Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Waschechte NRWler
Nordrhein-Westfalen ist ein Kunstprodukt, klar. Aber es gibt hier Prominente, von denen viele nicht ahnen, dass sie aus NRW kommen.
Nordrhein-Westfalen ist, ähnlich wie das Bindestrichland Baden-Württemberg, ein Kunstprodukt. Das fördert gegenseitigen Spott, Missgunst und Verständnismängel. So heißt es in der Osthälfte Nordrhein-Westfalens gern: „Der Westfale muss halten, was der Rheinländer verspricht.“ Darüber schmunzelt der Westfale, weil er es für die Wahrheit hält. Der Rheinländer lacht darüber, weil er immer gern lacht. Die Rheinländerin natürlich auch.
Zudem gibt es strenge Demarkationslinien und Abgrenzungen: Alt – Kölsch, Alaaf – Helau, Schalke – Dortmund oder den Aldi-Äquator mitten durch Gummersbach, hier Aldi Nord, da Süd. Und das Land hat Prominente zu bieten, von denen viele nicht ahnen, dass sie in NRW geboren wurden oder hier entscheidend wirkten.
Zum Beispiel Karl-Heinz Rummenigge, 66, genannt Kalle. Erst 95-facher Fußballnationalstürmer, dann Lebensaufgabe als brutalkapitalistischer Macher des FC Bayern und Dauermeister misslungener Scherze („Für junge Spieler ist es wichtig, dass sie auch mal Licht am Ende des Tunnels schnuppern“). Herkunft: Lippstadt, mit 67.000 EinwohnerInnen größte Stadt im Kreis Soest. Andere Lippstädter: Michael Rummenigge (Bruder) und Martin Niemöller (Theologe). Besonderheit: 750 Kilometer Wasserläufe („Venedig Westfalens“). Fußballclub: SV Lippstadt 08, 4. Liga.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, einst FDP-Bundesjustizministerin, intern SLS genannt, ist eine Galionsfigur der fürchterlichen Doppelnamen-Mode des späten 20. Jahrhunderts. Sie stammt aus Minden, NRWs Nordostecke. Dort sind 82.000 Menschen stolz auf ihr seltenes Wasserstraßenkreuz: Der Mittellandkanal wird in Trogbrücken 13 Meter hoch über die Weser geführt. Und alle kennen Melitta Bentz: 1908 hatte sie Löschpapier aus den Schulheften ihrer Kinder zurechtgebastelt und ein Patent für Kaffeefilter angemeldet. Heute macht die Mindener Melitta Group 1,7 Milliarden Euro Jahresumsatz.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, ebenfalls FDP, ist heute aktive SLS-Nachfolgerin scheinfeministischen Namensirrsinns. MASZ ist aus Düsseldorf bei Köln.
Luigi Colani (1928–2019), Scheinitaliener, war ein geschäftstüchtiger Designer mit mediterranem Gestus und einem Monstermoustache wie Heiner Brand (Handball-Ikone, VfL Gummersbach). Lutz Colani, so sein Geburtsname, kreierte aerodynamisch-biomorph geformte Autos, Kameras, Teekannen, Klodeckel, Möbel. Sein „Biodesign“ diente der, so Colani, „Humanisierung der Nahtstelle Mensch-Maschine“. Wenig glücklich verlief sein Bau eines besonders aero- und aquadynamischen Ruder-Achters, mit dem Deutschland 1972 Gold bei Olympia in Unterschleißheim holen sollte. Das Boot sank beim ersten Test.
In seinen erfolgreichen 70er und 80er Jahren residierte Colani auf Schloss Harkotten in Füchtorf/Kreis Warendorf. Dort lag sein Ruder-U-Boot bald achtlos entsorgt in einem Gebüsch.
Sie war mit Kurt Tucholsky befreundet, stand mit Marlene Dietrich auf der Bühne und lebte ihr Lesbischsein, so offen es damals ging. Die Sängerin Claire Waldoff begeisterte ab 1910 mit Gassenhauern, Chansons und Schnulzen, alles mit Berliner Schnauze: „Hermann heeßta“ hieß einer ihrer Hits oder „Nach meine Beene is ja janz Berlin verrückt“. Waldoff war Tochter einer Gastwirtsfamilie mit 16 Kindern aus Gelsenkirchen-Ueckendorf. Die Stadt ist Heimat des gleichnamigen Barock, hat den Bundessitz der MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands) und weist in der Liste wichtiger in GE geborener Persönlichkeiten fast jeden Zweiten als Fußballspieler aus (Neuer, Gündoğan, Özil, Thon, je zwei Mal Altıntop und Abramczik, Burdenski sen., Kuzorra u. v. a. m.). Auch die Maus ist eine nordrhein-westfälische Entertainerin, sie stammt aus Köln und hat seit 1971 eine Sendung im WDR.
