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Landtagswahl HessenBleiben oder gehen

Am Sonntag wählt Hessen einen neuen Landtag. Was kann die Wahl für den Bund bedeuten? Die wichtigsten Fragen – und Antworten.

Die Großen schrumpfen, die Kleinen wachsen: Die Wahl in Hessen ist entscheidend für den Bund Foto: reuters

Wonach sieht’s gerade aus in Hessen?

Wahrscheinlich geht die Talfahrt der Volksparteien weiter. Umfragen zufolge werden Union und SPD zusammen um die 20 Prozent verlieren. Laut der letzten Erhebungen würde die jetzige schwarz-grüne Regierung knapp ihre Mehrheit verlieren. Falls das so kommt, beginnt noch in der Nacht auf den Montag ein interessantes Spiel der machtpolitischen Möglichkeiten: eine knappe CDU-geführte Große Koalition, eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP, Jamaika mit CDU, Grünen und Liberalen. Möglich wären auch Grün-Rot-Rot oder Grün-Rot-Gelb unter Führung der Grünen. Oder Rot-Grün-Rot, angeführt von einem Ministerpräsidenten Thorsten Schäfer-Gümbel.

Klingt doch ganz spannend. Aber alle reden von Krise – wo ist die denn?

Das Parteiensystem ist in einer Krise, die es so seit siebzig Jahren nicht gab. Es ist zwar normal, dass die Parteien, die in Berlin regieren, Landtagswahlen deftig verlieren. Die BürgerInnen sorgen so dafür, dass die Bundesregierung im Bundesrat keine Mehrheit hat und nicht durchregieren kann. Aber einen so krassen Absturz nach nur wenigen Monaten Regierungsarbeit hat es noch nie gegeben. Wir erleben gerade die Auflösung des Systems mit zwei Volksparteien – einer eher rechten und einer eher linken. Wenn eine untergeht, zieht sie die andere mit.

Was kommt danach?

Die Großen schrumpfen, die Kleinen wachsen. In Hessen kann Tarek Al-Wazir Ministerpräsident werden, wenn die Grünen vor der SPD liegen.

Wenn das passiert, was macht dann die SPD?

Noch mehr kriseln. Und sich aus der Groko in Berlin befreien, die ihr die Atemluft nimmt.

Nach nur sechs Monaten raus aus der Groko? Ist das nicht wieder nur eine Idee der SPD-Linken, aus deren Plänen ja sowieso nichts wird?

Vor drei Wochen stimmte das noch. Aber das ist typisch für Umbruchphasen: Was vor ein paar Wochen noch allgemeines Nicken hervorrief, erntet nun Kopfschütteln. Das katastrophale Ergebnis in Bayern und die Kurve nach unten in Umfragen haben Partei und Fraktion in den Alarmzustand versetzt. Mit Merkel zu regieren hat die SPD schon zwei Wahlniederlagen beschert.

Jetzt scheint es noch schlimmer zu werden. Die SPD in Nordrhein-Westfalen will raus aus der Groko. Und in Niedersachsen, eigentlich Zentrale des Pragmatismus, haben viele die Nase voll von der Groko, auch beim rechten Flügel, bei Seeheimern und Netzwerkern schwindet die Groko-Verteidigung.

Also wird die SPD die Regierung verlassen?

Ja. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann und mit welcher einleuchtenden Begründung. Das kann dauern. Aber: Wenn die SPD in Hessen mies abschneidet und von den Grünen überholt wird, kann es schnell gehen. Die Parteispitze macht Anfang November eine Klausur. Da kann es rund gehen.

Trotzdem: Was wäre für die SPD gewonnen, wenn die Macht weg ist?

Nichts. Das wäre nur der Griff zur Notbremse, es gibt keinen Plan B. Man würde nur den Zustand beenden, weiter hilflos dem Absturz zuschauen.

Liegt’s an der Führung?

Chefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz sind mit dem Versprechen angetreten, professioneller und verlässlicher als Gabriel und Schulz zu sein. Und die Quadratur des Kreises zu schaffen – nämlich weiterhin solide und geräuscharm zu regieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die SPD als Alternative erkennbar wird. Funktioniert hat beides nicht.

Die Hysterieaktionen von CSU und Seehofer haben Stabilität als Grund für die Große Koalition durchgestrichen Und Scholz’ Versuch, via Rente 2040 die SPD zu profilieren, hat auch nicht gezündet.

