Landkreise protestieren gegen Kürzungen: „Im Regen stehen gelassen“

Das Land Niedersachsen streicht seinen Kommunen Gelder in dreistelliger Millionenhöhe. Es geht um Wohnzuschüsse für Hartz IV-Empfänger*innen.

Die Figuren "Delftspucker" stehen am Ratsdelft in Emden.

Wasser haben sie viel in Emden, dafür fehlt bald Geld: Die „Delftspucker“ am Emdener Ratsdelft Foto: dpa / Sina Schuldt

OSNABRÜCK taz | Einsparung. Ein Wort, dass sich nie gut anhört. Also sagt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) Mitte Juli zum Doppelhaushalt 2022/2023 seiner Landesregierung lieber dies: „Eine Rotstiftpolitik wird es nicht geben, aber alle Ministerien müssen Abstriche machen und sich zu großer Haushaltsdisziplin verpflichten.“ Meint dasselbe, klingt aber diplomatischer. Die „vorhandenen Strukturen und Angebote“, insbesondere im Sozialbereich, würden „aufrechterhalten und abgesichert“. Die Konsolidierung, erfolge „mit viel Augenmaß“.

Der Niedersächsische Landkreistag (NLT) in Hannover sieht das anders. Man sehe sich durch den Doppelhaushalt „finanziell abgestraft“, sagt Bernhard Reuter (SPD), Vizepräsident des NLT und Landrat des Landkreises Göttingen. „So stellen wir uns eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht vor.“

Es geht um 142 Millionen Euro Landesgeld pro Jahr, das den Kommunen gestrichen wird, stufenweise. Ab 2024 fällt die Zahlung komplett weg, dauerhaft. „Das schmerzt uns sehr“, sagt Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des NLT. „Es geht hier ja nicht um eine Einsparung, die temporär nötig wird, etwa durch eine Notlage wie Corona, sondern um eine strukturelle Entscheidung. Und es trifft überproportional Kommunen, die ohnehin schon hohe Soziallasten zu tragen haben.“

Auch eine gemeinsame Erklärung der ostfriesischen Landkreise Aurich, Leer und Wittmund sowie der Stadt Emden geht mit den Haushaltsbeschlüssen hart ins Gericht. Das Landeskabinett lasse Ostfriesland „finanziell im Regen stehen“, sagen die Landräte Olaf Meinen, Aurich (parteilos), Matthias Groote, Leer (SPD) und Holger Heymann, Wittmund (SPD) im Schulterschluss mit Emdens Oberbürgermeister Tim Kruithof (parteilos). Bei der Bekämpfung der Pandemie habe man „in vorderster Linie“ gestanden, jetzt sei ihre Loyalität „auf eine harte Probe gestellt“. Man habe sich „nicht in den kühnsten Träumen“ vorstellen können, dass das Land derart massiv an den bisherigen Finanzbeziehungen rüttle.

Es geht um 142 Millionen Euro Landesgeld pro Jahr, das den Kommunen gestrichen wird, stufenweise. Ab 2024 fällt die Zahlung komplett weg

Es geht um die Landeszuschüsse für die Kosten der Unterkunft (KdU) von Hartz IV-Empfängern. „Insbesondere die Streichung vorgesehener Gelder im Bereich SGB II für die Jobcenter, die das Land seinerzeit bei der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Jahr 2005 erspart hatte und die seither fester Bestandteil der Finanzausstattung der Kommunen sind, treffen die kommunalen Haushalte ins Mark“, sagen die vier Kommunalchefs. Der Zuschussanteil des Landes macht für Ostfriesland rund acht Millionen Euro aus.

Klar, das bedeutet nicht, dass keine KdU mehr gezahlt werden. Sie sind eine Leistung, auf die ein gesetzlicher Anspruch besteht. Aber die Kommunen müssen, um dieses Geld aufzubringen, an­derweitig streichen. „Da geht es dann drum, das Geld irgendwo rauszureißen, bei freiwilligen Leistungen“, sagt Eduard­ Dinkela, Sprecher der Stadt Emden. Man merkt ihm seinen Zorn an. „Wir stehen da echt mit dem Rücken an der Wand.“ Die gemeinsame Erklärung mit Wittmund, Aurich und Leer sei „ein starkes Signal“, sagt er. Dinkela­ hofft, dass die Landesregierung ihre Entscheidung überdenkt.

Das hofft auch Hubert Meyer vom NLT. „Aber ich bin schon zu lange im Geschäft, um mir da große Illusionen zu machen“, sagt er. „Wir haben sehr deutliche Gespräche mit der Landesregierung geführt. Aber wir sind da nicht auf Zustimmung gestoßen.“

Heidi Reichinnek, die Landesvorsitzende der Linken in Niedersachsen, hält die Einspar-Entscheidung der Landesregierung für eine „Katastrophe“. Kopfschüttelnd sagt sie: „Die kaputtgesparten Kommunen schieben riesige Schuldenberge vor sich her und werden wieder dem Diktat der ‚schwarzen Null‘ unterworfen, gleichzeitig sollen sie die Kosten der Unterkunft übernehmen. Das ist ein brutaler Schraubstock.“ In jedem Fall seien „die Menschen vor Ort die Verlierer, vor allem jene mit geringem Einkommen“.

Antje Tiede, Sprecherin des Niedersächsischen Finanzministeriums, weist die Kritik des NLT und der ostfriesischen Kommunen als „völlig unberechtigt“ zurück.

Das Land habe die Kommunen im Zuge der Krisenbewältigung 2020 mit 1,1 Milliarden Euro unterstützt. Im kommenden Jahr zahle es an sie 11,3 Milliarden Euro. „Rund jeder dritte Euro des Landes geht damit an die Kommunen.“ Und dann rechnet sie vor: Steuerausfälle, Pandemiekosten – der Finanzierungssaldo des Landes sei auf seinem tiefsten Stand seit 20 Jahren. Das sei „auch mit durchaus schmerzhaften Veränderungen verbunden“.

Man habe beim Doppelhaushalt die Kommunen „nicht vollkommen ausnehmen“ können. „Nachdem die Landesregierung für 2020 und für 2021 noch auf eine Reduzierung oder Streichung des Landeszuschusses verzichtet hatte, ist jetzt der Abbau in moderaten Schritten vorgesehen.“

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