Bei manchen Menschen neigt man dazu, ihre Herkunft dem Haupttätigkeitsort zuzuschreiben. Etwa Dieter Kürten, der im ZDF-Sportstudio zu leben schien. Ein Mainzer also? Und Wolfram Siebeck,jahrzehntelang sperriger Gastrokritiker der Zeit – ein Hamburger? Ist Jacques Berndorf mit seinen Eifel-Krimis vielleicht von der Mosel? Und Martina Voss-Tecklenburg, die Hansi Flick des Frauenfußballs? Alle sind sie aus Duisburg.
Bitte, bitte: Die Stadt mit dem größten Binnenhafen der Welt immer wie Düssburch aussprechen, höchsten Düüsburg, niemals Du-isburg. Und auch nie Boch-humm sagen, immer Booo-chum. Horst Schimanski ist nicht aus Düssburch, sondern wurde als Götz George in Berlin geboren.
Ach, und wo ist Günther Jauch geboren, in: a) München, b) Potsdam, c) Rätselingen an der Frag oder d) Münster/Westf.?
Andere NRW-Erfindungen gefällig? Gummibärchen, Penatencreme, o. b., Backpulver, Geschirrspülmaschine, 4711, die Aspirin-Tabletten. Morphium wurde in Paderborn entwickelt, das angeblich bügelfreie Hemd im angeblichen Bielefeld. Ohne Beethoven aus Bonn keine Europa-Hymne, ohne Friedrich Engels aus Barmen nur ein halber Marxismus. Die Raufasertapete ist zwar mit dem Namen Erfurt verknüpft. Also Thüringen? Nein, sie ist eine Erfindung des Apothekers Hugo Erfurt aus Schwelm im Dreigegendeck Rheinland, Westfalen, Ruhrpott.
Heinrich Lübke war einmal Bundespräsident. Der CDU-Politiker, geboren 1894 in Sundern im Sauerland, stand der jungen Republik in einer Zeit vor (1959–1969), als die Begriffe Alzheimer, Demenz und Zerebralsklerose noch wenig bekannt waren. Lübke war ein trauriger Fall für den Staat und ein erfrischender Fall für das Kabarett. Er verhaspelte sich oft, wusste bei Reden manchmal nicht, wo er war, und verwechselte die japanische Stadt Osaka mit dem Potenzmittel Okasa. Die Anrede „Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe N*g*r“ bei einem Staatsbesuch in Liberia ist allerdings eine böse Zuschreibung. Ein andermal sollte er Queen Elisabeth auf Schloss Brühl zugeraunt haben: „Equal goes it loose“, was der Spiegel Jahrzehnte später als eigene Erfindung reklamierte. Für CDU-Politik aus dem Sauerland ist heute zuständig: Friedrich Merz (Brilon).
Die Städteregion Aachen bietet gescheiterte Kanzlerkandidaten in Serie: 2017 Martin Schulz aus Würselen (sprich: Würseln), zuletzt Armin Laschet (spricht sich selbst: Lachet). Dafür hat Aachen in den Jahren, die auf Kaiser Karl (gest. 814) gefolgt sind, erstmals ein weibliches Stadtoberhaupt. 256 Männer waren vor ihr ohne Ausnahme dran, hat die parteilose OBin Sibylle Keupen, seit 2020 im Amt, vorgerechnet.
Aachen war erste vom Faschismus befreite deutsche Großstadt (21. Oktober 1944), hatte die erste Nachkriegszeitung (Aachener Nachrichten, 23. Januar 1945) und den ersten Nachkriegs-OB: Franz Oppenhoff, Nummer 250 nach Keupen’scher Arithmetik. Keine fünf Monate im Amt, wurde Oppenhoff von einem Werwolf-Kommando erschossen. Aachen ist nach Bielefeld größte NRW-Stadt ohne nennenswerten Fluss oder See und verzichtet auf den Titel Bad, damit man im Alphabet vorne bleibt.
Fußball: Alemannia, in den Jahren 2004–07 dreifacher FC-Bayern-Besieger nacheinander, Bundesligist und Uefa-Cup-Teilnehmer, ist soeben hauchzart dem Abstieg in Liga 5 entronnen.
Diese zwei Männer aus NRW haben der Welt ihren Namen als späteres Verb geschenkt: Josef Frings aus Neuss sorgte dafür, dass „fringsen“ im Rheinland ein eigener Begriff ist. Als Kardinal von Köln erklärte er im eisigen Nachkriegswinter, bei bedrohlichem Hunger sei Diebstahl kirchenmoralisch okay. Also wurden Nahrungsmittel gefringst und auch Kohlebriketts. Wilhelm Conrad Röntgen, geboren in Lennep im Bergischen Land, hatte als Erster den Durchblick. Heute lassen wir uns in seinem Namen röntgen. Der Erfinder der Magnetresonanztomografie heißt nicht Röhre und ist auch nicht aus NRW.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Studie zu Zweitem Weltkrieg
„Die Deutschen sind nackt und sie schreien“