Landtagswahl in Sachsen: CDU und AfD Kopf an Kopf
Die CDU kann nach ersten Hochrechnungen in Sachsen weiterhin den Ministerpräsidenten stellen. Höchstens knapp hinter ihr liegt die AfD.
Dann aber kommt ER mitsamt Entourage in den Saal: Ministerpräsident Michael Kretschmer. Jetzt ist der Beifall intensiv und ausdauernd. „Wir haben allen Grund zu feiern“, jubelt der 49-Jährige.
Wenn man denn so will, gibt es ausweislich der ersten Zahlen sogar drei solcher Gründe: Erstens hat die CDU ihr Niveau von 2019 ungefähr gehalten. Zweitens wird sie voraussichtlich weiterhin den Ministerpräsidenten stellen, so wie durchgehend seit der Wiedervereinigung. Und drittens ist eben für Sachsen möglicherweise der Worst Case verhindert: die AfD als stärkste Kraft.
Kretschmer selbst wird sich dadurch in seinem Kurs bestätigt sehen: Eine Zusammenarbeit mit der AfD auf Landesebene lehnte er zwar strikt ab. Inhaltlich aber hatte er es nicht erst seit diesem Wahlkampf auf eine Klientel rechts der Mitte abgesehen. So forderte er wiederholt eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Die Ukraine-Solidarität ist bei ihm demonstrativ schwächer ausgeprägt als bei der Bundes-CDU; seine Kritik an der Ampelkoalition in Berlin klingt dafür meist noch schärfer als die von Parteichef Friedrich Merz. „Die Menschen sind enttäuscht von dem, was in Berlin passiert!“, sagt er auch jetzt auf seiner Wahlparty. Deswegen hätten sie CDU gewählt.
Auch seine eigenen Koalitionspartner auf Landesebene, SPD und vor allem Grüne, nahm Kretschmer im Wahlkampf von den Attacken nicht aus. Er setzte als Regierungschef auf Proteststimmung – und hatte damit einen gewissen Erfolg.
Kein klarer Sieg
Allerdings ist es höchstens ein Sieg mit starkem Beigeschmack. Erstens: Kleinbekommen hat auch Kretschmer die AfD nicht. Im Vergleich zur Wahl 2019 konnte auch sie noch einmal zulegen, am Wahlabend lag sie nur hauchdünn hinter der CDU. Entsprechend wurde auch auf der Wahlparty der Rechtsextremen gejubelt. Zweitens: Die Regierungsbildung wird für die CDU in den nächsten Wochen nicht ganz einfach.
Die erste rechnerisch mögliche Option, ein Bündnis mit der AfD, scheidet faktisch aus. Noch nicht ganz klar war auf Basis der ersten Prognose, ob eine Koalition allein aus CDU und BSW im Landtag eine Stimmenmehrheit hätte. Die Wagenknecht-Partei kam aus dem Stand auf über 11 Prozent.
Inhaltlich gäbe es Schnittmengen mit der Union, in der Migrationspolitik und in anderen gesellschaftspolitischen Bereichen ticken schließlich beide Parteien rechts. In der Ukraine-Politik liegen zumindest zwischen Kretschmer und Wagenknecht auch keine Welten. Aus Sicht der Bundes-CDU wäre eine solche Koalition zwar schwieriger zu verkaufen, offiziell will man dem Landesverband aber freie Hand lassen. Als großes Hindernis bleibt die Frage, wie regierungsfähig und regierungswillig Wagenknechts Partei wenige Monate nach ihrer Gründung tatsächlich ist.
Auf der Dresdner Wahlparty sorgt der Ausblick auf eine mögliche Koalition mit dem BSW zumindest für Augenrollen: Dort ist von zu vielen auffälligen Schnittpunkten Wagenknechts mit der AfD die Rede. In den Gesprächen darüber wird schon gar nicht mehr gehört, was Generalsekretär Carsten Linnemann im Fernsehen zum Thema zu Sagen hat.
