Laufexperte Horst Milde zu Leichtathletik-WM in Berlin: "Wir müssen Stuttgart bloß kopieren"
taz-Serie "Ausblick 2009" (Teil 2): Mitte August findet die Leichtathletik-WM statt - nur weiß davon kaum einer was, sagt der Laufexperte Horst Milde. Im Vorfeld seien Fehler gemacht worden, dabei gab es mit der WM 1993 in Stuttgart ein tolles Vorbild.
HORST MILDE, 70, ist bekannt als "der Mann, der Berlin das Laufen beibrachte". 1974 veranstaltete er zum ersten Mal den Berlin-Marathon für jedermann; dieser zählt heute zu den weltweit populärsten Laufveranstaltungen. Milde organisierte das Rennen bis 2003. Der gelernte Bäckermeister ist inzwischen Sprecher der German Road Races, der Interessengemeinschaft der deutschen Straßenlaufveranstalter.
Alle wünschen einen guten Rutsch und ein frohes neues Jahr. Was aber bringt 2009 wirklich? Die taz fragt die, die es wissen müssen. Diesmal geht es um das sportliche Ereignis: die Leichtathletik-WM vom 15. bis 23. August. Werden die Berliner ins Olympiastadion pilgern, obwohl kaum deutsche Stars am Start sind? Wie könnte das Begleitprogramm aussehen?
Der nächste Teil der Serie am Freitag beschäftigt sich mit dem Gedenkjahr 2009.
taz: Herr Milde, warum soll man sich eigentlich auf die Leichtathletik-Weltmeisterschaft im August freuen?
Horst Milde: Eine WM in der eigenen Stadt - das ist der Himmel auf Erden für jeden Leichtathletikfan.
Finden Sie die Formulierung nicht ein bisschen übertrieben?
Abgesehen von den Olympischen Spielen kann es für die Stadt Berlin kein schöneres Sportevent geben. Man muss es bloß so machen, dass es für die Leichtathleten und die Berliner ein Erlebnis wird - und da habe ich meine Zweifel.
Wieso?
Wenn ich mich nicht dafür interessieren würde, wüsste ich doch gar nicht, dass die WM in Berlin stattfindet. Ein Dreivierteljahr vor der Fußball-WM war da vergleichsweise die Hölle los. Alle in der Stadt haben sich auf irgendeine Weise mit der WM beschäftigt - egal, ob das die Künstler, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Arbeitgeber waren. Das geht mir hier bei der Leichtathletik-WM so völlig ab.
Woran liegt das?
An der Führungselite der deutschen Leichtathletik. Es fehlt an einer konzeptionellen Planung.
Zudem gab es im WM-Organisationskomitee ja einigen Knatsch.
Da ging es zu wie in einer Bananenrepublik. Persönliche Befindlichkeiten wurden über das große Ereignis gestellt, ausgewiesene Fachleute vergrault.
Vom Vorbild, der Leichtathletik-WM 1993 in Stuttgart, die eine immense Euphorie auslöste, ist man also weit entfernt?
So sieht es aus. Da wurde auch sehr viel mehr im Vorfeld geackert. Die haben etwa bundesweite Staffelläufe nach Stuttgart organisiert. Davon höre ich jetzt gar nichts. Außerdem stand damals die heimische Wirtschaft dahinter, die das sehr gepusht haben.
Die Organisatoren in Berlin suchen noch nach nationalen Werbepartnern. Bislang konnte nur einer gewonnen werden.
Die Ausgangslage ist durch die Finanzkrise gewiss schlechter geworden. Das hätte aber schon vor einem Jahr eingetütet sein müssen.
Hätten Sie sich da von Seiten der Politik mehr Unterstützung gewünscht?
Nein, der Deutsche Leichtathlethik-Verband (DLV) hätte sich mehr rühren müssen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat sich sehr für diese WM engagiert. Der Politik kann man keinen Vorwurf machen.
Allerdings zeigte sich der Senat kürzlich pikiert, weil er für die WM zu den sowieso schon zugesicherten 20 Millionen Euro noch 5,6 Millionen drauflegen musste.
Normalerweise müsste man noch viel mehr investieren. Zweihundert Nationen sind hier am Start. So billig und so schnell bekommen wir in diesen Ländern nicht wieder eine Werbemöglichkeit eingeräumt.
Das ist aber nun doch ein Vorwurf an die Politik.
Ja, ich glaube das Budget von 45 Millionen Euro ist zu gering angesetzt. Wenn man auf den Pfennig schielt, hat man den Wert der Veranstaltung völlig unterschätzt. Jede Million Euro, die hier investiert wird, bringt doch ein Mehrfaches an Gewinn.
Inwiefern profitiert die Stadt denn von der WM?
Die 10-Kilometer-Runde beim Marathonlauf führt ja an den großen Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei. Die Strecke ist dadurch nicht so schön rund, wie sie vielleicht hätte sein sollen, aber so werden in die ganze Welt Berlin-Bilder ausgestrahlt. Das hat einen riesigen Werbewert.
Auf Ihre Initiative hin wird der Marathon erstmals bei einer WM außerhalb des Stadions gestartet und beendet.
Ich freue mich, dass nicht nur dieser Vorschlag angenommen wurde, sondern auch meine Idee umgesetzt wird, dies mit einem Volkslauf zu verbinden. Ich denke, dass zumindest diese Wettbewerbe um das Brandenburger Tor zu einem Erfolg werden.
