Landtagswahl in Bremen: Last Land Standing
Am 26. Mai wird in Bremen gewählt. Verliert die SPD, ginge eine fast 100-jährige Tradition zu Ende. Trotz schlechter Zahlen zeigt sie sich gelassen.
Happy ist man, dass sich gerade Bremen-Nords neue Juso-Gruppe gebildet und vorgestellt hat, nachdem die letzten Jahre ein einzelner Jungsozialist hier die Stellung gehalten hatte. Glücklich ist man, dass der Bürgermeister den weiten Weg hier raus gemacht hat, 24 Kilometer hin, 24 zurück, nach einem arbeitsreichen Montag, „aber so ist Sieling, der ist einer, wenn man den einlädt, dann kommt er“, sagt die Unterbezirksvorsitzende Ute Reimers-Bruns. Unverdrossen wird geklatscht für Sieling, auch wenn er sich am Ende seiner Stegreifrede doch noch verhaspelt, als er euphorisiert einen Ausblick auf die Abschlusskundgebung der SPD-Europakampagne gibt.
Die steigt nämlich auf dem berühmten Markt vor Roland und Rathaus, also mitten in Bremen, wo ja am 26. Mai auch gewählt wird, eine neue Bürgerschaft – so heißt hier der Landtag. Womit sich dann auch seine, Sielings Zukunft entscheidet. Schließlich ist er der Bürgermeister.
Er redet schneller, lauter, zählt die Parteipromis auf, die sich angesagt haben, „und ich weiß gar nicht, wer da alles kommt“, ruft er, „die Anmeldungen kommen gerade rein, und dann wird das im ,heute journal' kommen und in der ,Tagesschau' und in den Nachrichten und das ist gut, denn auch die Bremer sehen ja Nachrichten im Fernsehen“, so sieht’s nämlich aus. „Und am Sonntag wollen wir dann die Ernte einfahren!“, Applaus, Applaus, Applaus.
„Rhetorisch ist er ja nicht so“
Bremen ist, Länderstatus hin oder her, Provinz. Und Bremen-Nord ist Provinz in der Provinz: Touristen auf der Suche nach den Stadtmusikanten verirren sich hierher eher nicht, auch wenn es ein apartes Barockschlösschen gibt, üppige Kapitänsvillen und eine angenehme Uferpromenade. Von der City abgeschnitten, prägen heruntergekommene Wohnsilos, Werften und Industriebrachen das Bild. Gigantisch ist das kontaminierte Gelände der Baumwollkämmerei, der größten weltweit. Vor zehn Jahren wurde sie stillgelegt.
„Rhetorisch ist er ja nicht so“, sagt ein Unterbezirksparteitagsdelegierter über den Carsten, und ja, „am Anfang war ich auch sehr kritisch“. Schließlich war Sieling kein Kandidat gewesen, sondern nur ins Amt gekommen, weil sein Vorgänger Jens Böhrnsen am Tag nach der Wahl seinen Abschied erklärte. „Aber der ist richtig gewachsen.“ Und: „Er ist gut im direkten Gespräch.“
Draußen muss die Weser-Fähre kämpfen. Die Böen wehen wuchtig aus Nordwest und die Gezeitenkräfte verstärken den Strom, fast wirkt es, als sei das Schiff mitten in der Fahrrinne stecken geblieben, aber es arbeitet sich voran, unbeirrbar, unbeirrt.
Ute Reimers-Bruns ist seit 2018 Unterbezirksvorsitzende, und ja, räumt sie ein, das vergangene Jahr, sei „eine schwierige Phase“ gewesen. Als die CDU im Frühjahr mit Carsten Meyer-Heder einen erfolgreichen Firmengründer als Spitzenkandidaten präsentiert hatte, der bis dahin durch keinerlei politische Aktivitäten aufgefallen war, da habe sich in der Partei schon so die Stimmung breitgemacht: au weia, was sollen wir dem bloß entgegenstellen. „Schließlich ist Sieling nicht der große Show-Mann.“ Doch, sagt Reimers-Bruns: „Es war auch ein bisschen Angst dabei.“ Aber die sei passé: Der CDU-Mann „stellt sich das alles ein bisschen zu einfach vor mit dem Regieren“, findet sie.
Hohes Wirtschaftswachstum und doch hohe Armut
Umgekehrt habe man dadurch einen besseren Blick auf die eigene Bilanz, auf das, „was geschafft worden ist“: An der Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, die Bremen jährlich um die 500 Millionen Euro Mehreinnahmen beschert, hat Sieling intensiv mitgewirkt. „Bremen hat dadurch jetzt eine Perspektive“, sagt sie. Das kann sich Sieling als Verdienst anrechnen.
2015/16 glänzte Bremen mit der schnellen Unterbringung von Geflüchteten. In den vergangenen zwei Jahren verzeichnete die Stadt zudem das höchste Wirtschaftswachstum. Dennoch sehen Bildungsmonitore Bremen trotz großer Anstrengungen seit Langem auf den hintersten Rängen. Und die wachsende soziale Spaltung – jedes dritte Kind ist hier von Armut bedroht, deutschlandweiter Rekord –, die konnte die SPD auch nicht aufhalten. Dabei wird die Partei auch als Grund für den starken sozialen Zusammenhalt unter den Bürgerinnen gesehen, der den Bremern immer wieder attestiert wird. Eine Kultur von Solidarität und Toleranz, die für viele auch als sozialdemokratischer Wert gilt.
