt aus der Wanne, steht später nackt unter der Dusche, was Lucs männlicher Blick sichtlich goutiert. Ein Blick, den die gewohnt impressionistische Kamera von Roberto Berta hier und auch an anderen Stellen, obwohl sie mehr im Sinn hat als nur Luc und Lucs Blick, keineswegs konterkariert.
Verantwortungslose Männer
Vielmehr wird das alles, die ganze Geschichte von Luc, auf sehr breiter Leinwand in edlem Schwarzweiß hingepinselt, und je länger man diesem ziemlich toxischen Luc bei seinen Fährnissen zuschaut, desto drängender wird die Frage: Warum eigentlich wird mir das hier so ausführlich und dann letztlich nur aus seiner Sicht präsentiert?
Die Konstellationen sind aus Philippe Garrels Werk, der seit Langem mehr oder weniger denselben Film immer wieder anders noch einmal dreht, längst vertraut.
Der Mann, der sich in Liebesleiden verstrickt, an denen er Schuld trägt, weil er nicht wissen will, was aus dem folgen muss, was er tut, weil er keine Verantwortung übernimmt, weil er egozentrisch bis narzisstisch ist, im Namen der Kunst oder im Namen der Liebe – dieser Mann ist der typische Garrel-Protagonist.
Zuletzt, in „L’amant d’un jour“ (2017), hatte Garrel das aus Frauenperspektive erzählt, mit weiblicher Off-Stimme, die das Geschehen scheinbar allwissend kommentiert. Hier ist die Männerstimme aus „L’ombre des femmes“ (2015) zurück, und es ist wieder ein Mann, der bleibt, während die Frauen kommen und gehen.
Zwar füllt der Erzähler diesmal eher Ellipsen, hält sich mit Einsichten ins Innere des Helden ziemlich zurück. An einer Stelle jedoch heißt es, so ungefähr: „Luc begriff nach seinen Erfahrungen mit Djemila und Geneviève, dass er die Liebe noch nicht kennengelernt hatte.“
Der raunende Liebesdiskurs ist an dieser Stelle nicht ironisch markiert, so wenig wie im kitschigen Titel. Also doch nichts weiter als zum tausendsten Mal: die Liebe des Mannes mit ganz großem L? Dabei ist der Erzählton insgesamt schnippisch, der Erzähler wahrt kritische Distanz zu seinem Luc.
Man wünschte sich nur, er ließe statt einer Frau nach der anderen einfach mal seinen öden Protagonisten zurück. Lieber hätte man etwa die weitere Geschichte Djemilas erfahren, die nur noch einmal, stumm, aber markant, auftreten wird. Aber Garrel bleibt natürlich Garrel und folgt lieber den sehr ausgetretenen Pfaden.
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