Was macht eigentlich Kevin Kühnert?

Abwarten und twittern.

Stürzt die CDU ihre Vorsitzende Merkel, wenn Bouffier nicht mehr Ministerpräsident ist?

Möglich. Hessen ist eines der wichtigsten Länder für die CDU, dort regiert Angela Merkels treuer Gefolgsmann Volker Bouffier skandalfrei mit den Grünen. Fiele Bouffier, wäre dies nicht nur als Wunsch nach einer dynamischeren Landesführung, etwa den Grünen, zu verstehen. Es wäre zugleich die harte Strafe für das grausige Koalitionsschauspiel in Berlin.

Wieso denn? Wenn in Berlin einer Stunk macht, ist das doch Horst Seehofer.

Als Regierungschefin trägt Angela Merkel die Verantwortung. Spätestens seit sie wohl willens, aber nicht mehr in der Lage war, im Frühsommer den Dauerstörer Horst Seehofer zu entlassen, ist klar: Sie ist schwach. Dann rebellierte im September auch noch die Unionsfraktion offen und machte statt Merkels Wunschkandidat Volker Kauder den strebsamen Ralph Brinkhaus zum Fraktionschef. Seitdem wankt der Grund unter der Kanzlerin.

Wäre es geschickt, wenn die CDU Angela Merkel ein bisschen stürzen würde?

Ja. Beim Parteitag Anfang Dezember in Hamburg wird sich zeigen, ob und wie weit ihr der CDU-Mittelbau zu folgen bereit ist. Sie wird antreten. Schon bei ihrer letzten Kandidatur 2016 holte sie nach einer flammenden Rede („Ihr müsst mir helfen“) nur 89,5 Prozent der Stimmen. Bei der konsensverliebten CDU gilt so was als Denkzettel.

Warum überlässt Merkel denn nicht jemand anderem den Vorsitz?

Viele in der Partei wünschen sich das. Die Parteizentrale könnte schon mal erste Reformen anstoßen, um ab der Mitte der Legislaturperiode mit neuen Gesichtern und Ideen in den Wahlkampf für 2021 zu starten. Und seit Angela Merkel Anfang dieser Woche in einem Interview erklärt hat, die Nachfolge von der jeweiligen Amtsinhaberin selbst regeln zu lassen, sei noch immer „total schiefgegangen“, gibt es zarte Hoffnungen, dass Merkel den Wettbewerb um die CDU-Spitze freigibt.

Und, wer wäre da in Sicht?

Für Hamburg haben drei No-Names ihre Gegenkandidatur erklärt, aber das ist wurscht. Wichtig sind diese drei: Annegret Kramp-Karrenbauer; Armin Laschet und Jens Spahn. Die Saarländerin und der Nordrhein-Westfale sind klar im Team Merkel. Seit ihrem Start als Generalsekretärin im Februar baut AKK fleißig an ihrer Machtbasis in der Partei. Und Laschet hat gezeigt, dass er Wahlen gewinnen kann, ohne gegen Minderheiten zu hetzen. Der frühere Merkel-Antipode Jens Spahn wiederum fällt, seit er Gesundheitsminister ist, weniger mit Intrigen als mit Sacharbeit auf. Das könnte sich schnell wieder ändern, sobald er Parteivorsitzender ist, schließlich wäre er dann vielen Merkel-Gegnern etwas schuldig. Sein Nachteil: Er ist mit 38 Jahren immer noch verdammt jung.

Könnte Merkel nicht einfach nur Kanzlerin bleiben?

In vielen Ländern der Welt beneidet man die Deutschen um ihre uneitle und bienenfleißige Kanzlerin. Und tatsächlich, außenpolitisch, vor allem europapolitisch, ist Angela Merkel ein Schwergewicht. Sie selbst sagt, dass Parteivorsitz und Kanzleramt für sie zwingend zusammengehören. Aber innenpolitisch ist sie deutlich geschwächt; der Verlust der hessischen Staatskanzlei trotz guter Sacharbeit würde dies einmal mehr illustrieren.

Und warum lässt Merkel dann den Parteivorsitz nicht los – und macht Platz für einen ordentlichen Übergang?

Es ist vermutlich banal. 18 Jahre Parteivorsitzende, 13 Jahre Kanzlerin und der zunehmende Glaube, unentbehrlich zu sein.

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14 Kommentare

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  • Die Rechten von der sog. Alternative - jetzt leider auch im hessischen Landtag vertreten haben leider in Hessen einiges an Stimmen geholt, trotz Lehrerpranger, verbaler Hetze, Übergriffe auf Journalisten etc. oder kommt das beim "durchschnittlichen" Wahlvolk etwa gut an?



    Wenn die Gesellschaft wieder zur Denunziation verpflichtet werden soll, gute Nacht. Im Nationalsozialismus hat das ja dazu geführt, das Kinder ihre eigenen Eltern, Geschwister, Freunde, Verwandte etc. bei der Gestapo denunziert haben und umgekehrt. Wer solche Verhältnisse wieder installieren möchte ist schlicht weg krank.



    Noch schlimmer ist allerdings wenn diesen Bestrebungen nichts entgegengesetzt wird. Es sei rechtlich schwierig dagegen vorzugehen, war zu lesen. Dann müssen die entsprechenden Gesetze eben geschaffen werden. Wenn es um die weitere Aushöhlung des de facto schon abgeschafften Asylrechts geht, geht das ziemlich schnell, werden Gesetzesverschärfungen im Eiltempo durch den BT geboxt.



    Aber anscheinend ist sich niemand oder nur wenige – zumindest in den öffentlich wahrnehmbaren Positionen - der stetig steigenden Gefahr von rechts bewusst. Dass in Hamburg 30.000 gegen die Verrohung der Gesellschaft und für eine weltoffene EU demonstriert haben war den meisten Lokalblättern nur eine kleine Meldung auf Seite 20 wert, während die mit dem „erigierten rechten Arm“ die Schlagzeilen dominierten. Eine Woche später in Berlin waren es aber schon fast 250.000 und die Wahlniederlage der CSU in Bayern hat gezeigt, dass man eben mit Hetze auf Kosten der Geflüchteten keine Wahlerfolge erzielt.



    Natürlich sollte sich jetzt auch niemand – aus Angst vor der „rechts-braun“-versiffen Meute – selbst einen Maulkorb verpassen, sondern denen schreiben, was sie nicht hören wollen. Wie der „Ali“ mal wieder vom „Anton“ rassistisch beleidigt, über den Schulhof gejagt oder geschlagen wurde. Oder wenn



    es mal wieder reingeregnet hat, weil nicht genug Geld für die Sanierung der Schule vorhanden war etc.

  • Die CDU darf im Landtagswahlkampf nicht gefährdet werden. Deshalb gibt es keine Bericht in der FAZ/ARD/ZDF über das 18 jährige Opfer einer grausamen Gruppenvergewaltigung. Wahlkampf geht vor?

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Kommentar entfernt. Bitte bleiben Sie sachlich. Danke, die Moderation

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Sylvi's schlechte Herbstinterviews für die 'tageszeit'.

    Sylvi; ' Herr Wazir ...'



    Wazier: ' Lassen Sie die langen Anreden weg und sagen Sie einfach Herr Tarek ...



    Sylvi: 'Gut. Herr Tarek, macht es Ihnen Spaß, demnächst wieder mit den Schwarzen zu regieren?'



    Wazir: 'Ich weiß nicht, was Sie unter Spaß verstehen? Aber nein, natürlich nicht. Die Schwarzen sind ja unser Feind. Sie verpatzen uns unsere ganzen wohlüberlegten Konzepte.'



    Sylvi: 'Und dieser Herr Bouffier ...'



    Wazir: 'Ja, der ist ja das Problem '



    Sylvi: 'Und was machen Sie mit dem?'



    Wazir: 'Ja, weg mit dem, nach Griechenland oder nach Sachsen, was er will, soll er sich aussuchen'.



    Sylvi: 'Danke, Tarek, für das Interview für die tageszeit'.

  • "...der zunehmende Glaube, unentbehrlich zu sein."



    Ich glaube nicht, dass es so "banal" ist. Die Kanzlerin will vermutlich Kramp-Karrenbauer die Zeit geben, sich noch besser zu positionieren, um sich in 2 Jahren den Parteivorsitz zu angeln. Und vor allem will Merkel keine Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt über die Kanzlerkandidatur - und die wäre einem/einer Pareteivorsitzenden in der CDU nur schwer vorzuenthalten.



    Die Folgen werden sicher schlimm sein, besonders mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Ostdeutschland, aber verständlich ist Frau Merkels festhalten am Amt für mich schon.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ..."In Hessen kann Tarek Al-Wazir Ministerpräsident werden, wenn die Grünen vor der SPD liegen"?



