Landwirtschaft in Deutschland: Sind kleine Höfe wirklich besser?
Wir träumen vom idyllischen Biohof, der uns handgemolkene Milch liefert. Die Wahrheit ist weniger beschaulich.
Selten ist Deutschland so idyllisch wie in der Milch- oder Joghurtwerbung: Zünftige Madl, holzgetäfelte Höfe und saftiges Grün an fesselndem Alpenpanorama. Mittendrin: Eine wahnsinnig glückliche Kuh. Der Deutsche Verbraucher sehnt sich nach dem alpenländischen Milchidyll, dem pommerschen Wurstkleinod oder dem charmanten niedersächsischen Bauernglück. Der kleine Hof als idealer Ernährer.
Selbst Aldi, der Discounter, lässt auf seine billigste Milch - H-Vollmilch, unter 60 Cent der Liter - ein Almidyll drucken. Dass ein Großteil der beworbenen Produkte, auch der Biowaren, von Großmastbetrieben und Monokulturen stammen wird gerne ausgeblendet. Sie symbolisieren das Böse, die Kükenschredderer und Pestizidkanoniere der Republik. Damit lässt sich nicht werben.
Aber sind Großbetriebe wirklich so schlecht? Was für sie spricht: Sie sind definitiv effizient – und dadurch wirtschaftlich gesehen auch nachhaltig. Je größer ein Betrieb, je größer der Acker, umso schneller kann er bearbeitet werden. Die großen Mähdrescher und Traktoren müssen auf dem Feld seltener wenden und werden über das Jahr gesehen auch stärker ausgelastet. So lohnen sich die Investitionen in die teuren Maschinen mehr und es werden weniger gebraucht. Große Agrarkonzerne wie die deutsche KTG setzen ihre Flotten satellitengestützt genau dort ein, wo sie benötigt werden. So werden Wege und unnötige Einsätze minimiert. Das spart Geld, Zeit, Diesel – und die Rohstoffe und Energie, die die Produktion der riesigen Maschinen erfordert.
In der taz.am wochenende vom 13./14. Juni 2015 ist taz-Redakteur Jost Maurin dem Mythos nachgegangen, nur die kleinen Höfe seien die wahren und guten. So romantisch die Vorstellung eines ehrlich arbeitenden Kleinbauern auch ist, klein heißt nicht gleich besser.
Das Wohl der Bauern
Maurin hat einen kleinen Bauernhof in Bayern mit nur 20 Milchkühen und 40 Kälbern besucht, der so gar nicht ins Bild passt: Die Rinder werden in dem engen Stall mit einem Metallrahmen an ihren Plätzen fixiert. Sie verlassen den Stall in ihrem Leben nie - außer wenn es zur Schlachtung geht. Diese Praxis der „Anbindehaltung“ kommt fast nur bei kleinen Höfen vor, da sie sich einen Stallausbau oft nicht leisten können. Auch ein Beratergremium des Bundeslandwirtschaftsministeriums kommt zu dem Schluss, dass die Betriebsgröße nur eine geringe Rolle für das Wohlbefinden der Tiere spiele.
Hitlers Landschaftsplaner begrünten das Vernichtungslager in Auschwitz und den Westwall, die gigantische Verteidigungsanlage gen Westen. Und einige von ihnen machten als Naturschützer später auch in der Bundesrepublik Karriere. In der taz.am wochenende vom 13./14. Juni 2015 erzählen wir, warum sich der deutsche Naturschutz mit seiner braunen Vergangenheit beschäftigen sollte. Außerdem: Sind kleine Höfe wirklich besser? Ein Blick auf einen Agrarriesen und einen Biohof, als Reportage und Grafik. Und: Eine Foto-Reportage aus einer kleinen Bar in Tokio, in der die Menschen nichts auf Traditionen geben. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Abseits des Wohlbefindens der Tiere geht es auch um das Wohl der Bauern: Die kleinen Höfe sterben aus, da es immer schwerer wird, von ihnen zu leben. Viele Kleinbauern fahren nicht in den Urlaub, weil das Geld fehlt und schlichtweg die Zeit: Sie haben selten die Möglichkeit, sich überhaupt ein Wochenende oder einen Tag frei zu nehmen. Denn zusätzliche Arbeitskräfte können sei sich nicht leisten.
