Alternative Ernährungskultur: Crowdfunding für kleine Beete
Ist Ackerbau jenseits der Monokultur möglich? Mit der solidarischen Landwirtschaft stellen Bauern die Gemeinschaft ins Zentrum.
Hinter dem Bauwagen schlängelt sich ein verwaister Wirtschaftspfad durch das Gelände einer ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Von dem Betrieb ist nicht viel übriggeblieben: leere Stallungen, ausgebrannte und zusammengefallene Gebäude. In der Landwirtschaft arbeitet hier niemand mehr, niemand außer Philipp.
„Manchmal denke ich mir: Krass, du bewirtschaftest hier 5.000 Quadratmeter, versorgst 50 bis 60 Menschen. Was machst du eigentlich hier?!“, sagt Philipp und streicht sich mit einer Hand über das bärtige Kinn. Trotz der sommerlichen Temperaturen trägt er eine grau-melierte Wollmütze, die seine langen Haare verdeckt.
Auf einem Tischchen vor dem Sofa liegt ein Klemmbrett, darauf angeheftet ein Zettel mit den Tagesaufgaben: Sellerie vorbereiten, Erbsen jäten, Kartoffeln pflegen, Mangold hacken, Möhren abflammen, Tomatensaatgut austragen, Büroarbeiten. Philipp ist selbstständiger Gärtner. Vor drei Jahren gründete der heute 28-Jährige „Kleine Beete“ – ein solidarisches Gartenprojekt, hier in der Provinz, zwischen DDR-Ruinen und den endlos scheinenden Feldern Sachsens.
Philipps Arbeit wird von einer Gemeinschaft aus Menschen finanziert, die sich entschlossen haben, der Geiz-ist-geil-Mentalität der Lebensmitteldiscounter den Rücken zu kehren. Jedes Mitglied zahlt monatlich einen Anteil, der bei einer Versammlung im Vorjahr festgelegt wird.
Gegen die Monokultur
So hat Philipp Planungssicherheit: „Wir sind hier vom freien Markt unabhängig“, erklärt er. Fällt ein Teil der Ernte aus, trägt die Gemeinschaft die Unkosten. Im Gegenzug erhalten die Mitglieder saisonale, regionale Lebensmittel und wissen genau, wo ihr Gemüse herkommt. So wird die klassische Produzenten-Konsumenten-Beziehung aufgelöst, bei der Landwirte auf immer größer werdenden Flächen immer mehr Monokulturen für immer kleiner werdende Weltmarktpreise produzieren.
„Die Lebensmittel verlieren ihren Preis und erhalten so ihren Wert zurück“, lautet dagegen das Credo der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi). Es wird nicht das Gemüse bezahlt, sondern die Arbeit, die damit verbunden ist. Dass er von dem Acker aber mal leben könnte, hätte Philipp vor einiger Zeit noch als Hippie-Hirngespinst abgetan.
Nach „einer abartigen Zeit bei Amazon“ und einer abgebrochenen Ausbildung als Gestaltungstechnischer Assistent absolvierte er vor ein paar Jahren ein Praktikum auf einem Biohof – nur wenige hundert Meter entfernt von seinem jetzigen Arbeitsplatz bei „Kleine Beete“. Im Anschluss begann Philipp auf dem Hof eine Ausbildung. Er kaufte sich den Bauwagen, um näher an seiner Ausbildungsstelle zu wohnen.
In dem Bauwagen haben zu DDR-Zeiten Landarbeiter ihre Nächte verbracht, zwischenzeitlich wurde er mal als Hühnerstall genutzt. Schnell wurde Philipp klar, dass er nicht als Angestellter arbeiten möchte: „Ich werde meine positive Energie nicht für Lohnarbeit verschwenden“, sagt er. Durch „Kleine Beete“ konnte er seinen Wunsch nach Unabhängigkeit verwirklichen.