    Die CDU liegt dann aber immer noch vor den Grünen. Die werden doch kaum auf das Amt des Ministerpräsidenten verzichten?!

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...die SPD selber, nicht die sog. GroKo, nimmt ihr die Luft zum Atmen.

  • Ein bisschen schade, dass nur die sowieso schon in der Öffentlichkeit debattierten Gedanken hier auftauchen ohne kreative neue Ansätze auch noch reinzubringen.

    Bei der SPD fällt mir z.B. ein, dass sie mit der Drohung die GroKo zu verlassen, dann sogar punkten könnte, wenn sie nach dem nächsten Streit CDU mit CSU sagt, dass sie sich das nicht weiter zumuten will. Und vielleicht noch dranhängt, dass sie bereit wäre mit CDU und einem anderen Partner als der CSU weiter zusammenarbeiten würde. Dieser Merkel-Seehofer-Streit ging auch massenhaft eher konservativ gestimmten Sozis auf den Senkel und hier hätte damals die SPD eine Chance gehabt, sich beliebter zu machen.

    Aber irgendeine sinnvolle Handlung, die ihren Untergang stoppen könnte, von der SPD zu erwarten, ist wohl wirklich eine wilde Utopie.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Age Krüger:

      ...nur, der SPD nimmt diese 'Drohung', die sog. GroKo zu verlassen, kein Wähler mehr ab.



      Die SPD ist doch mittlerweile eine CDU-Light, mehr nicht.

  • Wenn ein grüner MP möglich ist, sind die Grünen stärker als die SPD. Wenn demain gleichzeitig Schwarz-Rot möglich ist (oder im Bereich des Möglichen), dann muss dies auf eine fortgeführte schwarz-grüne Koalition genauso gelten.



    Die Autoren verschweigen diese Option jedoch, bzw schließen diese nach aktuellem Stand aus.



    Dies ist Fehlinformation der Leserinnen. Die Frage ist lediglich, ob gezielt.



    Erläuterung: viele WählerInnen, die die taz lesen, wollen keinen schwarzen MP. Durch eine solche Falschinformation könnte man versuchen, Leser dazu zu bewegen, grün zu wählen, die bei anderem Kenntnisstand vielleicht SPD oder auch Linkspartei ihre Stimme geben würden.

  • Tarek al-Wazir als MP fände ich cool! Liebe SPD, lasst euch doch nicht weiter verarschen. 20 Jahre opportunistische Politik hat ihren Preis - nämlich die Bedeutungslosigkeit. Es ist Zeit für Opposition und klare Gedanken - wieder ein Profil erstellen, worin man die SPD erkennen kann. 4-8 Jahre Opposition könnten da wirken. Versucht es bitte. Bitte!

    • @Kappert Joachim:

      Al-Wazir als MP von Hessen halte ich für unrealistisch. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass die Grünen starker dort sind als die SPD, aber eine Koalition mit ihm als MP wäre nur möglich bei rotrotgrün. Die FDP wird doch wahrscheinlich wie auch in Schleswig.Holstein und NRW niemals mit der SPD und den Grünen in eine Koalition gehen. In RP ist das noch insofern etwas anderes, als die da mit sehr schwachen Grünen und einer stärkeren SPD mehr durchsetzen konnten von ihren Wirtschaftslobbywünschen.



      Das ginge nur, wenn es Al-Wazir noch gelingt, der FDP klar zu machen, dass er so weit rechts ist, dass kein einziges Umweltprojekt, was mehr als Alibicharakter hat, durchsetzen wird.

      Okay, wahrscheinlicher als R2G ist das schon.

  • *Hessen ist eines der wichtigsten Länder für die CDU, dort regiert Angela Merkels treuer Gefolgsmann Volker Bouffier skandalfrei mit den Grünen.*

    Skandalfrei? Unter ihm wurden 500 Millionen Euro Steuergelder mit Derivaten verzockt!

  • "Und in Niedersachsen, eigentlich Zentrale des Pragmatismus, haben viele die Nase voll von der Groko, auch beim rechten Flügel, bei Seeheimern und Netzwerkern schwindet die Groko-Verteidigung."

    Seeheimer und "raus aus der GroKo"? Das sind nicht mal leere Drohungen - das ist Show fürs Publikum...