Lange Unterhosen: Am Rande des Tragbaren
Sie gilt als Toptextil der Spießigkeit, doch in kalten Wetterlagen ist sie nützlich bis unabdingbar. Eine Verteidigung der langen Unterhose.
Vor kurzer Zeit noch herrschte Frostwetter hierzulande, nicht nur in Berlin. Die dünnen Hosen, die aktuell so modisch sind, ließen frieren. Was lag also näher, als ein Kleidungsstück zu erwerben, das die Beine wärmend schützt?
Klar, die Rede ist von der langen Unterhose, die von den Sechzigern bis heute als absolutes Toptextil der Spießigkeit gilt. Jedoch, Überraschung: Das Produkt war begehrt. Bei Versandhändlern wurde Lieferknappheit signalisiert, in manchen Kaufhäusern, die männliche Dessous wenigstens potenziell parat halten, war diese Artikelgruppe nicht vorrätig.
Lange Unterhosen, so klärt eine Verkäuferin in einem Berliner Kaufhaus auf, seien natürlich vor allem praktisch. Beliebt seien aber, anders als früher, nicht die weißen, sondern die farbigen bis grellbunten, die dadurch wohl weniger unter Feinrippverdacht fallen. Und hier liegt eben, nicht nur im Hinblick auf lange, bis zu den Knöcheln reichende Unterhosen, das Imageproblem dieses Textils: Es gilt als eines für Warmduscher, für Männer, die mit den länglichen Schlüpfern ihr fahles Fleisch bedecken und keine Freundschaft mit Stringtangas schließen mochten, weil die sich so unangenehm anfühlten. (Tatsächlich waren Strings lange das liebste Kaufobjekt in puncto Dessous bei Männern.)
Phallische Originalpräsenz
Unterhosen, so das Versprechen von Firmen wie Calvin Klein, Lacoste, Marc O’Polo oder anderen Modemarken, sollten Körperlichkeit symbolisieren, beim Mann Hintern- und Phallusbetontheit. „Der hat was in der Hose“, das war der Satz, der eine Verheißung zu sein hatte – und dem die Dessousbranche folgte. Darum geht es im Hinblick auf Unterwäsche immer, jedenfalls werblich, um das, was unter den Textilien sich verbergen mag. Phallische Originalpräsenz oder, nun ja, so lautet der Volxmund, Hasenpfote (wie es unter bestimmten Rockmusikern der Siebziger gang und gäbe war).
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Dabei sind vor 200 Jahren, am Anfang des Aufstiegsjahrhunderts der bürgerlichen Klassen, Unterwäschen aus hygienischen Gründen erfunden worden, aus solchen der Schicklichkeit, um nämlich die offenbare Geschlechtlichkeit zu schützen wie zu nivellieren, aber eben auch, weil sie warm hält. Frauenunterwäsche war Gegenstand wissenschaftlich-medizinischer Debatten, bei Jugendlichen sogar der sexualwissenschaftlichen Diskurse (kann es in diesen Textilien Vorrichtungen zur Verhinderung von Selbstbefriedigung geben? – Nein, nie wirklich). Männerunterhosen waren dagegen nur selten Gegenstand von Sorge- und Einhegungsdiskursen.
Die lange Unterhose hatte mit den frühen sechziger Jahren ihren Ruf weg – spätestens jedenfalls, seit in Halbstarken-Filmen (Marlon Brando! Horst Buchholz! Johnny Hallyday!) Jeans zur Mode an Männerbeinen wurden und raue, impulsive, unbürgerliche Figuren auftauchten, die Sprache (ähnlich wie im HipHop heutzutage) eher rappten als elaboriert-bürgerlich formulierten – entsprechende Textilien trugen sie. Unter eine knappe Jeans passte keine lange Unterhose. Außerdem: War man etwa Warmduscher, so charakterlich? Eben.
Aus dieser Ära stammt auch die Spiegelung von Feinrippunterwäsche (und langen Unterhosen) als spießig, als mit zimperlicher Unterleibsaura versehen, als uneigentlich und so weiter. Dabei sind solche Textilien nicht nur nützlich. Erotische Anziehung, auch dies ist historisch überliefert, hängt an der Person, nicht am Textil. Das schärfste Teil ist immer jenes, das vom Blickenden als solches interpretiert wird.
Wer ein schlaffer Sack ist, so charakterlich, kann noch so viel männliche Reizwäsche käuflich erwerben – er wird nie bekommen, was er ersehnt, wenn er, und darauf kommt es an, innerlich nicht hineinpasst. Höchstens eine Erkältung.
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