„Richtig in den Boden greifen“
Die Sonne steht im Zenit, als ein junge Frau den Wirtschaftspfad hinter dem Bauwagen entlanggeradelt kommt. Leonie ist seit März Teil der Solawi „Kleine Beete“. Heute will sie Philipp bei der Arbeit unterstützen. Leonie – blonde Haare, Sidecut, Tattoos auf Arm und Schulter – ist überzeugt, dass die konventionelle Landwirtschaft mehr Fluch als Segen ist: „Mit 16 habe ich angefangen darüber nachzudenken, dass in der Landwirtschaft alles nicht so gut läuft. Das möchte ich einfach nicht unterstützen.“ Ab und zu kommt die Biologiestudentin deshalb aus Leipzig hier hochgeradelt und hilft Philipp mit dem Gartenprojekt.
„Worauf hast du Bock, Leo? So richtig in den Boden greifen oder eher was Feineres?“, fragt Philipp. „Richtig in den Boden greifen!“, kommt es von Leonie zurück. Zeit für die Ackerarbeit. Hinter dem Bauwagen hat Philipp einen kleinen Holzverschlag. Dort holt er Werkzeuge, sammelt sie auf einer Schubkarre und bollert über den Rasen, vorbei an Emma, entlang des Ackers, bis die beiden an der hintersten Parzelle ankommen.
Mit einem Maßband beginnt Philipp einzelne Reihen abzumessen: „Eins, zwei, drei, vier Reihen Paprika bis hier und da drüben die Tomaten.“ Mit einem Gummihammer treibt Leonie Holzpflöcke in den Acker. Sie werden mit einer Kordel verbunden und markieren so die Paprikareihen.
In Sichtweite von den beiden pflügt ein Landwirt mit schwerem Gerät über die Hügel. Der konventionell arbeitende Nachbar bewirtschaftet mehrere hundert Hektar Land. Es sind zwei Welten, die aufeinandertreffen – zwei Vorstellungen davon, wie Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen sind.
Im Einklang mit dem Umfeld
Jetzt im Sommer ist für Philipp einmal pro Woche Erntetag. Auf einer seiner Listen hat er festgelegt, wie viel von welchem Gemüse jedes Mitglied der Solawi erhält. Reihe für Reihe geht Philipp die Grünstreifen entlang, erntet, wiegt das Gewicht von Tomaten und Kartoffeln, zählt die Salatköpfe ab und sortiert alles in stabile Plastik- und Holzkisten.
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Kiste um Kiste trägt er zu seinem weißen VW-Transporter und stapelt alles auf der Ladefläche, bis die Liste abgearbeitet ist. Im Transporter riecht es nach Erde und Kräutern, nach Tomaten und Fenchel. Philipp startet den Motor, dann geht es über das Gelände der verlassenen Produktionsgenossenschaft den holprigen Wirtschaftspfad entlang bis zur Hauptstraße.
Nach einer halben Stunde Fahrt erreicht Philipp die Kolonnadenstraße im Leipziger Zentrum. Seinen VW-Transporter hält er vor der „Libelle“ – einem Lokal, das sich als libertäres Zentrum versteht. Es ist kurz vor 17 Uhr und momentan ist in der „Libelle“ nicht viel los. Nur Vivien ist schon da und rückt einige Stühle und Tische zurecht. Dann beginnen Philipp und sie die Kisten mit dem Gemüse aus dem Transporter zu räumen.
Vivien hat seit zwei Jahren einen Anteil bei einer weiteren Solawi, die sich „Sterngartenodyssee“ nennt: „Ich möchte meinen ökologischen Fußabdruck verkleinern“, sagt sie und fährt fort: „Ich bin auch mal bei der Ernte dabei gewesen. Seitdem schmeiße ich weniger Essen weg.“
Nach und nach trudeln die ersten Solawi-Mitglieder ein. Jedes Mitglied trägt sich in eine Liste ein und wiegt sich dann das von Philipp angegebene Gemüse ab. Der hat inzwischen alle Kisten in die „Libelle“ geschleppt. Für heute ist genug getan, für die Zukunft aber hat er schon ungefähre Vorstellungen: „Ich sehe mich als Wachstumskritiker und möchte keine Filialen aufmachen – kein Wachstum um des Wachstums willen“, sagt er und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Alles muss wachsen wie eine Pflanze, ganz organisch, zu einer optimalen Größe im Einklang mit dem Umfeld.“ Dann steigt er in seinen leeren VW-Transporter und fährt zurück aufs Land nach Sehlis bei Taucha.
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