Weshalb?
Wegen der Erfolge des Marathons und des Internationalen Stadionfests Istaf haben wir doch überhaupt erst die WM bekommen. Die laufbegeisterten Berliner werden bei dieser Veranstaltung das Salz in der Suppe sein. Sie werden das Fluidum verbreiten, das man braucht.
Da darf man auch kostenlos zuschauen. Glauben Sie, dass man für die Wettkämpfe im Olympiastadion die angestrebten 500.000 Karten verkaufen wird?
Da müssen noch entscheidende Dinge in der Vorbereitung passieren. Das grundsätzliche Problem ist ja, dass uns die Lokalmatadoren fehlen, die an der Spitze mithalten können. Beim Sportfest Istaf habe ich in der Vergangenheit öfters gedacht: Na ja, acht Sprinter und acht Namen, die ich nicht kenne. Das reißt mich nicht vom Hocker.
Damit erklären Sie ja die Schwierigkeiten der Organisatoren, die WM zu vermarkten.
Nein, das ist eine Weltveranstaltung. Sponsoren hängen sich nicht an einzelnen Athleten auf und schon gar nicht an deutschen. Und wir haben weltweit groß agierende Unternehmen, die man nur an den Tisch hätte bitten müssen.
Wie lockt man die Zuschauer nun an?
Die kommen nicht nur wegen der Stars. Das ganze Rundum-Programm macht die Veranstaltung erst zu einem Event - wie man neudeutsch sagt. So blöde sich das auch anhören mag, aber ohne das läuft so eine Veranstaltung nicht. Das fängt bereits im Vorfeld an.
Was meinen Sie damit?
Man sollte bereits vor der WM viel mehr Veranstaltungen organisieren. Es wäre sinnvoll, die Schulen mit einzubinden, damit die Kinder nach Hause gehen und sagen: "Mutti und Vati, ich will zur WM. Ich will mir das anschauen. Außerdem kann ich da selber mitlaufen."
Wie das?
Bei der Europameisterschaft in Göteborg 2006 wurden zum Beispiel im ganzen Stadtgebiet Mitmachzonen eingerichtet. Die Leute wurden dazu animiert, sich zu bewegen. Und man muss das Publikum auch unterhalten: In den USA sind die größten Läufe diejenigen, die Rock n Roll und Country-Musik bieten. Die nennen das Ganze gar Festival.
Schmerzt diese Art der Kommerzialisierung nicht Ihr Sportlerherz?
Nein. So erreicht die Leichtathletik die Sympathie der Bevölkerung. Die Leute wollen etwas erleben. Und wenn sie die Kinder rennen lassen, reden die in den Familien davor und danach wochenlang darüber. Dadurch hat die Leichtathletik überhaupt noch einen Stellenwert. Der Berlin-Marathon ist auch nicht von alleine groß geworden.
Sondern?
Wir sind rund um die Welt gefahren, um den Lauf bekannt zu machen. Dabei habe ich einiges gesehen, was ich abgekupfert habe. Man muss mit den Augen stehlen. Da liegt ja kein Copyright drauf. Wenn ich irgendwas Gutes gesehen habe, habe ich denen ins Gesicht gesagt: "Das mache ich bei uns in Berlin auch."
Das hat man im Vorfeld der Leichtathletik-WM verpasst?
Ja. Ich habe auch gesagt: "Wir können doch alles so machen wie damals in Stuttgart. Wir brauchen das doch bloß zu kopieren." Oder ich hätte als WM-Organisator auch den Istaf-Chef Gerhard Janetzky gefragt: "Wie hast du denn das Olympiastadion voll bekommen? Das wollen wir auch schaffen."
Sie klingen recht desillusioniert. Haben Sie noch Hoffnungen für die WM?
Na klar. Ich hoffe, dass sich die deutsche Leichtathletik in der Öffentlichkeit wieder den Stellenwert bekommt, den sie verdient.
Und welcher wäre das?
Dass man etwa in der taz mal wieder eine Überschrift hat. Zu meiner aktiven Zeit waren alle Zeitungen voll mit Leichtathletik.
Glauben Sie, dass die Veranstalter diesem Erwartungsdruck gewachsen sind?
Im Hintergrund arbeiten sie ja - bloß man merkt es nicht. Das ist genau wie mit den Griechen. Da waren im Vorfeld der Olympischen Spiele nur Negativmeldungen zu lesen. Ich hab mir das mit meinen Organisationsaugen in Athen angesehen. Ich hab nichts zu meckern gehabt. Das waren die schönsten Spiele, die ich je gesehen habe.
Sie hoffen also auf die griechische Mentalität in Berlin.
So ungefähr. Es wäre jetzt auch ein Dreivierteljahr zu früh, dass man den Daumen nach unten hebt. Es sind aber leider viele Dinge im Vorfeld verloren gegangen, die man noch hätte positiver drehen können.
Haben Sie schon Ihre Eintrittskarten gekauft?
Bislang noch nicht. In meinem Bekanntenkreis sind einige aus dem Organisationshelferkreis, die haben schon welche. Von denen habe ich gehört, dass sie immer noch Helfer suchen. Da muss ich mich vielleicht noch zur Verfügung stellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen