Latin-Pop aus Berlin: Eruption und Neuanfang
Symbole der Metamorphose: Daniel Haaksman lässt auf seinem neuen Latin-Pop-Album „Sonido Lava“ Vulkane Feuer spucken.
Zwei Monate im Jahr 2021 spie der Vulkan Tajogaite auf La Palma Feuer, Asche und Rauch – es ist der längste bekannte Ausbruch eines Vulkans auf der Kanareninsel. Ein mächtiger Lavastrom ergoss sich über eine dicht besiedelte Tiefebene bis zum Meer. Immer noch ist der Boden so heiß, dass man zwar mit dem Auto über ihn fahren kann, aber nicht anhalten darf. Und zugleich schwingt in dieser Naturkatastrophe die Chance eines Neuanfangs mit. Denn irgendwann wird hier Vulkanerde entstanden sein, die extrem nährstoffreich ist.
Für den musikalischen Weltenbummler Daniel Haaksman sind Vulkane ebenso Sinnbilder für die unbändige Kraft der Natur wie für die von Krisen geprägte aktuelle Weltlage. Das neue Album des Wahlberliners heißt „Sonido Lava“, Lava-Sound. Das vom Künstler Paul Snowden minimalistisch gestaltete Cover zeigt einen Vulkan in Eruption. Und die chilenische Sängerin Malagüera, deren Stimme gleich in der Hälfte der zehn Songs zu hören ist, erweckt in „La mujer dormida“ („Die schlafende Frau“) den mexikanischen Vulkan Iztaccíhuatl zum Leben.
In den Songs Malagüeras geht es inhaltlich um Frauen im Zustand der Verwandlung, um weibliche Ermächtigung – wobei Lava und Vulkane zu Symbolen ihrer Metamorphose werden. So wacht auch der schlafende Iztaccíhuatl wieder auf und nimmt sein Schicksal in die eigene Hand. In „Bruja“ beschwört Malagüera wiederum eine Hexe, die sich durch Tanz und Feuer läutert – begleitet von einem alten Haaksman-Bekannten: dem kolumbianischen Gitarristen Los Bulldozer mit seinem für den Champeta der Karibikküste üblichen perlenden Soukous-Stil.
Forschen in Salvador de Bahia
Bekannt wurde Daniel Haaksman dadurch, dass er Mitte der Nullerjahre das Label Man Recordings gründete, mit dem er den Baile Funk, ratternden Elektro aus den Favelas Rio de Janeiros, auf die Tanzflächen westlicher Clubs brachte. Danach experimentierte er mit afrikanischen Rhythmen und forschte in Salvador de Bahia über den nach Brasilien ausgewanderten Schweizer Komponisten Walter Smetak.
Daniel Haaksman: „Sonido Lava“ (Man Recordings/The Orchard)
Auf seinem vierten Album „Sonido Lava“ taucht neben Los Bulldozer ein weiterer musikalischer Wegbegleiter Haaksmans wieder auf: der brasilianische Gitarrist Felipe Cordeiro aus Belém. In „Surto de amor“ vermischt der „Guitarrada“-Meister nordbrasilianische Klänge mit denen der Karibik zu einer Art Amazonas-Surf.
Mehr als zuvor ist Haaksmans Musik aber vom eingängigen spanischsprachigen Latin-Pop à la Rosalía geprägt. Augenfällig ist das etwa in dem Song „Superviviencia“, bei dem das HipHop-Fusion-Trio Çantamarta aus Malaga einen Gastauftritt hat. Aber auch in „Danza de fuego“, mit dem das Album abschließt, ist spanische Rumba zu hören. Dieser „Feuertanz“ basiert auf einem Akkordeon-Sample eines Gal-Costa-Liedes, wird hier aber mit rhythmischen Flamenco-Klatschen unterlegt.
Der Text erscheint in der Beilage taz thema global pop.
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