Grüne schielen auf Wahlkreise
Und eine Neuauflage der Kenia-Koalition mit SPD und Grünen? Vor der Wahl galt auch das als Option. Auf der atmosphärischen Ebene müssten die drei Parteien nach dem vergifteten Wahlkampf allerdings erst mal Hürden beseitigen – und am Sonntag war zunächst unklar, ob es rechnerisch überhaupt reicht.
Unsicher war zunächst nämlich, ob die Grünen im neuen Landtag sitzen. Sie lagen knapp über 5 Prozent; schielten deswegen auch noch auf die laufenden Auszählungen in den Wahlkreisen: Auch zwei Direktmandate würden für den Einzug in Fraktionsstärke reichen.
Die Verluste der Grünen (2019 holten sie noch ihr Rekordergebnis von 8,6 Prozent) haben viele Ursachen: unter anderem den negativen Trend im Bund, die Skepsis vieler Ostdeutscher gegenüber der Ukraine-Hilfe, die Anti-Grünen-Sprüche des Ministerpräsidenten im Freistaat – aber auch dessen Aufrufe zum taktischen Wählen. Obgleich Kretschmer inhaltlich rechte Akzente setzte, wilderte er auch unter progressiven Wähler*innen. Die CDU warb auch bei ihnen damit, dass sie als stärkste Kraft vor der AfD bleiben müsse.
Weniger Schaden als bei den Grünen richtete das offenbar bei der SPD an. Sie lag in den ersten Hochrechnungen mit knapp 8 Prozent auf einem ähnlichen Niveau wie 2019 – obwohl ihr Wiedereinzug als unsicher galt. Nicht, weil die Sachsen-SPD schlecht regiert hätte. Aber auch sie kämpfte so stark wie nie mit Gegenwind aus Berlin. Den schlechten Ruf der Ampel bekamen auch die Sozialdemokrat*innen im Wahlkampf zu spüren. Die angekündigte Stationierung neuer US-Raketen in Deutschland und der Einsatz deutscher Waffen auf russischem Gebiet waren zusätzliches Gift.
Komplexe Verhältnisse
Dass das Wahlergebnis trotzdem glimpflich ausfiel, könnte auch an Sozialministerin Petra Köpping liegen. Die bodenständige Sächsin passt so gar nicht zu dem populistischen Feindbild der abgehobenen Politikerkaste. „Ich bin genauso froh wie ihr“, jubelte sie am Abend vor Genoss*innen auf der SPD-Wahlparty. In den Koalitionsgesprächen wird womöglich auch sie wieder eine Rolle spielen.
Auf der CDU-Wahlparty lässt sich der Ministerpräsident noch nicht in die Karte schauen, zu welcher Konstellation er tendiert. Nur eine erste, vage Koalitionsbedingung stellt Kretschmer auf: „Ein Koalitionsvertrag wird zuerst mit dem Land und den Menschen gemacht, dann kommt eine Weile nichts.“ Ein solcher Vertrag werde nicht einfach, aber eine stabile Regierung für das Land könne gelingen.
Im Laufe des Abends könnte sich die Lage aber noch etwas komplexer gestalten: Dann, wenn auch die Linke auf den letzten Metern noch den Wiedereinzug in den Landtag schafft und sich die Mandate zwischen sechs Parteien aufteilen. An der 5-Prozent-Hürde ist die Partei zwar gescheitert. Ein Debakel für die Ex-PDS, die in Sachsen seit der Wende stets zweistellig abgeschnitten hatte. Aus der Abspaltung des Lagers um Sahra Wagenknecht ist die verbliebene Linke eindeutig als Verliererin hervorgegangen. Aber auch sie konnte zunächst noch darauf hoffen, durch zwei Direktmandate doch wieder in Fraktionsstärke einzuziehen.
Nicht mal mehr darauf kann dagegen die FDP spekulieren. Für sie verlief der Abend noch desaströser. Im Landtag saßen die Freidemokraten zwar auch bislang nicht, am Sonntag schmierte sie aber noch weiter auf unter 2 Prozent ab. Das erste, was nach 18 Uhr klar war: Für die Regierungsbildung spielt die FDP weder direkt noch indirekt eine Rolle.
Update um 20.10 Uhr
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