Landwirtschaft der Zukunft: Im virtuellen Gewächshaus
Wie schaffen wir es, dass auch weiterhin 8 Milliarden Menschen satt werden? Der Geoökologe Claas Nendel lässt Nutzpflanzen in der Zukunft wachsen.
Anders ist, dass die Früchte seiner Arbeit nicht aus Getreidekörnern oder Kartoffeln bestehen, sondern aus mathematischen Formeln. Jede Eigenschaft und jede Außeneinwirkung, wie das Wetter, wird mit einem Koeffizienten beschrieben. Nendel sitzt im Haus 45 vom ZALF, dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung, in Müncheberg. Die Kleinstadt in Ostbrandenburg nennt sich selbst „Forscherstadt“. 1928 wurde hier das Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung gegründet, eine der ersten Wissenschaftseinrichtungen, die sich der Kulturpflanzenzucht widmete. Pflanzenzüchtung hat in Müncheberg also Tradition, im Computer aber ist sie neu.
Nendels Ziel ist es, virtuelle Pflanzen in der Zukunft wachsen zu lassen, um herauszufinden, wie sie auf den Klimawandel reagieren. Dafür projiziert er sie in eine Welt, in der die Menschheit keinen Klimaschutz betrieben hat, ins sogenannte RCP8.5-Szenario des Weltklimarates. Es beschreibt den Worst Case, bei dem die Durchschnittstemperatur in Deutschland Mitte des Jahrhunderts bereits zwei Grad wärmer sein wird. Parallel erforscht Nendel, was mit den Pflanzen passiert, wenn doch strenge Emissionsminderungen umgesetzt würden.
„Um acht Milliarden Menschen satt zu bekommen, müssen wir unsere Ernährung neu denken“, sagt Claas Nendel. Denn der Klimawandel, der den Meeresspiegel ansteigen lässt, wodurch Ackerböden in den tiefen Lagen Bangladeschs, in Vietnam oder Niedersachsen versalzen, ist nur das eine Problem. Zusätzlich geht weltweit immer mehr Anbaufläche verloren, weil sie versiegelt, vergiftet oder übernutzt wird. Nendel möchte Bauern durch seine Forschung auf diese Schwierigkeiten vorbereiten und ihnen Anbauchancen zeigen.
Mehr Soja hieße auch mehr Fläche
„Soja könnte uns zum Beispiel helfen“, sagt Nendel. Er hat gerade ein Forschungsprojekt abgeschlossen, das die Anbaubedingungen dieser Hülsenfrucht in unseren Breiten untersucht. Das Besondere an den Bohnen: Sie enthalten bis zu 37 Prozent Eiweiß. Und die Qualität des Sojaproteins ist mit der von tierischem Eiweiß vergleichbar. Würden wir uns von Soja ernähren und auf tierisches Protein verzichten, wäre das ein klarer Vorteil, meint Nendel: „Wir sparen Fläche, die wir nicht mehr haben.“ Denn Tiere brauchen für die gleiche Menge Protein viel mehr Fläche.
Der Nachteil: Sojapflanzen wachsen in Mitteleuropa nicht sehr gut. Während in Brasilien vor zwei Jahren 74 Millionen Tonnen Bohnen geerntet wurden, waren es in Deutschland 90.000 Tonnen. Ein Grund dafür ist unser gemäßigtes Klima, die Sojabohne mag es warm und trocken. Und Soja ist eine Kurztagpflanze, sie leidet unter den hiesigen langen Sommertagen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Claas Nendel schaut sich die Ergebnisse seiner Soja-Studie, die noch nicht veröffentlicht wurde, auf dem Computer an. Rote und gelbe Flächen erscheinen auf einer Europakarte. „Die roten Punkte belegen: Mit der Klimaerwärmung wird Sojaanbau Mitte des Jahrhunderts auch in ganz Deutschland möglich“, erklärt er. Um zu diesem Schluss zu kommen, hat der Wissenschaftler mit seinem Team virtuelles Soja im um 2050 vorherrschenden Klima angebaut, selbst in Norddeutschland gedieh die Saat. Neue Züchtungen würden mit den lauen Sommernächten besser zurechtkommen.
Traditionelle Nutzpflanzen werden dagegen Schwierigkeiten mit der steigenden Klimaerhitzung bekommen. Weizen könnte zum Problemfall werden, sagt Nendel: „Ist es bei seiner Blüte zu heiß, wird er steril.“ Die heißer werdenden Frühlingsmonate oder die zunehmende Trockenheit sorgten dafür, dass keine Körner mehr entstehen. „Wir wissen nicht genau, wie wir damit umgehen sollen“, gibt er zu.
