piwik no script img

Landtagswahl in ThüringenThüringen ist nicht wurscht

Georg Löwisch
Kommentar von Georg Löwisch

Wie viel hält die Demokratie aus, wenn es kompliziert wird? Warum die Wahl in Deutschlands Mitte so wichtig ist – und warum sie spannend wird.

Bodo Ramelows Erfolgsprojekt: nicht die Bratwurst, sondern das Bundesland Foto: Bodo Schackow/dpa

M itten in Deutschland wird am Sonntag gewählt. Aber die Republik redet lieber darüber, dass die Bayern nur knapp gegen Piräus gewonnen haben. Oder da­rüber, ob AKK was Dummes oder was Kluges wagt (und ob sie dem Außenminister rechtzeitig Bescheid gesimst hat). Während im Sommer vor den Wahlen in Brandenburg und Sachsen ein medialer Countdown lief, ist von Thüringen kaum die Rede.

Das hat Gründe. Thüringen hat mit 2,1 Mil­lio­nen Einwohnern nur ungefähr halb so viele wie Sachsen. Und nach dem Grusel über die starken AfD-Ergebnisse vom 1. September wird in Dresden und Potsdam ziemlich geräuscharm über Kenia-Koalitionen verhandelt.

Ein wenig ist die rot-rot-grüne Regierung in Erfurt an der geringen Aufmerksamkeit sogar selbst schuld: Sie legte den Wahltermin extra nicht auf denselben Sonntag wie die anderen, sondern lässt so spät wie möglich wählen. Das Kalkül: Nach dem AfD-Schocker in Brandenburg und Sachsen profitieren wir von der Gegenmobilisierung. Jetzt wirkt es aber so, als wollten viele das Land, wo Björn Höcke seine völkischen Träume propagiert, am liebsten wegschweigen.

Aber Thüringen ist nicht wurscht, ganz und gar nicht. Es wird spannend – und es wird wichtig. Vor der Wahl kommt Bodo Ramelows Linkspartei in den Umfragen auf stattliche 27 bis 29 Prozent. Aber es ist fraglich, ob es für Rot-Rot-Grün erneut reicht. Die CDU liegt hinten, aber deutlich über 20 Prozent. Die FDP trainiert an der 5-Prozent-Hürde.

Das erste Klimagesetz der ostdeutschen Bundesländer

Höcke treibt die Bundes-AfD vor sich her, nun steht er in seinem Bundesland selbst zur Wahl. In Umfragen rangiert die thüringische AfD zwischen 20 und 24 Prozent. Wenn der Superstar der Hetzerbranche, der viel bekannter ist als seinesgleichen in anderen ostdeutschen Ländern, auch nicht mehr hinbekommt als seine Volksgenossen, zeigt das seine Grenzen. Sein künftiger Einfluss in der Partei hängt auch am Ergebnis vom Sonntag.

Die wichtigste Frage am Wahltag aber ist: Kann eine Regierung weitermachen, die in Deutschland einzigartig und bedeutsam für die politische Kultur ist? Schon ihre Gründung war unglaublich wichtig: Nach zweieinhalb Jahrzehnten CDU widerlegte Ramelow das Es-regieren-ja-eh-immer-dieselben-Gemecker.

Und der Unterschied zeigte sich. Das Land vergibt Aufträge nur, wenn ein Mindestlohn über 11 Euro gezahlt wird. Der Verfassungsschutzpräsident sieht auf dem rechten Auge. Die grüne Umweltministerin hat das erste Klimagesetz der ostdeutschen Bundesländer vorgelegt.

Aus der Linkspartei machte Ramelow etwas, was seine Genossen anderswo verpassten: Er entwickelte sie vom Outlaw mit SED-Geruch über die Protestpartei zur sozialen Alltagspartei. Scheitert dieses Modell, bricht der Linkspartei eine Erfolgsgeschichte weg.

In einer Minderheitsregierung weitermachen?