Ein Versuch, das zu verbessern, ist die Solidarische Landwirtschaft. Eine Idee aus Deutschland, die aber vor allem in den USA Karriere gemacht hat und weltweit als Community Supported Agriculture bekannt wurde. Interessierte Konsumenten schließen sich zu einer Wirtschaftsgemeinschaft zusammen und finanzieren einen Hof – noch bevor die Saison beginnt. Durch das gemeinschaftliche Geld vorab ist die Existenz des Hofes gesichert, und er kann ohne Preisdruck des Marktes oder Sorgen vor Ernteausfällen bewirtschaftet werden. Als Gegenleistung bekommt die Gemeinschaft die Milch, das Brot, das Fleisch und die Äpfel umsonst. Direkt vom Hof, frisch auf den Tisch quasi.
Kontakt zur Natur
Die Höfe bauen nicht selten biologisch-dynamischen an, was eine hohe Vielfalt an Tieren und Nutzpflanzen auf einem Hof voraussetzt. Dadurch ist über das ganze Jahr eine reichliche, saisonale Auswahl an Nahrungsmitteln garantiert. In einigen dieser solidarischen Gemeinschaften packen die Geldgeber auch selbst mit an und ackern auf dem Feld oder im Stall. Dadurch gibt es noch mehr Entlastung für die Kleinbauern und einen erneuerten Kontakt zur Natur für den Konsumenten. Dann kann die Biobäuerin vielleicht doch mal in den Urlaub.
Denn hier bieten die Großen einen klaren Vorteil: Die Mitarbeiter der KTG-Agrar, eines der größten Agrarunternehmen Europas, stehen bei einer Sechs-Tage-Woche mindestens die gesetzlichen 24 Urlaubstage zur Verfügung, sie verdienen nach Angaben des Konzerns zwischen 2.500 Euro brutto für einen einfachen Traktoristen bis über 4.100 Euro für einen diplomierten Betriebsleiter. Von solchen Monatsgehältern können Kleinbauern, egal ob bio oder konventionell, oft nur träumen.Trotzdem hört man auch immer wieder von Dumpinglöhnen und schlechten Arbeitsbedingungen bei den Großen. Nur 6,50 Euro zahle der Agrarriese KTG manchen Angestellten pro Stunde, hatte ein Mitarbeiter in der taz behauptet. In der aktuellen Titelgeschichte sagt KTG-Chef Siegfried Hofreiter, heute werde niemand in seinem Unternehmen so schlecht bezahlt.
Was wäre, wenn alle klein wären?
Für die Umwelt haben viele kleinere Betriebe klare Vorteile: Je kleiner der Hof, desto weniger Dünger und Pestizide nutzt er im Schnitt pro Hektar. Kleine halten auch weniger Tiere je Hektar, produzieren also weniger Gülle, im Endeffekt weniger Treibhausgase. Und für das Wohlbefinden der Tiere scheint auch besser gesorgt: Kleine halten ihre Kühe öfter auf der Weide als im Stall und ihre Schweine auf Stroh statt auf mit Spalten versehenen Böden. Und die „Betreuungsquote“ ist höher: Im Schnitt müssen sich Mitarbeiter in kleinen Höfen sich um weniger Tiere kümmern als die der großen.
Was wäre eigentlich, wenn wir konsequent nur noch von den Kleinen kauften? Könnten die überhaupt genug produzieren? Wäre es in Deutschland möglich, die gesamte Nachfrage nur mit Kleinbauern zu erfüllen? Solche Szenarien durchzurechnen ist kompliziert. Was taz-Redakteur Maurin nach seinen Recherchen feststellt: Die Erträge sind bei den kleinen etwas geringer.
Am Ende sind es vor allem wir als Masse der Verbraucher, die sich oft für die Großbetriebe entscheiden: Ein Hühnchen, das nur 40 Tage in engen Ställen lebt, wie das von Deutschlands größtem Geflügelkonzern Wiesenhof, ist nun mal billiger als das eines Kleinbauern, das länger Körner pickt und Auslauf hat.
Wir betrachten also die idyllischen Bilder von der Kuhalm auf der Milchpackung, träumen vom kleinen Hof und unterstützten doch oft weiter die ganz großen.
Müssen wir ehrlich werden und uns vom kleinen Hof als Idealbild verabschieden?
Diskutieren Sie mit!
Die Titelgeschichte „Sind kleine Höfe wirklich besser?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 13./14. Juni 2015. Darin gelangt Jost Maurin auch ins Innerste eines Wiesenhof-Betriebes.
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