Lars Eidinger im Museum: Der Mann mit der Kamera
„Klasse Gesellschaft“: Die Hamburger Kunsthalle stellt niederländische Alte Meister aus – kombiniert mit sehr heutigen (Kunst-)Stars.
S o viel Auftrieb ist selten. Wenn die Pressefrau der Hamburger Kunsthalle andeutet, vielleicht nicht alle Anmeldungen berücksichtigen zu können, dann ist an diesem Termin etwas anders als sonst. Und selbst wenn Direktor Alexander Klar und Kuratorin Sandra Pisot betonen, wie wichtig die eigenen Bestände an niederländischer Genremalerei des 17. Jahrhunderts seien, an „Alten Meistern“ also: Die zwei Dutzend Berichterstatter_innen sind an diesem Donnerstag nicht gekommen, um weitgereiste Leihgaben zu bestaunen. Auch nicht, weil es gelungen ist, eine Ausstellung zu diesem Thema zu machen ohne einen einzigen Vermeer – die hängen derzeit alle in Dresden.
Nein, der eigentliche Star zeigt sich um 11.03 Uhr: Lars Eidinger ist da, das Haar strähnig wie neulich im Frankfurter-Schule-„Tatort“; schluffiges Outfit, für das ihn Karl Lagerfeld gescholten hätte; leuchtend rote Fingernägel. „Sie kennen mich als Schauspieler“, sagt er, dabei fotografiere er schon viel länger. Vom lange zurück liegenden Besuch in einem Berliner Berufsinformationszentrum erzählt er auch, und dass am Ende die Empfehlung gelautet habe: „Fotograf“. Und so treffen nun eben Fotos und ein paar kurze Videos des Nicht-nur-Schauspielers auf die erwähnten Genremalereien. „Klasse Gesellschaft“ ist das alles überschrieben: Diese Ölschinken erzählen ja auch etwas über den Wandel einer Stände- in eine Klassengesellschaft.
Gesellschaft aber, eben, auch, weil da etwas zusammenkommt, das zusammenzubringen sich vielleicht nicht aufdrängt. „Alltag im Blick niederländischer Meister“ lautet der Untertitel, und Alltag fängt ja auch Eidinger in seinen Fotos ein – selten den eines gut beschäftigten Schauspielers, es hängen da also nicht Garderobenspiegel-Selfie und Premieren-Glamour. Eher die Art von spröder Schönheit, die wir alle kennen: Nicht-Orte und urbane Abseiten, Natur, die der Mensch verschlimmbessernd gestaltet hat, Menschen am gesellschaftlichen Rand.
Bei allen (motivlichen) Gemeinsamkeiten gibt es natürlich Unterschiede: Wo ein Eidinger heute im Vorbeigehen Druckfähiges knipsen kann, seien es Menschen oder eine Umkleidekabine im KaDeWe, mussten ein Adriaen Brouwer oder Pieter de Hooch entschieden mehr Zeit im Atelier investieren. (Würden sie das immer noch tun? Oder wären sie selbst begeisterte Smartphone-Künstler?)
Ach ja, Stefan Marx ist auch mit im Ausstellungs-Boot: Der ehemalige Wahlhamburger hat lange die Plattencover gezeichnet für das örtliche Houselabel Smallville oder Werbematerialien des Golden Pudel Club. Inzwischen lebt er in Berlin und gestaltet unter anderem Vasen für die Königliche Porzellan-Manufaktur. Zur Hamburger Ausstellung steuert er teils großformatige Wort-Kunst bei. Und im Januar soll eine Arbeit Marx' an die 10 mal 11 Meter große Außenwand der Galerie der Gegenwart kommen, des jüngsten Teils der Kunsthalle: Mehr Sichtbarkeit geht kaum in dieser Stadt.
Als Liedtitel gelesen, verweist sein Ausstellungs-Unter-Untertitel „I’ll be your mirror“, verfremdet in Weiß auf Schwarz, auf das Zusammentreffen der Pop-Art Andy Warhols mit der Musik von Velvet Underground in den 1960ern. Spiegelungen wiederum, das sagt Eidinger, interessierten ihn. Und kommt also doch zurück zu seiner Hauptbeschäftigung, auf die er aber nicht reduziert werden möchte: Als Schauspieler sei er auch nichts ohne ein Gegenüber.
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