Die Tapete im Bürgermeisterzimmer ist aus grünlich-dunklem Leder, golddurchwirkt, exotische Tiere turnen durch florale Girlanden, blühender Jugendstil. Heinrich Vogeler hat sie entworfen, einer der bedeutendsten Künstler, die in Bremen je geboren wurden, und ein glühender Sozialist. Die Tür steht weit offen, Carsten Sieling springt von seinem Schreibtisch auf, die Begrüßung ist herzlich, als hätte er nur auf den Besucher gewartet, dabei war er den ganzen Tag schon unterwegs: „Ich komm’ grad aus Hamburg von der MPK“, sagt er, Ministerpräsidentenkonferenz. Er müsse schließlich bei allem Wahlkampf auch noch ein wenig regieren, flachst er, „anders als andere“.
Schmal, nicht besonders groß, dichtes Haar, Frisur unauffällig, Hemd frisch gebügelt, ganz leichter Überbiss, und hinter der Brille wache, rege Augen, in denen ein kleiner Schalk blitzt – wenn eine Kinderbuchillustratorin einen pfiffigen Jungen zeichnen soll, Typ Klassenbester, aber trotzdem nett, dann kommt meistens ein Phantombild von Carsten Sieling raus.
„kein Steigbügelhalter eines CDU-Bürgermeisters“
Dabei ist der Mann Anfang Januar 60 geworden und seit vier Jahren Bürgermeister von Bremen und Präsident des Senats, steht also an der Spitze der Landesregierung, wobei die, Bremer Besonderheit, als Kollegialorgan funktioniert: Es gibt keinen Chef mit Richtlinienkompetenz, nur einen Ersten unter Gleichen. Und das ist eben aktuell Carsten Sieling, der siebte Amtsinhaber seit 1946. Wie seine sechs Vorgänger hat auch Sieling ein SPD-Parteibuch. Mit einer Ausnahme haben Sozialdemokraten in diesem Land noch jede freie Wahl gewonnen, seit 100 Jahren geht das so. Eine stolze Tradition.
Wer so etwas abreißen lässt, ist danach erledigt in der Partei, egal, wie solidarisch die sich sonst gibt und ob er was dafür kann – oder alles richtig gemacht hat. Der taugt nur noch zur traurigen Figur. Dafür gibt’s Beispiele. Als in Hamburg Henning Voscherau 1997 hingeschmissen hatte, weil ihm das SPD-Ergebnis von 36,2 Prozent zu popelig schien, war Ortwin Runde eingesprungen, der linke Sozialdemokrat und anerkannte Finanzpolitiker. Vier Jahre später eroberte dann Ole von Beust das Rathaus auf den Schultern der Rechtspopulisten um Ronald Schill, und die 40-jährige SPD-Herrschaft war vorbei. Runde wechselte in den Bundestag. Sein Abgeordnetendasein muss als eher still beschrieben werden.
Klar, 2001 ist nicht 2019. Die Parteienlandschaft sah anders aus, ohne AfD und Linkspartei. Dass Sieling, ebenfalls Finanzpolitiker mit klar linkem Profil, vor vier Jahren genau wie Runde eingesprungen ist, als Jens Böhrnsen die 32,8 Prozent für die SPD zu popelig fand – ist nichts als ein dummer Zufall. Bremen ist nicht Hamburg. Und die Bündnisoptionen sind auch nicht zu vergleichen: Mit der AfD will wirklich keiner spielen, auch tut die FDP alles, um inkompatibel zu bleiben. Eine große Koalition unter SPD-Führung lehnt die CDU ab. Und Schwarz-Rot kommt für die SPD nicht in Frage: „Wir werden uns nicht zum Steigbügelhalter eines CDU-Bürgermeisters machen“, stellt die Landesvorsitzende Sascha Karolin Aulepp klar.
Sieling hatte schon dafür geworben über Rot-Grün-Rot nachzudenken, da saß er noch mit dem Bremer Direktmandat im Bundestag. In der Fraktion dort war er schnell zum Mann für komplizierte Sachen mit sehr viel Geld und ohne Strahlkraft geworden: Finanzmarktstabilisierung und so ’n Tünnkram, einer, der sich akribisch einarbeitet und gut mit Zahlen ist.
Politik ist kein Abenteuer, nicht für Sieling
Seine eigenen Zahlen sind, historisch betrachtet, beschissen, auch wenn sie im Bundesvergleich golden scheinen: Mit 25 Prozent sieht infratest dimap die Sozen derzeit knapp hinter der Union mit 26 Prozent, ein Drama für Bremer Verhältnisse. Aber hier im Rathaus wirkt Sieling weder unruhig noch panisch, eher ein bisschen aufgekratzt und bester Dinge. Und wie immer hält er sich nicht lange mit markigen Parolen auf, sondern versucht das Gespräch freundlich, aber bestimmt von einer emotionalen Ebene wegzubringen.
Was sympathisch sein mag, aber eben nicht so werbewirksam: Hat er Visionen für Bremen? „Natürlich gibt es eine Vision für Bremen“, sagt Carsten Sieling, nämlich, man habe ja jetzt eine „große Zahl Arbeitsplätze“ dank der „guten wirtschaftlichen Entwicklung“ gewonnen, und – Achtung ,jetzt kommt’s – „das müssen wir ausbauen. Wir müssen in einigen Bereichen besondere Anstrengungen unternehmen“, sagt Sieling. Arbeit, Anstrengung, müssen, Verantwortung: Politik ist kein Abenteuer, nicht für Sieling jedenfalls. Politik ist Arbeit. Und Sieling, das ist klar, wird sie weiterhin gewissenhaft erledigen, trotz Gegenwind, trotz Widerstand, unbeirrbar. Unbeirrt.
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