Falls Rot-Rot-Grün keine Mehrheit bekommt, dann wird Thüringen zum Labor. Eine Zusammenarbeit der CDU mit der Höcke-Partei würde von der Bundespartei so hart bestraft werden, dass sie äußerst unwahrscheinlich ist. Ramelow könnte in einer Minderheitsregierung weitermachen und bei der FDP oder sogar der CDU Mehrheiten suchen. Die Landesverfassung hilft ihm: Ein Ministerpräsident bleibt in Thüringen im Amt, bis ein neuer gewählt wird. Es existiert keine Frist.

Wie viel hält die Demokratie aus, wenn es kompliziert wird? Nach der Wahl könnten wir in diesem Bundesland einen parlamentarischen Crashtest sehen. Das Land mitten in Deutschland wird ihn bestehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Die Frage ist doch wer und wieviel nach Halle immer noch die 5.Kolonne in der Bundesrepublik wählt - welche das Ziel haben die durch die Verfassung garantierte politische Ordnung mindestens zu unterminieren. Anders lässt sich der mit Mordrohungen gespikte ungesunde Wahlkampf in Thüringen nicht mehr interpretieren.

    Die allgemeine Diskussion ist doch richtigerweise so weit das sie die Zusammenhänge zwischen Rechtsradikalpopulisten und unverhohlenen Nationalsozialisten erkennt - Rechtspopulismus der als Rechtsradikalpopulismus wirkt ist lediglich der braun triefende Krakenarm gewachsen aus dem Schoss der noch fruchtbar ist - der sich hinter einer nur vorgeschobenen-- allerdings reichlich bizarren Bürgerlichkeit verstecken möchte. (siehe Gaulands verrückter Anspruch unbedingt ""bürgerlich"" sein zu wollen).

    Nach INSA/Infratest liegt RRG bei ca. bei 44% - 45% - wer die Mehrheit bekommt liegt weniger an der 5. Kolonne -- als an der FDP wie im Artikel dargestellt. Diese Stimmen sind jetzt schon verloren und völlig unsinnig - egal ob über oder unter 5% - sie schwächen Mike Mohring - der übrigens nach den letzten Umfragen (Infratest/Insa) um die 24% liegt.

    RRG wird die meisten Stimmen bekommen -- und Mohring ist zu wünschen das er nach den Linken auf Platz 2 landet - unnütz und überflüssig ist die FDP -- Orginal - O - Ton - Lindner: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren .......""

    Was Thüringen nicht braucht sind Drückeberger die keinen Arsch in der Hose haben - und schon gar nicht in einem Bundesland in dem sich unverhohlen Nationalsozialisten breit machen.

    Ramelow in der Regierung und Mohring in der Opposition -- ergibt doch ein nettes und ein interessantes Team Zukunft in Thüringen zu definieren und zu gestalten - genügend Reibungsfläche und Funkenflug sollte bei dieser Konstellation vorhanden sein -- und die notwendige Stärke und Souveränität Thüringen in den Verbund demokratischer Bundesländer zu 100% zurück zu holen.

  • In vielen westdeutschen Köpfen ist der gesamte Osten Deutschlands bereits als braun-versifft und ewiggestrig abgeschrieben. Das gibt keiner zu, das ist falsch, das ist gefährlich, das ist ungerecht, aber es ist so.

  • 0G
    07301 (Profil gelöscht)

    Hoffentlich gibt es keine links-faschoide oder rechts-faschoide Regierung. Dafür sollten die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wählen.

    • @07301 (Profil gelöscht):

      Die MLPD ist also fast so erfolgreich wie die AfD? Wusst ich noch gar nicht.😂

      • @Joba:

        "Faschoid" ist die MLPD aber nu nicht.

        • @Hugo:

          Naja wer Marx, Engles, Lenin, Stalin und Mao als Vorbild hat den würde ich jetzt nicht gerade besser Stellen als die Afd gerade von den letzten beiden hat jeder mehr Menschen als Hitler auf dem Gewissen...