Es fehlt agronomisches Wissen
Die Forschenden überlegen, ob man sich bei Hirse oder Linsen etwas abschauen könnte. „Das spannende an diesen Kulturen ist, sie hören einfach auf zu wachsen, wenn es zu trocken wird und warten auf bessere Bedingungen“, erklärt Nendel. Gerste oder Roggen haben solche Eigenschaften nicht, „sie gehen bei anhaltender Trockenheit in die Notreife“. Bauern sprechen dann vom „Schmachtkorn“: kleine Körner mit wenig Inhalt. Linsen und Hirse sei eine Zeit ohne Nass dagegen egal, wenn es wieder regne, wechselten sie aus dem Wartezustand in den Wachstumszustand zurück.
„Was fehlt, ist agronomisches Wissen“, sagt Claas Nendel: „Wie sind die Fruchtfolgen? Wie kontrollieren wir die Verunkrautung? Welchen Pflanzenschutz brauchen wir? Wir müssen das ausprobieren!“Deshalb züchten Nendel und sein Team nicht nur virtuelle Pflanzen. Hinter dem Bürokomplex liegt ein zwei Hektar großes Versuchsfeld, wo im Sommer echter Mais, Soja, Lupinen und Roggen wachsen, der an seiner grün-bläulichen Farbe zu erkennen ist.
Über den Saaten drehen dann Drachen im Wind, um Vögel zu verscheuchen, die das Messergebnis verfälschen könnten. Gegen die Kaninchen werden Plastikfüchse aufgestellt. „Im Boden sind Hunderte von Sensoren eingelassen“, sagt Claas Nendel als Erklärung für die Schaltkästen, die im Abstand von 20 Metern aufgereiht sind. Gärtner fahren mit Mobilen, die an Golfplatzbuggys erinnern, durch die Reihen. Neben der mobilen Beregnungsanlage gibt es einen „Rainout-Shelter“, eine Art Gewächshaus, das über einem Versuchsfeld Trockenheit simuliert.
„Hier überprüfen wir, ob sich die virtuelle Pflanze richtig verhält“, erklärt Nendel. „Wir sagen dem Computergewächs, unter welchen Bedingungen es sich entwickelt, und realisieren exakt die gleichen Bedingungen auf dem Versuchsfeld.“ Stimmen Parameter wie Größe, Gewicht und Wassergehalt bei der Computerpflanze mit dem Feldgewächs nach einer Wachstumsperiode überein, ist das mathematische Modell geeignet, künftige Verhältnisse zu simulieren.
„Im anderen Fall muss ich nacharbeiten und die virtuelle Pflanze umzüchten – also realer machen.“ Die Simulation der Wachstumsphasen im Computer ist im Vergleich zum Experimentieren auf dem Acker schneller und damit günstiger. Auf dem echten Feld dauert es drei bis vier Jahre, um aus einer Messreihe Ergebnisse zu ziehen.
„Patch Cropping“ ist die Zukunft
Im Labor wird in Müncheberg allerdings nicht umgezüchtet. Claas Nendel hält Pflanzenzüchtung zwar für einen wichtigen Baustein in der Anpassung an den Klimawandel, aber nicht für das „Allheilmittel bei der Suche nach der Ernährungssicherheit der Zukunft“. Die Art der Bodenbearbeitung, unser Umgang mit dem knapper werdenden Wasser, wie wir Felder bestellen – diese Fragen seien genauso wichtig.
Nendel glaubt, dass der Traktor schon in wenigen Jahren Geschichte sein wird. „Stattdessen übernehmen paketgroße mobile Ernteroboter alle Dienste auf dem Feld: säen, Unkraut jäten, düngen und ernten.“ Er ist überzeugt: „Felder, wie wir sie heute kennen, wird es Mitte des Jahrhunderts nicht mehr geben.“ In Zukunft würde viel kleinteiliger angebaut: „Auf sandigen Kuppen werden trockenresistentere Nutzpflanzen wie Roggen ausgesät, in den feuchteren Niederungen zum Beispiel Weizen.“
Ein Versuchsfeld für diese neue Landwirtschaft haben sie in der Nähe von Müncheberg schon angelegt. Buchweizen wächst neben Gerste, Mais oder Triticale, einer Kreuzung aus Roggen und Weizen, in einem Schachbrett-Muster. „Patch Cropping“ heißt diese Anbaumethode in der Wissenschaft. Claas Nendel ist sich sicher: „Das ist die Zukunft!“ Was noch fehlt, sind die Ernteroboter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!